Rezension zu Lexikon der Psychologischen Anthropologie

Grenzgebiete der Wissenschaft 62 (2013) 3, 284 – 285

Rezension von Andreas Resch

Stubbe, Hannes: Lexikon der Psychologischen Anthropologie

Hannes Stubbe, Dr. phil. habil., Ethnologe und Dipl.-Psych., Prof. für Ethnopsychologie und Transkulturelle Psychologie/Psychologische Anthropologie an der Universität Köln, legt hier die zweite Auflage seines Lexikons der »Psychologischen Anthropologie« vor. Als einziger Deutscher, der das Fach Ethnopsychologie vertritt, war es ihm eine Verpflichtung, seinen Studenten aus den verschiedenen Fachgebieten ein Begriffsinventar an die Hand zu geben, mit dem sie sich kritisch auseinandersetzen, aber auch einen Überblick über das umfangreiche Gebiet erhalten können.

Das Lexikon ist aus einer über 20-jährigen universitären Lehr- und Forschungstätigkeit in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa hervorgegangen. Dabei ließ sich Stubbe beim Abfassen der Arbeit von wissenschaftshistorischen, kulturanthropologischen und beispielbezogenen Prinzipien leiten. So werden sowohl die historischen Wurzeln der Ethnopsychologie und Transkulturellen Psychologie berücksichtigt als auch die etische (mit den Augen eines Insiders) und emische (mit den Augen eines Beobachters von außen) Sichtweise miteinander verbunden. Ferner werden angrenzende Gebiete, wie z.B. die Transkulturelle Psychiatrie, Ethnopsychotherapie, vergleichende Soziologie, (Kultur-)Ethologie, vergleichende Religionswissenschaften usw., berücksichtigt. Ethnopsychologisches Forschen ist nämlich ein interdisziplinäres Forschen und somit einem ständigen kulturellen Wandel ausgesetzt. Da es hier nicht möglich ist, auf die einzelnen Begriffe einzugehen, sollen drei Begriffe herausgriffen werden, die Psychologie, Ethnologie und Kulturanthropologie berühren.

Abwehrmechanismen: Verhaltensweisen, die Triebregungen, welche von der Zensur nicht gebilligt werden, in andere Formen psychischer Energie überführen, als da sind: Verdrängung, Sublimierung, Identifikation, Regression, Kompensation, Isolierung, Introjektion, Projektion, Askese, Intellektualisierung, Verneinung, Verleugnung, Vermeidung, Reaktionsbildung, Wendung gegen die eigene Person, Verkehrung ins Gegenteil, Konversion, Ungeschehenmachen usw. Hinweise auf einschlägige Autoren und Literaturangaben beenden die Beschreibung.

Ethnozentrismus (m). (W. G. Sumner 1906): Die Bearbeitung dieses Begriffes weist hingegen einen ganz anderen Umfang auf. Der Begriff wurde, wie zu Beginn angedeutet, von W. G. Sumner 1906 zur Beschreibung des Verhaltens und Erlebens eingeführt, bei dem das eine »Volk«, die eigene »Volksgruppe«, die eigene »Ethnie«, »Rasse«, Religionsgemeinschaft, Nation, Schicht usw. in den Mittelpunkt des Denkens, Fühlens und Handelns gestellt wird. Der Eigengruppe werden dabei nur positive oder positiv verstandene Merkmale zugeschrieben. Nach Hinweisen auf einzelne Vertreter des Ethnozentrismus wird die historische Kontinuität des E. in der deutschsprachigen Psychologie dargestellt, da der E. seit 1849 die ganze Geschichte der deutschen Psychologie durchzieht. Stubbe nennt in diesem Zusammenhang die Psychologie von Johann Kaspar Lavater (1741–1801), Carl Gustav Carus (1789–1869), Wilhelm Wundt (1832–1920), des Dritten Reiches und die gegenwärtige Psychologie. Die gegenwärtige deutsche Psychologie versteht sich zwar als international, bleibt aber in der angloamerikanischen Psychologie stecken.

Nach diesen Bemerkungen geht Stubbe auf die Psychologie der Dritten Welt ein und kommt zur Feststellung, dass unter den in den westlichen Industrieländern vorherrschenden »Psychologien« kaum eine ist, die für sich in Anspruch nehmen könnte, für die Dritte-Welt-Länder modellhaft zu wirken. Zudem sollten nicht nur jene als Partner in der Dritten Welt gesucht werden, die ohnehin nur das machen, was die Industrieländer ihnen beigebracht haben. Hier sei eine Umstellung vom Ethnozentrismus zur Kulturanthropologie notwendig. Ein Literaturverzeichnis beschließt die nahezu sieben Seiten umfassende Abhandlung.

Lateinamerika, speziell als Region gewählt, weil sich hier alle wesentlichen Probleme der sog. Dritten Welt aufzeigen lassen. Zunächst wird der Begriff tabellarisch in seine Einzelteile aufgegliedert: Amerika: benannt nach dem Florentiner Amerigo Vespucci; Südamerika um 1600: America meridionalis; Lateinamerika: Gesamtheit aller amerikanischen Staaten, deren Bevölkerung eine auf Latein basierende Sprache spricht; Iberoamerika: Hispano- und Luso-Amerika; Mesoamerika (Mittelamerika); Angloamerika (Nordamerika) und Neue Welt (seit 1508, Mundus Novus nach einem Brief von Amerigo Verspucci).

Die Geschichte Lateinamerikas ist mehr oder weniger eine Geschichte von Kolonialismus und Kriegen. Das Volk selbst kommt kaum zur Sprache. Dabei kennzeichnen nach Stubbe folgende miteinander verknüpfte Grundprobleme und Merkmale die Situation der Psychologie in der lateinamerikanischen Wirklichkeit: der unermessliche Raum; das überwiegend tropische Klima; die vielfältige ethnische Zusammensetzung; ökonomisch das geringe durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen; unterschiedliche demographische Merkmale zu den Industrieländern wie eine Population, in der bei 50% jünger als 14 Jahre sind; ökologische Krise, ähnlich den Industrieländern; Unterernährung; Bildungskultur, gekennzeichnet durch einen hohen Anteil an Kindern und Analphabetismus; rapider sozialer und kultureller Wandel; die religiöse Situation ist vom Katholizismus, von afrolateinamerikanischen Kulten, dem Spiritismus und vielen fundamentalistischen Sekten, die aus Nordamerika kommen, geprägt; die instabilen politischen und ökonomischen Verhältnisse prägen die soziale Stimmung.

Was konkret die Psychologie betrifft, so ist immer noch die europäische und englischsprachige dominant. Der Beitrag schließt mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis.

Diese kurze Skizzierung der drei Begriffe zeigt nicht nur, dass die einzelnen Begriffe unterschiedlich lang sind und zum Teil eine Vielfalt von Themen beinhalten, die soziale kulturelle und psychologische Inhalte aufweisen. In den einzelnen Texten wird jeweils eine Reihe von Literaturhinweisen zur Vertiefung der Thematik gegeben. Zudem sind die längeren Beiträge sehr übersichtlich gegliedert. Eine solche Arbeit aus der Feder eines Autors ist nur auf der Grundlage jahrelanger Forschung möglich, wie Stubbe einleitend bestätigt.

So muss man das Lexikon der Psychologischen Anthropologie von Hannes Stubbe in Inhalt und Gestaltung als ein Standardwerk bezeichnen, das zudem kultur- und völkerverbindend ist und in jeder Bibliothek stehen sollte.

Andreas Resch, Innsbruck

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