Rezension zu Psychoanalytiker im Spielfilm (PDF-E-Book)

www.literaturkritk.de, Nr. 10, Oktober 2013

Rezension von Andreas Hamburger

Nachrichten von der Filmcouch
Die neuere Filmpsychoanalyse hat sich professionalisiert

Von Andreas Hamburger

Seit 2005 hat sich der Psychosozial-Verlag zu einem Zentrum der deutschsprachigen Filmpsychoanalyse entwickelt. Durch die Übernahme der renommierten, von Gerhard Schneider und Peter Bär herausgegebenen Reihe »Im Dialog: Psychoanalyse und Filmtheorie« hat der Verlag die bisher 15 eigenen Titel um ein Flaggschiff von neun hochwertigen Themenbänden ergänzt.

Die Filmpsychoanalyse hatte einen weiten Weg. Aus ihren Anfängen in den 1950er-Jahren, oft idiosynkratischen Feierabendinterpretationen aus jener Motivationslage heraus, die Theodor W. Adorno die »Banausie feinsinniger Ärzte« genannt hat, hat sie sich seit den Achtzigern professionalisiert. Die hier zu besprechenden Arbeiten spiegeln diese Entwicklung.

Nach den bisher besprochenen Arbeiten zur Filmpsychoanalyse hat der Psychosozial-Verlag seinen verlegerischen Mut so weit gesteigert, eine Dissertation herauszubringen, zweifellos bewogen durch die Qualität derselben. Im Gegensatz zu den oben besprochenen Büchern ist dies keine psychoanalytische Untersuchung, sondern eine soziologische, die die Profession der Psychotherapie beziehungsweise Psychoanalyse, genauer ihre filmische Darstellung zum Gegenstand nimmt. Auch dies ist ein bereits begonnener Weg: ältere Standardwerke (Irving Schneider 1985, Glen und Krin Gabbard 1987) haben den Grundstein gelegt, indem sie als gängige Analytikerfiguren im Spielfilm den trotteligen »Dr. Dippy«, den väterlichen »Dr. Wonderful« und den dämonischen »Dr. Evil« ausmachten, mit weiteren Varianten wie »the Alienist, the Quack, and the Oracle«. Filmklischees, die ganz unabhängig von der realen psychoanalytischen Praxis die Jahrzehnte auf der Leinwand überdauerten, mit zyklisch wechselnder Konjunktur, und nur sehr langsam professionellere Züge annahmen. Wohlrab (2005) – ebenfalls bei Psychosozial erschienen – sieht in dieser Typisierung eine Auswirkung der Scham und Idealisierung, die mit dem Beruf des Psychoanalytikers verbunden ist.

Nun dürfen wir auf die eigene Studie von Sylvia Herb gespannt sein. Wir werden belohnt durch den weiten, soziologischen Blick der Autorin, die, gelassen gegenüber den verzerrten Darstellungen der analytischen Profession, konstatiert, dass etwa der dämonische Analytiker dem übergreifenden, von der filmsoziologischen PUS (›Public Understanding of Science‹)-Forschung beschriebene »mad scientist«-Typ zuzuordnen ist und dass die zunehmende Erotisierung der analytischen Beziehung seit den achtziger Jahren ebenfalls einem allgemeinen Trend entspricht. Die empirische Untersuchung erfolgt durch eine tiefenhermeneutische Analyse von US-Mainstreamfilmen aus den Jahren 1980 bis 2005. Im ersten Schritt werden bildanalytisch die Erkennungsmarker des Psychoanalytiker-Genres herausgearbeitet, zunächst (eine hübsche Idee) anhand von Psycho-Cartoons (mit dem über 50 Jahre stabilen Ergebnis: Psychoanalytiker sind männlich und Brillenträger, haben Couch, Notizblock und Bart), anschließend in systematischer Bildanalyse erarbeitet an Stills aus drei Filmen aus den Achtzigern: »Dressed to Kill«, »Ordinary People« und »Zelig«. Die weiteren Untersuchungsschritte werden an textbasierten Szenenanalysen durchgeführt: So etwa zur Modellierung des Expertenstatus; hier werden der allmächtige Analytiker in »Nuts« (USA 1987) und der ohnmächtige in »Analyze This« (USA 1999) kontrastiert.

