Rezension zu Die Schutzbefohlenen
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Rezension von Christoph Fleischer
Ausgelieferte, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013
Zu: Bruno Preisendörfer: Die Schutzbefohlenen
Wenn es doch auch wenig hilfreich ist, die Pointe einer Erzählung
oder eines Romans in einer Rezension vorwegzunehmen so ist es umso
einfacher und wichtiger, seine inhaltliche Linie auf einen Punkt zu
bringen. Die Frage, die Bruno Preisendörfer mit seinem Titel stellt
und in Form einer Erzählung erzählerisch beantwortet, lautet: »Wer
sind die Schutzbefohlenen? Wofür und wovor werden sie
geschützt?«
Die Kinder eines Internats werden zu Ausgelieferten, weil ihr
Schutz dem Schutz der Institution untergeordnet wird. Eine fiktive
Geschichte über eine Schulzeit in einem katholischen Internat,
erzählt aus der Perspektive eines Jungen, wird verbunden mit dem
redaktionell angepassten, aber authentischen Tagebuch des Autors
aus der eigenen Internatszeit. Die lebensgeschichtliche Spur endet
in erneuten Begegnungen der nunmehr erwachsenen Hauptperson mit
einem Lehrer und einem ehemaligen Mitschüler. Dieses letzte
Zusammentreffen ist zwar nicht befriedigend, aber klärend; auch für
die LeserIn. Dabei geht es auch um die Frage, wie offen oder
versteckt Vorwürfe eine Rolle spielen, die auch seitens der
Schutzbefohlenen aufkommen. Die Frage, welche Verletzungen
absichtlich oder unbeabsichtigt von der Institution und ihren
Vertretern ausgehen, ist nicht mehr mit den Beteiligten zu
besprechen.
In der »Nachschrift« zeigt der Autor, dass er in seiner eigenen
Begegnung mit der Institution Kirche als ein um Aufklärung bemühter
Betroffener von Ereignissen sexuellen Missbrauchs in einem
katholischen Internat, erfahren musste, dass der Schutz der
Institution an erster Stelle steht.
Die Veröffentlichung der am Ende des Buches dokumentierten
Kurzgeschichte »Unschuld« in der Süddeutschen Zeitung hatte im Jahr
2010 zu einem »aufarbeitenden Gespräch« mit Vertretern der
katholischen Kirche geführt. Die Motive der Kurzgeschichte tauchen
als Teil der Erzählung zum Teil im Roman wieder auf.
Der Roman selbst leistet jedoch noch mehr als jeder einzelne
Bericht, denn er rekonstruiert das Leben der Jungen in einem
bestimmten Zeitabschnitt und stellt es in einen biografischen und
zeitgeschichtlichen Kontext. Die Frage, ob so etwas wieder
passieren wird, kann mit Ja und Nein zugleich beantwortet werden.
Nein: Dasselbe wird nicht wieder passieren, da es in einem
bestimmten Kontext nur so und nicht anders möglich war. Ja: Das
gleiche wird unter anderen geschichtlichen Umständen wieder
geschehen und ist geschehen, wenn Schutzbefohlene zu Ausgelieferten
und sogar zum Kapital einer Institution der Erziehung wurden. Dann
ist das Wohl und Wehe des Einzelnen weniger wichtig als das
Interesse an der gesamten Institution.
Alle jedoch, die in etwa gleich alt sind wie der Autor werden in
ihre eigene Schulzeit erzählerisch zurückgeführt, was schmerzhafte
Erinnerungen anrühren kann, zu denen dann ein Verhältnis
hergestellt werden kann. Und es wird deutlich, dass die Frage nach
den Ereignissen des sexuellen Missbrauchs im Zusammenhang steht mit
der übergeordneten Frage nach der Bedeutung und Anwendung von Macht
und es ist die Frage, wo die Ursachen davon zu suchen sind.
Dieser Beitrag wurde am 13. August 2013 von christoph.fleischer in
Allgemein, Rezension veröffentlicht. Schlagworte: Kirche, sexueller
Missbrauch.
Über christoph.fleischer
Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, tätig in
Schuldienst und Seelsorge, Mitglied in der Gesellschaft für
evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer
Gesellschaft.
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