Rezension zu »Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«
DZI Soziale arbeit 1.2014
Rezension von Gertrud Hardtmann
»Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«
Zwei Berliner Jüdinnen polnischer Staatsangehörigkeit, Hilde
(geboren 1914) und Rose Berger (geboren 1918) berichten von Krieg
und Verfolgung während des Nationalsozialismus und von Widerstand
und Solidarität, der sie ihr Überleben verdanken. Die religiös
liberale Familie, 1912 von Polen nach Berlin gezogen, vermittelte
ihren vier Kindern ein gesundes Selbstbewusstsein und eine
kritische Einstellung gegenüber Bevormundung und Orthodoxie. Durch
das Engagement der Geschwister bei den sozialen Zionisten berith
haolim und in der Arbeiterbewegung wuchsen sie in eine
Solidargemeinschaft hinein, die sich auch nach der Machtergreifung
1933 bewährte. Rose und ihr Mann, die sich den Sozialdemokraten
angeschlossen hatten, emigrierten 1938 nach Paris und entgingen
zunächst der Verfolgung in Deutschland, waren aber nach der
deutschen Besetzung auf die Solidarität und Unterstützung
französischer Genossen angewiesen, die sehr eindrucksvoll in
Interviews beschrieben werden – ein Lichtblick in finsteren Zeiten.
Hilde und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Hans schlossen sich den
Kommunisten, später den Trotzkisten an und blieben in Deutschland.
Der Bruder starb, aus politischen Gründen inhaftiert, in der Haft.
Hilde war 1936 bis 1939 ebenfalls in Gestapohaft und wurde nach
kurzer Entlassung erneut inhaftiert, dann wegen ihrer»polnischen
Staatsangehörigkeit«, obgleich diese inzwischen abgelaufen war,
mit dem Rest der Familie nach Polen ausgewiesen. Sie überlebte im
ukrainischen Boryslaw unter dem Schutz von Berthold Beitz, der auch
ein Geleitwort zu diesem Buch schrieb. Nach dessen Einberufung
wurde sie im KZ Plaszow für den Schreibdienst rekrutiert. Das
ermöglichte ihr, sich selbst und einige Freunde auf Schindlers
Liste zu setzen, zu Lasten derer, die gestrichen wurden, und so dem
sicheren Tod zu entgehen. Das Buch setzt sich aus Berichten,
Gesprächen und Interviews zusammen. Die angefügten Dokumente
vermitteln anschaulich ein Bild des herrschenden politischen
Klimas. Reinhard Hesse, Professor für Philosophie und Ethik in
Freiburg als Herausgeber (mit dem späteren Mann von Hilde über
einen Onkel verwandt) kommentiert die Entstehung der Texte und
schließt mit einem persönlichen Brief an Hilde. Das Buch ist zu
empfehlen – vor allem für den Unterrichtsgebrauch – weil es sowohl
die alltäglichen, nicht gefahrlosen aber doch vorhandenen
Möglichkeiten solidarischer Hilfe und Unterstützung anschaulich
beschreibt, als auch das moralische Dilemma, in dem sich Hilde
befand, als ihr Schindlers Liste die Chance zum Überleben, auf
Kosten des Lebens anderer, bot. Die Perfidie des NS-Systems,
Solidargemeinschaften systematisch zu zerschlagen, als auch die
Schwierigkeit partiell ein »richtiges Leben im Falschen« zu retten
wird eindrucksvoll beschrieben.
Gertrud Hardtmann