Rezension zu David Cronenberg
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Rezension von Philipp Noltensmeier
David Cronenberg
Über David Cronenberg gibt es inzwischen auch in Deutschland schon
einige Bücher, wie z.B. Manfred Riepes Freudianisch/Lacan’sche
Werk-Lektüre »Bildgeschwüre« (Transcript Verlag) oder das bislang
ultimative Standardwerk zum kanadischen Regisseur aus dem Bertz und
Fischer-Verlag, herausgegeben vom Filmwissenschaftler Marcus
Stiglegger (2011). Mit Beiträgen beider Autoren beginnt nun ein im
Psychosozial-Verlag erschienener Band aus der Reihe »Im Dialog:
Psychoanalyse und Filmtheorie«, die wiederum auf den gleichnamigen
Filmseminaren im Mannheimer kommunalen Kino Cinema Quadrat basiert.
Filmwissenschaftler und Psychoanalytiker beschäftigen sich in
dieser Reihe mit herausragenden Regisseuren und »beleuchten die
Themen, Motive und Strukturen der Filme und des Gesamtwerks unter
der Oberfläche der filmischen Erzählung.« Im März diesen Jahres,
passend zu seinem 70. Geburtstag, widmete man sich dem Werk
Cronenbergs.
Marcus Stigleggers einleitender Text, »Auf dem Weg zum neuen
Fleisch«, schafft einen kurzen Überblick über die frühen Filme und
stellt fest: »Neben der Körpertransformation steht bereits von
Beginn an die Beschäftigung mit Konzepten der Psychoanalyse im
Fokus von Cronenbergs Aufmerksamkeit.«
Manfred Riepe widmet sich der Funktion des Sprechens und der
Sprache im Horrorfilm »Die Brut« (1979), Cronenbergs zweitem
Spielfilm, in dem der Filmemacher den Scheidungskrieg mit seiner
ersten Ehefrau verarbeitete, die ihn mit der gemeinsamen Tochter
verließ, um sich einer Sekte anzuschließen. Oliver Reed spielt in
dem Film einen guruartigen Therapeuten, der eine neuartige
Behandlungstechnik entwickelt hat, die ›Psychoplasmatik‹. Seine
Patienten lassen das Sprechen hinter sich, um ihrem Schmerz
unmittelbaren Ausdruck zu verleihen, ihre Leiden buchstäblich zu
verkörpern.
Christiane Mathes beschäftigt sich in »Die Maschinen des Begehrens«
mit der »Fleischeslust der Medien« in »Videodrome« (1983) und
»eXistenZ« (1999). Beide Filme setzen sich mit Medientechnologie
auseinander und legen den Schwerpunkt auf die durch Medien
verursachte Deformation von Realität. Mathes untersucht die
Verbindung von Medien und Begehren in beiden Filmen.
In »Videodrome« werden die Medien sexualisiert und ihr seduktives
Potential visualisiert, z.B. wenn die Moderatorin Nicki aus dem
Fernseher heraus den von James Woods gespielten Charakter
auffordert zu ihr zu kommen, der Fernseher unter seinen Berührungen
zu pulsieren und stöhnen beginnt und schließlich Woods Kopf im
überdimensional vergrößerten Fernseh-Mund Nickis verschwindet.
»eXistenZ« handelt von einem neuen Computerspiel und einer Konsole,
die über einen Bioport an das Nervensystem angeschlossen ist, der
in den Rücken der Spieler gebohrt wurde. Scheinbar
unterbrechungsfrei bewegen sich die Spieler zwischen Realität und
virtueller Realität hin und her.
Cronenberg setzt Psyche und Maschine ins Bild, was Mathes dazu
veranlasst die »Wunschmaschine« als Interpretament zu wählen, ein
von den Philosophen Gilles Deleuze und Felix Guattari eingeführter
Begriff für das Konzept eines produktiven, maschinellen
Unbewussten.
