Rezension zu Die verborgenen psychologischen Dimensionen der Finanzmärkte
Psychologie Heute 40. Jahrgang, Heft 12/Dezember 2013
Rezension von Tilmann Moser
Gier, Neid, Angst, Rivalität
David Tuckett fragt nach dem Einfluss menschlicher Emotionen auf
die Finanzmärkte
Wenn ein Psychotherapeut wissen will, was ein Ökonom über
Anlageberater denkt, und wenn ein Ökonom und Politiker wissen will,
was ein Psychoanalytiker über die Tiefenpsychologie der hohen und
höchsten Manager von Banken und Hedgefonds denkt, dann greift er
zum gleichen Buch, denn David Tuckett ist Ökonom, Soziologe und
Psychologe in einer Person, weltweit vernetzt mit anderen Koryphäen
aus den verschiedensten Disziplinen. Ihm gelang es,
Tiefeninterviews mit 50 Fondsmanagern aus aller Welt zu führen, die
im Laufe einiger Monate mehrere Milliarden bewegen.
Seine Fragetechnik förderte Erkenntnisse zutage, die nach Meinung
des nicht uneitlen Autors die Finanzwissenschaft wie die Politik
verändern sollten.
Die Antworten der Befragten sind faszinierend und kreisen um die
gleichen Themen: Triumphe und Niederlagen, Skepsis und magische
Hoffnungen, das Schwanken zwischen Genialität und Selbstzweifel.
Auch das Lauern auf das finale Schnäppchen, die mühsamen Versuche,
Niederlagen durch plausible Geschichten zu verarbeiten, sowie die
Angst, ob der hochbezahlte Job noch sicher ist, tauchen in den
Antworten immer wieder auf.
Man erfährt viel über den Druck, unter dem die Spitzenleute stehen,
die einen Teil ihres Lebens am Bildschirm verbringen, um die Märkte
zu beobachten und sich über ihre tägliche Performance zu
informieren. Ihr Leben vollzieht sich zwischen Gier, Neid, Angst
und Rivalität. Der Druck kommt von mehreren Seiten: vom
Arbeitgeber, von gierigen Kunden, die mit Kündigung drohen, wenn
der Gewinn nicht stimmt, von Veränderungen des Marktes oder auch
nur der Marktstimmung, von Trends, denen man folgen oder gegen die
man sich stemmen kann, wenn man Ichstärke oder Nerven genug hat,
die eigenen Ideen für überlegen zu halten.
Das Schicksalswort lautet: Ambivalenztoleranz oder die Fähigkeit,
zwischen zu vielen, oft unverarbeitbaren Informationen und
schließlich dem schlichten Bauchgefühl zu pendeln. Bei aller
Rationalität und langjährigen Erfahrung bleibt die Lage letztlich
doch schwer oder unberechenbar. Und wo so viele offene oder
verdeckte Egoismen aufeinanderstoßen, sieht Tuckett die Theorien
des Neoliberalismus in den Finanzorkus taumeln.
Tilmann Moser