Professionssoziologisch zeigt sich daran die Hinterfragung des Leistungsrollenträgers im Gesundheitssystem, der »Aufstand des Publikums« (Gerhards). Aufstand des Publikums? Dem Leser erschließt sich diese Formel erst nach einer kurzen Pause, in der er gewissermaßen einen anderen Film einlegen muss: Denn in der Luhmann’schen Terminologie ist damit nicht das Kino-, sondern die systemtheoretisch »Publikum« genannte Nutzergruppe gemeint, hier also die Patienten. Die Schaltpause freilich kann genutzt werden um die Frage zu entwickeln, ob sich hier nicht eine gewisse Unschärfe des Ansatzes bemerkbar macht. Denn die Verwirrung ist nicht nur transdisziplinär. Auch im soziologischen Denkraum selbst indiziert die Homophonie den Spagat der Untersuchung zwischen Professions- und Mediensoziologie. Methodisch werden zwei Publika in eins gesetzt, die doch allenfalls eine Schnittmenge gemeinsam haben: Mediensoziologisch wäre das Systempublikum des Films eben doch nicht die Gruppe der Patienten, sondern der Kinobetrachter; deren Reaktion auf Filmfiguren im Kino unterschieden ist davon, was im Bereich realer seelischer Krankheit und Heilung verhandelt wird.

Zwar sind Gesundheits- und Mediensystem voneinander nicht unabhängig; Leiden ist nicht nur individuell, sondern folgt sozialen Klischees, und insofern stehen gefilmtes Leid und inszenierte Heiler auch bisweilen symptomatisch dafür, wie Menschen ihr Kranksein erleben. Umgekehrt sind auch mediale Inszenierungen nicht realisierbar ohne bei realen Zuschauern reale Reaktionen auszulösen – und diese Zuschauer sind gelegentlich vielleicht auch Patienten. Und doch sind die beiden Sphären alles andere als deckungsgleich. Ganz abgesehen davon, dass (jedenfalls aus Sicht der Filmpsychoanalyse, aus der ich hier schreibe) im soziologischen Kondensat erhebliche Anteile der Sache selbst ausgedampft sind (und sein müssen). Der Soziologin, sei es der Medien- oder (wie hier) der Professionssoziologin, werden reale Zuschauer zu paradigmatischen Akteuren, reale Filme vom Kunstwerk zum sozialen Symptom. Wollte man das beklagen, so müsste man erneut die Abstraktheit des systemtheoretischen Ansatzes anprangern; das ist aber hinlänglich bekannt.

Erwähnt werden darf aber aus der Sicht des »Publikums« professionssoziologischer Leistungsangebote (nämlich der Leser), das dieses nicht immer amused ist, wenn ihm Erkenntnis angeboten wird, die bruchlos aus der medialen Inszenierung der Profession schöpft. Man möchte dann vielleicht doch härtere Daten. Vielleicht sind die Psychoanalytiker, über die hier aufgrund der Analyse von Filmexemplaren gesprochen wird, draußen im Feld doch etwas anderes als »Dr. Dippy«, »Dr. Wonderful« und »Dr. Evil«? Und das Systempublikum der mediensoziologischen Leistungsangebote (also wiederum die Leser)? Meutert es, wenn die Analyse dieser Professions-Inszenierung deren Kunstcharakter beiseite setzen muss, weil sie ja soziologische Interessen verfolgt? Fordert sie von den Soziologen, mehr über das Eigene der Kunst wissen zu wollen als über das Symptomatische? Leider zu wenig.

Soweit der allgemeine Einwand gegen den Ansatz; der Autorin freilich ist zugutezuhalten, dass sie sich dieser Reduktionismen durchaus bewusst ist und auch die Unzufriedenheit ihrer Publika referiert. Sie hat nicht vor, die Grenzen ihrer Profession in Frage zu stellen; sie macht einfach saubere Arbeit. In ihren Detailanalysen behandelt Sylvia Herb professionssoziologisch relevante Fragestellungen der sozialen Differenz oder Ähnlichkeit zwischen Analytiker und Patient (anhand von »House of Games« (USA 1987) – als Exempel der Lebensferne – und »Prime« (USA 2005) als Beispiel für lebensweltliche Verflechtung) sowie der Nähe und Distanz (anhand von »Final Analysis«, USA 1992 und »What about Bob?«, USA 1991). Aufschlussreich und flüssig zu lesen sind all diese Detailanalysen, und insofern hat der Psychosozial-Verlag das Risiko, eine Dissertation zu veröffentlichen, wohl nach aufmerksamer Lektüre und völlig zu Recht auf sich genommen. Dem Buch sind viele Leser zu wünschen, die das Verhältnis Psychoanalyse und Kino einmal anders betrachten wollen: wie jene bei diesem in (soziologische) Analyse geht, das ist gerade wegen des nüchtern-beschreibenden Blicks allemal eine Lektüre wert.

www.literaturkritik.de

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