Rezension zu Gemeinschaftsgefühl (PDF-E-Book)
SGIPAaktuell Dezember 2012
Rezension von Hannelore Hafner
Gemeinschaftsgefühl, Wertpsychologie und Lebensphilosophie seit
Alfred Adler
Gerald Mackenthun
Von Hannelore Hafner
»Die von Alfred Adler 1911 begründete Individualpsychologie
basiert auf dem Begriff des Gemeinschaftsgefühls. Die Förderung
des Gemeinschaftsgefühls schien ihm die beste Prophylaxe für jede
Art der Neurose. Seit Adler wurden die Grenzen von Gemeinschaft und
Individualismus in zahlreichen Theorien unterschiedlicher
Ausrichtung neu ausgelotet. Im vorliegenden Buch stelle ich Adlers
Ansatz in seiner historischen Entfaltung vor und zeichne die
engagierte Kontroverse über dieses Konzept innerhalb und außerhalb
der Individualpsychologie detailliert nach. Im Mittelpunkt steht
dabei das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und
Gemeinschaft.
Anhand der ›Lebensaufgaben‹ wird abschließend demonstriert, wie das
Konzept des Gemeinschaftsgefühls in der Psychotherapie angewendet
werden kann.«
Gerald Mackenthun (Auszug aus der Einführung)
Anmerkung
Nachdem ich dieses umfangreiche Buch, 525 Seiten, durchgeblättert
hatte, interessierte mich der Autor, der dieses Werk verfasst hat.
Dank Internet fand ich folgende persönliche Vorstellung von G.
Mackenthun
»Mein Name ist Gerald Mackenthun. Seit 2003 bin ich Psychotherapeut
für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und
Psychoanalyse. Davor arbeitete ich 25 Jahre als Wissenschafts- und
Medizinjournalist, davon gut 20 Jahre bei der Deutschen
Presseagentur.«
In sieben Kapiteln des besprochenen Buches geht der Autor dem
Begriff Gemeinschaftsgefühl nach. Zu einer ersten Orientierung
hier das Inhaltsverzeichnis:
1. Einführung
2. Stellung und Bedeutung des Gemeinschaftsgefühl in Adlers
Individualpsychologie
3. Auseinandersetzung und Weiterentwicklung: das Thema
»Gemeinschaftsgefühl« in früher und moderner
Individualpsychologie
4. Über das Spannungsverhältnis von Individuum und
Gemeinschaft
5. Soziologie und Politologie des Gemeinschaftsgefühls
6. Gemeinschaftsgefühl in der Therapie und Gemeinschaftsgefühl
konkret: sechs Lebensaufgaben
7. Zusammenfassung und Diskussion
Beim Lesen dieses Inhaltsverzeichnisses entsteht der Eindruck, dass
der Autor das Thema »Gemeinschaftsgefühl« gründlich, kritisch und
respektvoll angeht und dazu verschiedene Blickwinkel nutzt.
Als umfangreiches historisch-kritisches Quellenstudium und als
hermeneutische Textanalyse bezeichnet der Autor selber seine
bewertende »Zusammenfassung und Diskussion« jeweils als letzten
Untertitel in jedem Kapitel und als 7. Kapitel.
Wir begegnen uns bekannten Autoren aus der Individualpsychologie:
Hertha Orgler, Carl Furtmüller, Vera Strasser, Erwin Wexberg, Otto
Kaus, Frida Vogel, Fritz Künkel, Rudolf Dreikurs, Heinz und Rowena
Ansbacher, Robert Antoch, Ronald Wiegand, Karl Heinz Witte, Almut
Bruder Bezzel und vielen anderen.
Ich kann dieses Buch sehr empfehlen und würde mir wünschen, dass
es unter Kolleginnen und Kollegen aus den hiesigen IP. Kreisen
diskutiert wird. Warum nicht wieder einmal in einem Lesekreis ein
solch wichtiges Buch besprechen, dem schillernden Begriff des
Gemeinschaftsgefühls ein erweiterndes Wissen beifügen, im
Austausch mit Kolleginnen und Kollegen die eigenen Auffassungen
klären, schärfen und vielleicht sogar korrigieren?
Das tat Alfred Adler übrigens auch. Ich zitiere aus dem
besprochenen Buch: »Der Gebrauch des Wortes Gemeinschaftsgefühl
veränderte sich mehrfach ohne die grundlegende Bedeutung
aufzugeben. In der ersten Phase, bis 1918, handelt es sich um die
Notwendigkeit für jedes Individuum, sich in die Kultur und
Gemeinschaft einzufügen. In der zweiten Phase, bis 1927, wurde das
Gemeinschaftsgefühl als angeborene, physiologisch verankerte
Gegenkraft zu egoistischen Impulsen verstanden. In diesem Zeitraum
hatte A. Adler noch die Auffassung eines Konfliktes in der inneren
seelischen Dynamik zwischen dem angeborenen Gemeinschaftsgefühl
und dem anerzogenen Geltungsstreben vertreten: das
Gemeinschaftsgefühl ist hier Regulator des Aggressionstriebes. In
der dritten Phase, ab 1928, verstand Adler unter dem Begriff
zunehmend eine kognitive Fähigkeit, die durch Erziehung bewusst
entwickelt werden muss. Früh schon setzte er Gemeinschaftsgefühl
mit allen Arten der Liebe gleich, später dann ist
Gemeinschaftsgefühl vor allem Identifikation und Einfühlung, also
eher eine gefühlsmäßige und kognitive als eine angeborene
Funktion. Schließlich wurde Gemeinschaftsgefühl als inhärente
Möglichkeit angesehen, die als Richtschnur vielleicht erst in sehr
ferner Zukunft zum Wirken kommen werde und dennoch aktuelle Aufgabe
sei.«
Kapitel 2.5 Zusammenfassung, Seite 84
»Wir glauben nicht, dass wir die letzten Dinge erforscht, die
letzte Wahrheit ausgesprochen haben, sondern, dass dies alles nur
ein Bestanteil der heutigen Kultur sein kann. Wir freuen uns auf
die, die nach uns kommen.«
A. Adler, zit. nach Hertha Orgler
www.alfredadler.ch