Rezension zu »Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«

Gießener Anzeiger

Rezension von Stephan Scholz

»Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«
Buch über die Holocaust-Überlebenden Hilde und Rose Berger

»Gegen Ende Oktober 1944 wurde das Schindler-Kontingent, ungefähr 300 Frauen und 700 Männer, auf Waggons Richtung Brünnlitz geladen. Als wir ausgeladen wurden, sahen wir jedoch mit Schrecken, dass wir in Auschwitz-Birkenau waren!«, schreibt Hilde Berger (heute Berger-Olsen) in ihrer Lebensgeschichte über den Abschnitt der Jahre 1914 bis 1945. Dieser Text und eine Reihe weiterer ist veröffentlicht im Band »›Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste‹ Die Geschichte von Hilde und Rose Berger«, der unter der Herausgeberschaft von Prof. Reinhard Hesse jetzt im heimischen Psychosozial-Verlag erschienen ist.

Lebenserinnerung

Auf gut 220 Seiten versammelt das Buch vor allem Gespräche mit den Holocaust-Überlebenden Hilde und Rose Berger. Den Einstieg markiert die von ihr selbst niedergeschriebene Lebenserinnerung Hilde Bergers, in der die Jüdin zunächst ihre Geschichte als Widerstandskämpferin und Trotzkistin in Berlin erzählt. 1936 von der Gestapo verhaftet und zu mehreren Jahren Haft verurteilt, gelangte sie nach einigen weiteren Stationen im von den Nazis besetzten Polen in das nahe Krakau gelegene Konzentrationslager Plaszow. Als Schreibkraft für SS-Hauptscharführer Müller erlebte sie die Barbarei der Nazis direkt mit. »Im Sommer 1944 kam ein ziemlich großer Transport mit über 2.000 Juden aus Ungarn in Polen an. Müller sortierte die Leute mithilfe jüdischer Kapos. Diejenigen, die arbeiten konnten, wurden ins Arbeitslager gebracht. Die meisten aber wurden auf einen Hügel getrieben und auf der Stelle umgebracht. Wir konnten alle die Schüsse hören. Später kam mir zu Ohren, dass eine spezielle jüdische Gruppe den Befehl erhalten hatte, das Zahngold zu entfernen und die Haare zu schneiden – beides wurde nach Deutschland geschickt«, berichtet Berger. Als das Konzentrationslager im Herbst 1944 geräumt wurde, gelangte sie an Schindlers Liste und setzte sich und einige andere darauf. Doch der Zug fuhr in Richtung Auschwitz ab, und in ihrem Text erinnert sich die 2011 verstorbene Wahl-Amerikanerin an die Grausamkeiten in dem Vernichtungslager. »Fast jeden Tag, wenn wir draußen standen, gab es Alarm und wir mussten zurück in die Baracken, weil ein neuer Transport kam, der dann komplett zur ›Sauna‹ gebracht wurde, wo statt Wasser Gas aus den Duschköpfen strömte.« Nach vier Wochen Aufenthalt habe die Gruppe die Hoffnung bereits aufgegeben gehabt, um schließlich doch noch zu Oskar Schindler im damals tschechoslowakischen Brünnlitz zu kommen. Vor den auch dort erfahrenen Bedrohungen durch die SS schützte sie der Fabrikant. »Schindler versicherte uns, dass er entschlossen sei, uns zu retten und dass er mit dem geheimen tschechischen Widerstand von Brünnlitz in Kontakt sei, der ihm Waffen versprochen habe für den Fall, dass es nötig sei.« Zu einem solchen Kampf kam es durch das Kriegsende nicht mehr. Berger fuhr zurück nach Polen, um dort festzustellen: »Ich war nicht glücklich wieder in Polen zu sein und nach ein paar Wochen verlor ich die Hoffnung, irgendwelche Verwandte wiederzufinden.« Im Oktober 1945 reist die ehemalige Nazi-Widerstandskämpferin ins schwedische Stockholm, um sich später schließlich in den USA niederzulassen.

Dort hat Trin Haland-Wirth, Verlegerin des Psychosozial-Verlags, sie persönlich kennengelernt. Gemeinsam mit ihrem Mann, Prof. Hans-Jürgen Wirth, sei sie 2002 für ein halbes Jahr nach New York gegangen, um dort jüdische Psychoanalytiker, die als Kinder emigriert waren, zu interviewen und zu befragen, wie die Emigration ihre Entscheidung für die Profession beeinflusst hat. Im Zuge dieser Aktivitäten ist das Verlegerehepaar mit einem Mittwochsstammtisch jüdischer Emigranten in Kontakt gekommen, der sich seit Kriegsende bis heute trifft. »Es wird Deutsch gesprochen und über politische oder literarische Themen diskutiert«, so Haland-Wirth, die sich mit ihrem Mann der Runde anschloss. Dort habe sie auch Hilde Berger kennengelernt, die bei Oskar Schindler Sekretärin wurde. Gerade der Umstand, dass es ihr selbst gelang, sich auf die Liste zu setzen, während andere sterben mussten, habe sie sehr belastet, erklärt die Verlegerin, die gerade das als Ursache der schweren Traumatisierung von Hilde Berger ausmacht.

Wer mehr wissen möchte über Hilde und Rose Berger und die Verbrechen des Holocaust, dem ist »›Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste‹ Die Geschichte von Hilde und Rose Berger« unbedingt zu empfehlen. Das Buch ist für 19, 90 Euro im Buchhandel erhältlich. Weitere Informationen auch im Internet unter web.psychosozial-verlag.de.

www.giessener-anzeiger.de

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