Rezension zu Die leere Couch
Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie Heft 161, XLV. Jg., 1/2014
Rezension von Annegret Wittenberger
Gabriele Junkers (Hg.): Die leere Couch. Der Abschied von der
Arbeit als Psychoanalytiker. Psychosozial, Gießen 2013, geb., 316
S., € 32,90
Ralf Zwiebel: Was macht einen guten Psychoanalytiker aus?
Grundelemente professioneller Psychotherapie. Klett-Cotta,
Stuttgart 2013, geb., 292 S., € 34,95
Nahezu zeitgleich wurden mir zwei Bücher zugesandt, beide
ansprechend in schöner Hardcover-Aufmachung, mit dem Titelbild
jeweils einer eleganten Couch. Und beide befassen sich mit
essentiellen Aspekten unseres Berufs: dem hinreichend guten
Funktionieren und der Beendigung der Arbeit als Analytiker.
Gabriele Junkers lenkt als Vorsitzende des IPA-Komitees »Altern«
die Aufmerksamkeit auf ein Problem, von dem gerade unser
Berufsstand besonders betroffen ist. Unter dem Bild der »leeren
Couch« haben Autoren aus aller Welt vielerlei Problemkreise
angerissen, in die alternde Psychoanalytiker geraten können. (Man
möge es mir nachsehen, dass ich im Rahmen dieser Rezension bei der
großen Zahl der Beiträge nicht auf einzelne Autoren eingehen
kann.) Die Themen Krankheit, Altern, Verfall und Tod des
Analytikers nehmen in der bisherigen analytischen Fachliteratur
erstaunlich wenig Raum ein, wenn man bedenkt, dass gerade die
Psychoanalyse dazu befähigen soll, die »Facts of Life«
(Money-Kyrle) und damit auch die Endlichkeit des Lebens
anzuerkennen.
Verschiedene Tatsachen stehen der Wahrnehmung unserer eigenen
Endlichkeit entgegen. Kennzeichnend für unseren Berufsstand ist,
dass die Ausbildung erst in relativ hohem Alter begonnen wird, so
dass die Zeit zur psychoanalytischen Tätigkeit begrenzter ist als
in vielen anderen Berufen. Da Psychoanalytiker aufgrund ihres
späten Abschlusses in hohem Alter aktiver sind als andere
Berufsgruppen, haben sie auch ein höheres Erkrankungs- und
Todesrisiko während ihrer Berufstätigkeit. Dennoch scheint die
Endlichkeit unserer therapeutischen Funktionsfähigkeit weitgehend
verleugnet zu werden, womöglich genährt durch den
Übertragungswunsch unserer Analysanden nach einem omnipotenten und
damit unsterblichen Analytiker. Die Gefahr, sich an diese
Idealisierung zu klammern, ist umso größer, je schwächer,
beschädigter und entwerteter die inneren Objekte sind. Hier
schützt die Verleugnung eigener Hinfälligkeit scheinbar vor
Verfolgungsängsten, da sonst die Integrität des Selbst von
Auflösung bedroht wäre (wobei dieses Problem natürlich nicht auf
das hohe Lebensalter begrenzt ist).
Da analytisches Arbeiten ohne zeitliche Begrenzung am besten
gedeiht, fällt es uns schwer, die zeitliche Begrenzung unserer
Arbeitsfähigkeit in den Blick zu bekommen. Und damit hängt die
wesentliche Frage zusammen: Kann der Analytiker erkennen, wann er
aufhören sollte mit seiner Arbeit, weil er durch Krankheit oder
Verfall nicht mehr ausreichend gut ist? Selbst Freud, für den ja
ein Leben ohne Arbeit wenig lebenswert war, scheint in dieser
Hinsicht während seiner 17 Jahre dauernden und schließlich
tödlichen Krankheit kein gutes Vorbild zu sein. Die gravierenden
Auswirkungen von Krankheit und Tod des Analytikers während der
Analyse zeigen teils sehr persönliche und dadurch berührende
Beiträge von betroffenen Analysanden, die aufgrund ihrer
Abhängigkeit nicht in der Lage waren, ihre Analyse selbst zu
beenden, obwohl (oder eher gerade weil) sie durch Rollenumkehr
(Gefühl, dem Analytiker helfen zu müssen),
Grenzüberschreitungen, Scham, Loyalitätskonflikte, Angst und
narzisstischen Missbrauch schwer belastet waren. Hier hätte die
analytische Institution die Analysanden schützen müssen. Aber,
und das verschärft das Problem: Unsere psychoanalytischen
Institutionen sind (in falsch verstandener Abstinenz?) durch eine
Gruppenkultur des Schweigens charakterisiert und damit wenig
konfrontationsfreudig, was zur Folge hat, dass sie keine Rituale
für das Ende unseres Berufslebens entwickelt haben, die
verfallende Kollegen, deren Reputation und eigenes Lebenswerk sowie
deren Analysanden vor den schädlichen Auswirkungen ihrer
nachlassenden Funktionsfähigkeit schützen, nämlich dann, wenn
der Analytiker, um mit Ralf Zwiebel zu sprechen, nicht mehr
»Analytiker bleiben« kann, weil das einzigartige Zusammenwirken
unseres Fühlens und Denkens als unser analytisches Handwerkszeug
nicht mehr ausreichend gut funktioniert.
