Rezension zu »Das ist einfach unsere Geschichte«
EL-DE-Info Nr. 47 (Newsletter des Fördervereins des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln) Sept/Okt 2013
Rezension von Fritz Bilz
Verschweigen, Verdrängen, Ignoranz
Lebenswege der zweiten Generation nach dem Holocaust
Diese Publikation ist Teilergebnis einer Untersuchung durch
Menschen der »dritten Generation«, die Menschen der »zweiten
Generation« aus Israel und Deutschland darüber befragt haben, wie
das nationalsozialistische Geschehen in ihrer Familie überliefert
wurde. Dabei bewegte sich die Untersuchung um folgenden vier
Fragestellungen:
- Welche Erfahrungen machen Kinder von Eltern, die zur NS-Zeit
gelebt haben?
- Welche familiären intergenerationalen Prozesse sind aus dem
Erleben der Eltern entstanden?
- Wie wirkte sich der familiäre Umgang mit der NS-Geschichte auf
die Lebensqualität der zweiten Generation aus?
- Welchen Einfluss haben diese Prägungen auf die konkreten
Lebenswege der Söhne und Töchter?
Die deutschen Ergebnisse liegen nun in dieser Publikation vor. 30
Zeitzeugen-Interviews wurden anhand der Fragestellungen
ausgewertet, davon wurden zehn biografische Verläufe
herausgearbeitet und in der Publikation näher beleuchtet. Sechs
davon sind Kinder von Eltern, die den Nationalsozialismus als
Mitläufer erlebten und jeweils zwei, die das NS-System als Opfer
oder Täter erlebten.
Bei allen Mitläuferfamilien ist festzustellen, dass die Eltern
Schwierigkeiten hatten, sich individuell mit der NS-Vergangenheit
auseinanderzusetzen. Das Motto lautete: Verschweigen, Verdrängen,
Ignoranz. Oft wurden Tabus ausgesprochen. Dieses Verhalten deckte
sich mit dem Verhalten der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland in
den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten.
Bei den Täterfamilien war das Ausblenden der NS-Verbrechen
manifest. Bei den Opferfamilien gab es die Angst vor den
schmerzlichen Erinnerungen und den traumatischen Erlebnissen.
Täter- wie Opferkinder berichteten, dass ihre Kindheit und Jugend
von wiederkehrenden Stresssituationen und geringer Fürsorge
geprägt waren. Aber alle vier Kinder hatten das starke Bedürfnis,
sich mit der Familiengeschichte und der NS-Vergangenheit
auseinanderzusetzen.
Bei allen zehn Interviews fällt auf, dass die erste Generation,
die im NS-System lebte, die Verarbeitungsprozesse an die Nachkommen
delegiert hat. Dies hat Auswirkungen. »Eine lange vor der Geburt
liegende belastende Familien-Angelegenheit kann noch heute die
Lebenswege der Nachgeborenen erheblich beeinflussen«, so das
Resümee der Autorinnen am Ende der Untersuchung.
Bei dieser Publikation handelt es sich um eine spannende und
durchaus zu neuen Erkenntnissen führende Darstellung
lebensgeschichtlicher Prägungen.
Fritz Bilz