Rezension zu Traum(a) Migration (PDF-E-Book)

Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie (Heft 10/2013, S. 815)

Rezension von David Zimmermann

Feldmann, R. E., Seidler, G. H. (Hrsg.) (2013). Traum(a) Migration

Migration – ein Traum? Das mag für Menschen, die in Freiheit und Wohlstand aufwachsen und sich noch neue Lebensperspektiven erhoffen, zutreffen. Für all jene, die ihr Land zwangsweise verlassen, aus Armutsgründen, wegen politischer Verfolgung oder ethnischer Diskriminierung, bietet der Prozess der Trennung und des Neuanfangs eher vielfältig traumatisches Potenzial. Diesem weiten Feld nähert sich der vorliegende Band aus einer primär therapeutischen Perspektive. Gleichzeitig wird schon anhand der Schwerpunkte der Einzelartikel deutlich, dass Traumatisierung nie nur auf eine unmittelbar persönliche Problematik begrenzt werden kann. Politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, kulturelle Unterschiede sowie Fragen der Professionalisierung der behandelnden Therapeut/innen sind stets maßgeblich an der Ausprägung und an den Bewältigungsmöglichkeiten bei Traumatisierungen beteiligt.

Im ersten Teil des Buches, überschrieben mit »Traumabewältigung in der Fremde«, werden Belastungssequenzen von Migrant/innen und Flüchtlingen im Aufnahmeland herausgearbeitet. In einem einleitenden Beitrag beschreibt Maximiliane Brandmaier zu- nächst überblicksartig die Belastungserfahrungen, denen zwangsmigrierte Menschen in Deutschland ausgesetzt sind. Hierzu gehören insbesondere der fehlende Aufenthaltsstatus und nicht vorhandene Arbeitsmöglichkeiten. Ausgehend vom Modell der Sequenziellen Traumatisierung arbeitet sie Folgen für die Diagnostik und Versorgung dieser Personengruppe heraus. Diese müssten jeweils multidisziplinär und kultursensibel angelegt sein. Ohne die soziale Unterstützung und die Reflexion der politischen Situation kann individuell angelegte Therapie, so das Fazit der Autorin, in diesem Kontext seine Wirkung nicht entfalten. Weitere, eher kasuistisch angelegte Beiträge zu struktureller Gewalterfahrung in aufenthaltsrechtlichen und schulorganisatorischen Feldern sowie zur kultursensiblen Psychotherapie ergänzen den ersten Teil des Buches.

Der zweite, bei weitem umfassendste Buchteil beschäftigt sich mit therapeutischen Konzepten in der Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen. Ferdinand Haenel erläutert in seinem Beitrag das teilstationäre Behandlungskonzept des Berliner Behandlungszentrums für Folteropfer. Die lebensweltlich und multiprofessionell orientierte Arbeit mit teils schwer traumatisierten Menschen wird sehr eindrucksvoll dargestellt. Durchaus kontrovers darf allerdings diskutiert werden, inwiefern die Betonung von Aktivität und die sehr restriktiv gehandhabte Begrenzung des Rückzugs in einen Ruheraum den traumatischen Erfahrungen der Menschen nicht ein weiteres Belastungsfeld hinzufügt. In einem schon im Titel mit dem Begriff der »Festung Europa« arbeitenden Beitrag stellt Barbara Preitler die schweren und fortdauernden Belastungen für Flüchtlinge in Ö̈sterreich dar (wobei viele Gesichtspunkte auch auf das bundesdeutsche System übertragen werden können). Dabei wird deutlich, dass die posttraumatische Belastung die falsche Kategorie ist, denn es geht um einen sich chronifizierenden, am ehesten wohl sequenziellen traumatischen Prozess. Dies spiegele sich, so die Autorin, in der Therapie wieder, die sehr stark durch den geteilten Affekt der Hilflosigkeit geprägt sei. Inhaltlich hieran anknüpfend arbeiten Jan Ilhan Kizilhan u.a. in ihrem Beitrag zur Posttraumatischen Belastungsstörung deutliche Schwierigkeiten in der Anamnese heraus. Sie gehen dabei primär auf kulturell unterschiedliche Verarbeitungsmuster von Belastungserfahrungen ein, das Aktuell-Politische der Traumatisierung bleibt dabei leider etwas randständig.

Der Band wird von einem dann deutlich auf die politischen Zustände bezogenen Beitrag von Mechthild Wenk-Ansohn u.a. zu Stellungnahmen im Asylverfahren abgerundet. Darin wird dargelegt, dass Traumatisierung zwar als relevanter Faktor im Asylverfahren anerkannt wird, sich die Vorstellung schwerster Belastung aber zu sehr auf die Diagnose PTBS beschränkt. Es werden wesentliche Standards für Begutachtungen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren herausgearbeitet, die insbesondere die menschliche Beziehung zwischen Psycholog/innen und Antragsteller/innen betonen.

Mit der recht breiten Anlage des Bands werden unterschiedliche, vielfach spannende Felder des Themas »Trauma und Migration« behandelt. Bei einzelnen Aufsätzen wäre eine etwas stärkere theoretische Fundierung wünschenswert. Gerade im zweiten Teil stehen einzeln sehr interessante Beiträge oft etwas unverbunden nebeneinander. Gerade die PTBS-Diskussion böte hier Möglichkeiten des kontroversen Diskurses auch innerhalb eines Buches. Unabhängig von diesen Einwänden handelt es sich jedoch um einen äußerst spannenden Sammelband zu einem hochaktuellen und vielschichtigen Thema. Obwohl er primär therapeutisch angelegt ist, ist er auch für assoziierte Professionen (Ärztinnen, Pädagogen) als Lektüre empfehlenswert.

David Zimmermann, Hannover

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