Ein weiteres Thema des Sammelbandes ist die narzisstische
Problematik im Generationenkontext der Analytiker, die unsere
Generativität gefährdet. Aus Neid und Verlustangst klebt der alte
Analytiker an seiner Berufstätigkeit besonders dann hartnäckig,
wenn sie zur wichtigsten Quelle seiner Identität geworden und
seine Persönlichkeit beim Rückzug aus dem Arbeitsleben bedroht
ist. Wenn dagegen sein Neid nicht zu groß ist und die Dankbarkeit
überwiegt, kann er rechtzeitig loslassen, sich an dem freuen, was
die Nachfolger von ihm gelernt haben im Vertrauen, dass die
analytischen Kinder das gemeinsame Erbe schützen und weiter
entwickeln durch ausreichend gute klinische und theoretische
Arbeit, ähnlich der Freude an der persönlichen und beruflichen
Weiterentwicklung der eigenen Kinder.
Der Verlust der analytischen Funktionsfähigkeit stellt immer eine
Krise dar. Und wie jede Krise kann auch diese abgewehrt oder
durchgearbeitet werden. Wie sie bewältigt wird, hängt von der
inneren Objektwelt ab, der »inneren Couch«. Wenn sie gefüllt ist,
fällt der Rückzug leichter. Da wir nicht aufhören, als
Analytiker zu denken, wird unsere innere Couch nie ganz leer
sein.
Wie lebendig und kreativ ein Analytiker auch nach Beendigung seiner
Patientenbehandlungen bleiben kann, zeigt das neueste Buch Ralf
Zwiebels, das seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem
Thema des »hinreichend guten« Analytikers auf ein Niveau hebt,
welches durch umfassende Lektüre, reiche Erfahrung in
Patientenbehandlung, Ausbildung und Zen-Meditation ein hohes Maß an
gedanklicher Durchdringung und Plausibilität erreicht. Ein solches
Buch kann man erst in einem gewissen Alter schreiben, weil darin
viel gelebtes und reflektiertes Analytikerleben eingeflossen ist.
Es ist für mein Empfinden das ausgereifteste seiner Bücher, das
ich gern mit weise charakterisieren würde, auch wenn der Begriff
heute eher unüblich ist. Weise im Sinn von integrativ in seiner
Wahrnehmung der grundlegenden Bipolarität der analytischen Arbeit
und seiner Darstellung des nie endenden Ringens um einen
Idealzustand der oszillierenden Balance zwischen den Polen der
»analytisch-therapeutischen Position«, der doch nie erreicht
werden, in dem der Analytiker nur »immer besser scheitern«
(Beckett) kann. Auf diesem »Übungsweg« lernt der Analytiker die
»eigene Stimme« zu entwickeln, sowohl im kreativen Akt der Stunde
mit dem Analysanden, als auch in seiner gesamten professionellen
Entwicklung.
Zwiebel erkundet hier sein persönliches »Arbeitsmodell«, aufbauend
auf der »Trias Präsenz – Gegenübertragung – Einsicht«, bestimmt
von seiner träumerischen Funktion, seiner »inneren Arbeitsweise«,
der Dynamik von »An- und Abwesenheit«, Wissen und Nichtwissen,
»persönlichem« und »technischem« Pol. Er gibt einen umfassenden
Überblick über die Pluralität in der gegenwärtigen Analyse,
befreit von dogmatischer Enge den »Möglichkeitsraum« aufzeigend,
der sich eröffnet, wenn man die analytische Situation betrachtet
als jeweils spezifische, von beiden Mitgliedern des analytischen
Paars geprägte lebendige Begegnung in einem pulsierenden Prozess.
Dabei stellt das Durcharbeiten der »problematischen Situationen«
die Kernaktivität des Therapeuten dar: das Zulassen und Wahrnehmen
der Störung (Präsenz), die emotionale Beteiligung und Reaktion
darauf (Gegenübertragung) und der Versuch, Einsicht in das
Nicht-Verstandene zu gewinnen.
Was mir nach der Lektüre der beiden Couch-Bücher klar geworden
ist: Man kann (und muss rechtzeitig) die analytische
Berufstätigkeit beenden, aber die analytische Identität kann (und
muss) man nicht ablegen, zumal sie im Herstellen der Metaebene ja
auch im persönlichen Bereich befreiend wirkt und damit vor
Verbitterung im Alter schützen kann.