Rezension zu Patient Scheidungsfamilie (PDF-E-Book)
Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 62 (2013), 739–742
Rezension von Beat Manz
Figdor, H. (2012). Patient Scheidungsfamilie. Ein Ratgeber für
professionelle Helfer. Gießen: Psychosozial-Verlag, 360 Seiten,
29,90 €.
Helmuth Figdor, Dr. phil., Psychoanalytiker, Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeut, Erziehungsberater und Lehrbeauftragter
für Erziehungswissenschaften an zwei Universitäten in Wien, hat
sein drittes Buch zum Thema »Trennung und Scheidung«
veröffentlicht. Es wendet sich an professionelle Helfer, die mit
Scheidungsfamilien zu tun haben und ist in vier Teile
gegliedert.
Im ersten Teil – Trennung und Scheidung aus Sicht des Kindes und
seiner Entwicklung – werden die Funktionen des Vaters im
Heranwachsen des Kindes erläutert. Zentraler Begriff ist die
Triangulierung: Der Vater, als drittes Objekt, erlaubt dem
Kleinkind, sich aus der Symbiose mit der Mutter herauszulösen und
jene innere Struktur zu schaffen, die es erkennen lässt, dass es
eine eigenständige Person unabhängig von der Mutter ist. Im
ödipalen Konflikt muss es unter dem Einfluss des Inzestverbots die
ersten Liebeswahlen aufgeben, was ihm den Zugang zu den
Gemeinschaften außerhalb der Familie eröffnet. Wo der Vater
längere Zeit fehlt, durch die Scheidung abhandenkommt, ist die
gesunde psychische Entwicklung des Kindes gefährdet, denn die
verinnerlichte Triade braucht die ständige Stützung beider
Eltern, um dem Kind Sicherheit und Selbstvertrauen zu geben. Auch
Pflege- oder Stiefeltern können die leiblichen Eltern in der Regel
nur ungenügend ersetzen. Figdor rät daher, wenn immer möglich
dafür zu sorgen, dass das Kind beide Eltern regelmäßig besuchen
kann.
Im zweiten Teil geht es um die freiwillige Psychotherapie und
Beratung der in der Trennung oder Scheidung begriffenen Eltern, im
dritten um die Beratung im Zwangskontext.
Figdors Beratungsmodell basiert auf einer doppelten Identifizierung
des Beraters mit den Sorgen der ratsuchenden Eltern bzw. des zur
Beratung erschienenen Elternteils und des von der Scheidung
betroffenen Kindes (oder Kinder). In der Herstellung des
Arbeitsbündnisses geht es darum, dass die Eltern im Berater den
Experten anerkennen, der im Namen des Kindeswohls ihre jeweiligen
Eigeninteressen einschränken darf. Bei hochstrittigen Eltern
empfiehlt Figdor dem Richter, eine Beratung vorzuschreiben, auch
wenn eine vorausgegangene Mediation keine Einigung erbracht hat.
Der Berater muss Verständnis für die Anliegen beider Eltern
zeigen, aber auch darauf hinweisen, wie schlimm die Kinder unter
dem Streit der Eltern leiden und wie stark sie noch leiden werden,
wenn sie auf einen der beiden Elternteile ganz oder zu oft
verzichten müssen. Die Schilderung der Zerrissenheit der Kinder,
die die Eltern betroffen macht, und der Appell an ihre jeweilige
Liebe zu ihrem Kind, auch wenn diese vom anderen Partner in Abrede
gestellt wird, bewirken in vielen Fällen, dass sie, manchmal sogar
gegen den Rat ihrer Anwälte, ein für das Kind günstige Lösung
finden. Gelingt das nicht, leiden die Kinder unter
Loyalitätskonflikten. Figdor kommt in zwei weiteren Kapiteln auf
die Kontaktverweigerung von Kindern mit dem abwesenden Elternteil
zu sprechen. Er zeigt, wie ein einfühlsamer Berater zuerst die
Eltern zur Zusammenarbeit, alsdann das Kind für die
Wiederannäherung an den gemiedenen Elternteil gewinnt.
Im vierten Teil werden einige besondere Themen im Zusammenhang mit
dem Familiengerichtsverfahren kritisch gewürdigt: Die
Sachverständigenpraxis, Gründe für Kindeswohlgefährdung durch
einen Elternteil, der optimale Verteilungsschlüssel für den
Aufenthalt der Kinder bei gemeinsamer Obsorge und das
österreichische Modell des »Kinderbeistandes«, eines neutralen
Interessenvertreters des Kindes.
Das Buch zeigt uns einen durch die langjährige Erfahrung mit
Trennungs- und Scheidungsfamilien versierten und für das
Kindeswohl engagierten Experten. Durch die eingestreuten
Fallvignetten ist es äußerst informativ und gut lesbar
zugleich.
Beat Manz, Liechtenstein