Rezension zu Rechtsextremismus der Mitte (PDF-E-Book)
PW-Portal – Portal für Politikwissenschaft
Rezension von Dirk Burmester
Oliver Decker / Johannes Kiess / Elmar Brähler
Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische
Gegenwartsdiagnose
Seit 2002 haben Leipziger Wissenschaftler die Entwicklung
rechtsextremer Einstellungen in Deutschland untersucht und in
diesem Kontext alle zwei Jahre repräsentative Befragungen
durchgeführt. In diesem Band präsentieren sie die zentralen
Ergebnisse, die sie in eine gesellschaftliche Theorie einbetten.
Zwar wurde sie bereits in den früheren Arbeiten vorgestellt, doch
Decker et al. räumen ihr hier mehr Platz ein. Im Zentrum steht die
Vorstellung einer Moderne als Ort permanenten Wandels und
krisenhafter Umbrüche. Deutschland wird dabei keineswegs als ein
vollständig säkularisiertes Land verstanden, denn der Kapitalismus
weise zahlreiche religiöse Merkmale auf. Zugleich wirke er als
»narzisstische Plombe« (19) auf die nach dem Zweiten Weltkrieg in
ihrem Selbstwert erschütterte deutsche Volksseele. In der Analyse
der Hintergründe rechtsextremer Einstellungen scheint leider alles
irgendwie mit allem zusammenzuhängen; sie liest sich daher auch
eher wie eine linke Fundamentalkritik herrschender Zustände –
versehen mit zahlreichen Verweisen auf Karl Marx. Die Autoren
kritisieren u. a. die neoliberale Wirtschaftspolitik und die
Ökonomisierung vieler Lebensbereiche. Sie beklagen den Verlust
politischer Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Der demokratische
parlamentarische Prozess sei fassadenhaft und die Bürger würden
sich nicht ausreichend politisch beteiligen. Lesenswert ist
hingegen das Kapitel über die Bedeutung von Verschwörungstheorien
für Rechtsextremisten – ein Aspekt, der bislang in der
Rechtsextremismusforschung relativ wenig thematisiert wurde. Hinter
der »Verschwörungsmentalität« (145) stecken demnach unbewusste
Außenprojektionen zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Kontrolle
und Verstehen. So werden etwa Kriege oder Umstürze als gewollt und
planbar wahrgenommen. Die Analyse politischer Einstellungen mit den
Mitteln der Psychologie kann wertvolle Erkenntnisse über die
etablierten politikwissenschaftlichen Herangehensweisen hinaus
liefern. Dennoch ist bei der Deutung quantitativer Daten mittels
psychologischer Theorien Vorsicht geboten.
Dirk Burmester (DB)
Dr., Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Angestellter der
Freien und Hansestadt Hamburg.
Empfohlene Zitierweise: Dirk Burmester, Rezension zu: Oliver Decker
/ Johannes Kiess / Elmar Brähler: Rechtsextremismus der Mitte.,
Gießen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft,
http://pw-portal.de/rezension/36086-rechtsextremismus-der-mitte_44300,
veröffentlicht am 22.08.2013.
pw-portal.de