Rezension zu »Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«

Jüdisches Leben in Bayern. Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, 28. Jahrgang, Nr. 123

Rezension von Yizhak Ahren

Konversions- und Überlebensgeschichten

Die Eltern von Hilde (1914–2011) und Rose Berger (1918–2005) waren biedere, fromme Ostjuden, die in Berlin lebten, bis sie im Jahre 1938 von der Gestapo zum Verlassen Deutschlands gezwungen wurden. Sie fuhren nach Polen, wo sie während des Weltkrieges Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung wurden; umgebracht haben die Nazis auch ihre Tochter Regina (Jahrgang 1913) und ihren Sohn Hans (Jahrgang 1916). Das vorliegende Buch lässt die zwei überlebenden Schwestern, die nach dem Holocaust in Amerika lebten, ausführlich zu Wort kommen.

Der Herausgeber hat fünf sich ergänzende Texte, die zwischen 1978 und 2005 entstanden sind, zusammengetragen und ins Deutsche übersetzt. Im Anhang findet der Leser einige Fotos und Dokumente, die das Erzählte veranschaulichen. So ist z.B. die Seite von Schindlers Liste abgedruckt, auf der Hilde Bergers Name steht. Der Leser erfährt, dass es mehrere Versionen dieser durch einen Film von Steven Spielberg berühmt gewordenen Namensliste gab. Eine Fassung hat Hilde Berger getippt; sie nutzte die Gelegenheit aus und hat sich und ihren damaligen Freund darauf gesetzt und dafür andere Namen gestrichen. Reinhard Hesse bemerkt zu diesem Vorgang in seiner Einleitung: »Wohl wissend, was das wahrscheinlich für die Betreffenden bedeuten würde. Ihr Leben lang hat sie das beschäftigt – verständlicherweise. Aber – hätten wir es wirklich anders gemacht?«

Ebenso interessant wie die unterschiedlichen Überlebensgeschichten von Hilde und Rose sind die Berichte über ihre Abwendung von den religiösen Lebensformen ihres Elternhauses. Bezeichnend ist, dass beide Frauen solche Männer geheiratet haben, die für ihre Eltern nicht akzeptabel waren. Im Falle von Hilde kann man davon sprechen, dass sie als Jugendliche vom Judentum zur politischen Religion des Trotzkismus konvertierte. Sie spricht von der »roten Assimilation«. Anschaulich und nachvollziehbar skizziert Hilde Berger die Zwischenschritte, die ihren weltanschaulichen Wandel markiert haben: Die religiöse Jugendgruppe ihrer Synagoge wurde von säkular gesinnten Zionisten unterwandert; dann spaltete sich von dieser Gemeinschaft eine sozialistisch-zionistische Gruppe ab; von dieser Position war der Weg nicht mehr weit zum stalinistischen Kommunismus; schließlich landete sie bei den Trotzkisten, die sich als »Avantgarde der Avantgarde« verstanden. Im Rückblick gab die engagierte Revolutionärin zu, dass es ihrer Gruppe keineswegs nur um Politik und Weltverbesserung ging: »Wir verbrachten kein Wochenende in Berlin, gingen immer auf Wanderungen, sangen deutsche Volkslieder, Wanderlieder, Lieder aus dem deutschen Bauernkrieg von 1525. Wir liebten alle Lieder aus dieser Zeit. Ironischerweise nicht nur die, welche die revolutionären Bauern gesungen haben, sondern auch die der Söldner, die für die Feudalherren gegen die Bauern gekämpft haben … Wir haben sogar auch dann noch Lieder von beiden Seiten des Bauernkriegs gesungen, als wir schon politisches Bewusstsein erlangt hatten und uns die gegensätzliche Bedeutung dieser Lieder klar war.«

Die traurige Geschichte der Familie Berger erinnert mich an die unter dem Titel »Der Fiedler auf dem Dach« verfilmte Geschichte des jüdischen Milchmannes Tevje aus Anatevka. In Berlin wie im osteuropäischen Dorf war die überlieferte jüdische Lebensform sowohl von innen als auch von außen gefährdet. Zum Überleben einer traditionell-religiösen Kultur in der modernen Welt braucht es manchmal Wunder.

Yizhak Ahren

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