Rezension zu »Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«
Jüdische Allgemeine Nr. 41/13
Rezension von Ronald Kaufhold
Ein jüdisches Jahrhundert
Gespräche mit Hilde und Rose Berger
Die Schwestern Hilde und Rose Berger hatten sehr viel Glück. Sie
überlebten als Juden und Linke die Jahre der Verfolgung. Geboren
sind sie 1914 beziehungsweise 1918 im ukrainischen Boryslaw,
aufgewachsen im Berlin des Ersten Weltkriegs als staatenlose Juden.
Später emigrierten sie, nach Verfolgung und kurzer KZ-Haft, in die
USA, wo sie vor wenigen Jahren verstorben sind. Als Mitglieder des
legendären New Yorker Stammtisches vertriebener Österreicher und
Deutscher teilten sie im Alter ihre Erfahrungen, knüpften auch
wieder Kontakte mit ihrer alten Heimat. 1996 lud Alfred Biolek
Hilde Berger in seine Talkshow ein, wodurch ihr Schicksal einer
breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Reinhard Hesse, mit den
Bergers weitläufig verwandt, hat fünf umfangreiche Interviews mit
Hilde und Rose aus den Jahren 1978 bis 2005 zu einem lesenswerten
Buch zusammengestellt. Ergänzt werden die Interviews durch
Erläuterungen, Fotos sowie einen persönlichen Brief des
Herausgebers.
Hilde Berger Olsen arbeitete als Sekretärin des jungen
Industriellen Berthold Beitz und später für Oskar Schindler. Sie
war zuständig für die Anfertigung jener Liste, dank der etwa 1200
Juden in Polen und der CSSR überlebten. Der kürzlich verstorbene
Beitz – der, weil er mehreren 100 Juden das Leben gerettet hat,
1973 von Yad Vashem als »Gerechter unter den Völkern« geehrt wurde
– hat kurz vor seinem Tode das persönlich gehaltene Vorwort
verfasst. Hierin führt er aus:»Hilde Berger und ich waren noch in
unseren 20ern, als wir in Boryslaw die wahrscheinlich
dramatischste, prägendste und schwierigste Zeit unseres Lebens
durchmachten. Sie als jüdische Gefangene – auch als meine zweite
Sekretärin immer vom Tode bedroht. Ich als jugendlicher Chef der
kriegswichtigen ›Karpaten-Ölgesellschaft‹ mit Tausenden von
Beschäftigten – immer gezwungen, mit den damaligen Machthabern
zurechtzukommen.«
Die Interviews mit Rose und Hilde Berger ermöglichen einen guten
Einblick in zwei komplexe politische Biografien. Die Themen eines
jüdischen Lebens, Loslösung von den Eltern, zunehmende politische
Radikalisierung, sozialistischer Zionismus, Widerstand gegen den
Nationalsozialismus, Überleben von Verfolgungssituationen,
Trotzkismus sowie spätere politische Liberalität in den USA bilden
prägende Motive des Buches.
Reinhard Hesse (Hg.): »Ich schrieb mich selbst auf Schindlers
Liste. Die Geschichte von Hilde und Rose Berger«. Mit einem
Geleitwort von Berthold Beitz. Psychosozial, Gießen 2013, 224
Seiten, 19,90 €
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