In beiden Filmen macht Cronenberg oft absichtlich unkenntlich, auf
welcher Ebene der Realität wir uns befinden, kreiert fließende
Übergänge. Die Referenzpunkte für die Realität verschwinden, den
Filmcharakteren und Zuschauern wird es unmöglich, diese zu
bestimmen. Eine potenziell endlose Verschachtelung der
Realitätsebenen wird angedeutet. »Denn das Begehren kennt kein Ende
und ihm wesensimmanent ist immer auch seine Nicht-Erfüllung.«
Mit dem Film »eXistenZ« und der in ihm thematisierten Problematik
des »Realitätsgehalts der erscheinenden Wirklichkeit selbst« im
Alltag einer im Medial-Virtuellen aufgehenden Welt beschäftigt sich
auch der Psychoanalytiker Helmut Däuker in seinem Text »Das
verspielte Ich«: »Cronenbergs Gespür für alles, was den Tod in sich
trägt, ist außerordentlich. Er findet es im Körperlichen, im
Denken, im Lebendigen selbst, in Wissenschaft und Technik wie im
alles vereinnahmenden Medial-Virtuellen- und selbst im Spiel. In
›eXistenZ‹ kommt beides zusammen: das, was Menschen von innen in
ein ›Jenseits des Lustprinzips‹ treibt, und eine
gesellschaftlich-ökonomische-wissenschaftliche Dynamik, die
anscheinend unkorrigierbar einer Logik der Steigerung und
Beschleunigung verfallen ist.«
Ralf Zwiebel analysiert in seinem Beitrag »Von Anfang an machen wir
uns etwas vor« den unbekannteren Film »M. Butterfly« (1993), in dem
die Hauptfigur, ein französischer Botschaftsangestellter, beim
Besuch einer Pekingoper, von der Musik verzaubert, eine Obsession
für die Sängerin Song entwickelt, »die alle Realität auszublenden
scheint: seine Ehe, die Tatsache, dass die Darsteller der
Pekingoper traditionell Männer sind und folglich auch Song in
Wirklichkeit ein Mann ist, die kulturellen und politischen
Differenzen (...) und seine eigene Stellung in der französischen
Botschaft in Peking.« Auch dieser Film handelt von der Fragilität
der menschlichen Wahrnehmung und ihrer Anfälligkeit für Irrtum,
Illusion, Täuschung und Wahn, die uns als Zuschauer auch ins Kino
führt: »Auch wenn das Kino kein Ersatz für einen analytischen oder
therapeutischen Prozess ist, so wird der Zuschauer auch hier mit
dieser grundsätzlichen Frage nach der ›Wirklichkeit‹ seiner Selbst-
und Weltwahrnehmung konfrontiert: in Bezug auf das Filmerlebnis als
Ganzes, die Filmnarration, die Protagonisten, die gezeigten Bilder,
im günstigen Fall auch sein eigenes Leben.«
In dem von der Psychotherapeutin Angelika Zitzelsberger-Schlez
untersuchten Film »Spider« (2002) geht es erneut um die gestörte
Wahrnehmung des Protagonisten: Ein an Schizophrenie erkrankter Mann
wird aus einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt entlassen und
zieht in eine Pension in dem Ort, wo er seine Kindheit verbracht
hat. Hier versucht er sich an die Geschehnisse, die ihn in die
Psychiatrie brachten, zu erinnern. Dem Zuschauer wird dabei
deutlich, dass diese Erinnerungen nur zum Teil der Realität
entsprechen.
»Eine dunkle Begierde oder eine gefährliche Methode« fragt Signe
Mähler, die Co-Autorin des Dokumentarfilms »Ich hieß Sabina
Spielrein« in der Überschrift ihres kurzen Textes zur Figur der
Sabina Spielrein in Cronenbergs Spielfilm »Eine dunkle Begierde«
(2011), der das Aufeinandertreffen von Sigmund Freud und C.G. Jung
sowie dessen Affäre mit seiner Patientin und späteren
Psychoanalytikerin Spielrein zeigt. Im Film bleibe die Figur Sabina
Spielrein in hysterischen Gesten stecken und werde zunehmend
banaler, stellt Mähler fest. »Sabina Spielrein spielt eine Rolle in
diesem Film. Aber die wirkliche Sabina Spielrein, die sich in einer
von Männern geprägten (psychoanalytischen) Gesellschaft durchsetzen
musste, spielt hier keine Rolle.« Was den Film aber trage, sei die
Begeisterung, mit der sich der Regisseur der Idee der Psychoanalyse
widme.
»Die psychoanalytische Haltung ist ein zentraler Topos, über den
von Beginn der Psychoanalyse an intensiv diskutiert wurde und wird.
Der Film erzählt, dass und wie Jung sich als unfähig erweist,
seiner Patientin gegenüber eine ausreichend sichere wie
Orientierung gebende Haltung zu finden und einzunehmen.« Diesen
spezifischen Gesichtspunkt greift Christoph E. Walker auf in seinen
psychoanalytischen Anmerkungen zu »Eine dunkle Begierde« auf.
Abschließend stellt sich Stefan Hinz der Frage, ob »Cosmopolis«
(2012), Cronenbergs bislang letzter Film, als Kritik des
Finanzkapitalismus zu verstehen ist und warum er bei ihm (wie bei
vielen Zuschauern und Kritikern) so eine Ablehnung auslöst.
Ein schönes, anspruchsvolles Buch für den an Psychoanalyse und Kino
gleichermaßen interessierten Cronenbergianer.
Gerhard Schneider, Peter Bär (Hg.) »David Cronenberg«, Im Dialog:
Psychoanalyse und Filmtheorie Band 10, Psychosozial-Verlag.
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