Rezension zu »Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«
Neues Deutschland, 9.–13. Oktober 2013
Rezension von Marianne Walz
Auf Schindlers Liste
Die Geschichte von Hilde und Rose Berger
Reinhard Hesse: »Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste«. Die
Geschichte von Hilde und Rose Berger. Psychosozial-Verlag. 223 S.,
br., 19,90€.
Sie gehen auf die Hundert zu oder sind bereits verstummt: Menschen
wie Hilde und Rose Berger, die als einzige aus ihrer Familie den
Holocaust überlebten. Reinhard Hesse hat die Berichte der beiden
klugen und standhaften Frauen aufgezeichnet. Das Vorwort zum Buch
schrieb Berthold Beitz, der vor kurzem verstorbene westdeutsche
Industriekapitän, der dereinst Juden rettete wie Oskar
Schindler.
Filme wie Steven Spielbergs »Schindlers Liste« zeigen die Guten und
die Bösen klar voneinander getrennt. Hesse, Professor für
Philosophie und Ethik, ist stärker an den sittlichen Konflikten
interessiert. Ein persönlicher Zugang eröffnete sich ihm über
seinen Onkel, der mit Hildes Mann Alex Olsen, ein enger Mitarbeiter
Leo Trotzkis in dessen mexikanischem Exil, befreundet war.
Hilde, geboren 1914, und Rose, Jahrgang 1918, wuchsen zusammen mit
ihrem Bruder Hans und Schwester Regina in einem armen,
strenggläubig-jüdischen Elternhaus auf. Der Vater war Schneider.
Der Mutter gelang es, den begabten Töchtern eine gute Schulbildung
zu ermöglichen. Die, im unruhigen Berlin der 1920er Jahre
Heranwachsenden waren früh für soziale Probleme sensibilisiert,
lösten sich alsbald vom chassidischen Väterglauben und wandten sich
dem sozialistischen Zionismus zu. Hilde trat in den kommunistischen
Jugendverband ein, der ihr jedoch dann zu viele Ähnlichkeiten mit
ihres Vaters Orthodoxie aufwies. Zunehmend begeisterte sie sich für
die revolutionären Schriften des Stalin-Widersachers Trotzki.
Hildes Leidensstationen nach Hitlers Machtantritt: Gestapohaft,
Ausweisung nach Polen und – nach dem faschistischen Überfall auf
das Nachbarland – KZ-Internierung und Zwangsarbeit in der
Ölförderung bei Boryslaw. Hier wurde sie Sekretärin des jungen
Berthold Beitz. Er rettete sie, als sie nach einem
Schwangerschaftsabbruch zu verbluten drohte, fuhr sie in eine
Klinik. Beitz suchte ähnlich wie Schindler Juden vor der
Deportation in die Todeslager zu bewahren, indem er sie als
Arbeitskräfte anforderte. Hilde tippte die Listen. Als sie in einem
Transport ins tschechische Brünnlitz Überlebenschancen für sich
sah, setzte sie ihren Namen mit auf den Transportschein. In
Brünnlitz betrieb Schindler seine Emailwarenfabrik. Die Fahrt
dorthin drohte jedoch in Auschwitz zu enden. Schindler holte
»seine« Juden in letzter Minute heraus.
Auch Rose Bergers Berichte aus dem französischen Exil zeugen von
ständiger Angst vor Denunzianten und übelwollenden Passbeamten, von
Hunger und Existenznot. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in
Frankreich floh sie mit ihrem VerIobten und späterem Mann Arthur
Reetz gleich Tausenden Emigtanten in den noch unbesetzen Süden.
Rose berichtet auch über die Solidarität der einfachen Menschen mit
den Verfolgten.
Beitz hat nach Kriegsende Kontakt zu seiner ehemaligen Sekretärin
Hilde gesucht, die inzwischen Olsen hieß und in Schweden lebte. Er
bat sie um eine eidesstattliche Erklärung über sein Verhalten in
Boryslaw. Hilde lehnte ab, denn sie hatte dessen Bemerkung nicht
vergessen: »Dieser Krieg ist uns vom internationalen Judentum
aufgezwungen worden, ... es ist gerecht, dass die Juden hier
bestraft werden.« Beitz meint im Vorwort zu diesem Buch, Hilde habe
sich »nicht in die komplexe und dilemmatische Lage hineinversetzen
können, in der ich mich – auch den Opfern gegenüber – durchgehend
befand«. Wie auch immer: Beitz wurde 1973 die Ehrung als »Gerechter
unter den Völkern« in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem
zuteil. Hilde nahm ihre Ablehnung zurück und pflegte mit ihm
freundschaftlichen Kontakt.
Marianne Walz