Rezension zu Körper - Gruppe - Gesellschaft

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Rezension von Kirsten Oleimeulen

Manfred Thielen: Körper – Gruppe – Gesellschaft

Differenzierung Körpertherapie und Körperpsychotherapie
Die Begriffe Körpertherapie und Körperpsychotherapie werden oft missverstanden und nicht sauber voneinander getrennt. In der Medizin wird das Wort »Therapie« entweder in Verbindung mit Krankheiten oder in Verbindung mit den Mitteln der Behandlung verwendet. Der Begriff der Körpertherapie bedeutet demnach nicht Behandlung des Körpers, sondern der zweiten Terminologie folgend, Behandlung mit dem Körper. Also eine Behandlung ohne fremde Mittel oder Manipulation von außen, die sich der eigenen Wahrnehmung und der eigenen Veränderung des Körpers bedient und bei der auch der/die Therapeut/-in nur mit seinem/ihrem Körper arbeitet.

Herausgeber
Dr. phil. Dipl.-Psych. Manfred Thielen (Psychologischer Psychotherapeut).
Körperpsychotherapeut in freier Praxis, Leitung von Fort- und Weiterbildungen im Rahmen des Instituts für Körperpsychotherapie Berlin. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Körperpsychotherapie (DGK/EABP). Anerkennung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und Verhaltenstherapie. 2001-2005 Mitglied des Vorstandes der Berliner Psychotherapeutenkammer; seit Sept. 2005 Mitglied der Delegiertenversammlung (DV) der Berliner Psychotherapeutenkammer und der DV der Bundespsychotherapeutenkammer.

Aufbau
Das Buch »Körper-Gruppe-Gesellschaft. Neue Wege in der Körperpsychotherapie« herausgegeben von Manfred Thielen setzt sich aus 7 Kapiteln zusammen.

I. Körperorientierte Gruppenpsychotherapie
Die intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie in der DDR (Hans Joachim Maaz). Hans Joachim Maaz berichtet von seiner Arbeitsweise und Erfahrung mit dieser Form der Gruppenpsychotherapie in der ehemaligen DDR. Dabei hat die Integration körperpsychotherapeutischer Intervention in die Arbeitsphase der Intendiert dynamischen Gruppenpsychotherapie wesentliche Möglichkeiten eröffnet, auch sogenannte »Frühstörungen« gruppendynamisch gut behandeln zu können.

Die Entwicklung der körperorientierten Gruppentherapie im Osten und im Westen (Karin Schreiber-Willinow). In diesem Kapitel wird die Entwicklung der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) im Westen und der Kommunikativen Bewegungstherapie im Osten zusammengefasst. Methodisch unterscheidet sich das Vorgehen in körperpsychotherapeutischen Gruppen in der Art der Angebote, so dass Einzel- und Gruppenangebote möglich sind. Berufspolitisch unterscheiden sich die körperpsychotherapeutischen Schulen nach akademischer bzw. handwerklicher Fundierung der Aus- oder Weiterbildung. Die KBT versteht sich als körperorientierte Psychotherapie, bei der Wahrnehmung und Bewegen als Grundlage des Denkens, Fühlens und Handelns diagnostisch und therapeutisch genutzt werden. Die Kommunikative Bewegungstherapie versteht sich als Brücke zwischen Psychotherapie und Körpertherapie.

Der Körper im Feld der Gruppe (Manfred Thielen). Folgende Wirkfaktoren kommen in der Körpergruppenpsychotherapie hauptsächlich zur Geltung:

Körper bzw. körperpsychotherapeutisches Vorgehen
Katharsis
Kohäsion
Interpersonelles Lernen und Erfahrungen
Direkter Kontakt im Hier und Jetzt
Reinszenierung von Schlüsselszenen und korrigierende Erfahrungen

Körper – Gruppe – Trauma (Anna Willach-Holzapfel). Für Menschen mit Beziehungstraumata ist es eine heilsame Erfahrung, in einer Gemeinschaft Zugehörigkeit, Sicherheit, Unterstützung und Akzeptanz zu erleben. In der Gruppe bietet sich immer wieder die Möglichkeit, die Unterschiedlichkeit der Gruppenteilnehmer zu fühlen und zu erleben. Davon zu hören und darin gespiegelt zu werden hilft dabei, sich selbst und die anderen besser verstehen zu lernen.

Schwierigkeiten und Nutzen von körperorientierter analytischer Gruppenpsychotherapie bei komplextraumatisierten/dissoziativen Patienten am Beispiel das SPIM-20-KT (Ralf Vogt). KPM (Kontakt-Psychoedukations- und Modifikationsgruppe) für komplextraumatisierte/dissoziative Patient/-innen hat das Ziel:

Den Klienten/-innen das Erlernen von stressreduzierenden Organisationsprinzipien im Alltag zu ermöglichen.
Das Erlernen von Methoden zur psychophysischen Stabilisierung mit praktischen Bewegungsübungen.
Das Erlernen von Konfliktlösungsmodellen für Partnerschaft und Familie mit aktiven Rollenspielen.
Die Diagnostikkriterien zum frühzeitigen Erfassen von Komplextraumasymptomen bei sich und Angehörigen zur Konfliktprävention und Abgrenzung.
Handlungsaktive Methoden zur Überwindung von traumabezogenen Intrusionen unter Anleitung der Psychotherapeuten/-innen sowie
den Aufbau von neuen psychosozialen Netzwerken zur Verbesserung der sozialen Integration und zur Unterstützung der stufenweisen Ablösung aus der Psychotherapie durch Stärkung der Selbsthilfepotenziale.

Wirkfaktoren körperorientierter Gruppenpsychotherapie (Werner Eberwein). Werner Eberwein gibt in diesem Kapitel seine 30 Jahre währende Erfahrung als Leiter einer körperpsychotherapeutischen Gruppe wieder. Dabei möchte er weniger eine Theorie entwickeln, als die Vielfalt von Betrachtungsebenen aufzeigen, was eine Gruppenkörpertherapie sein kann:

Die Gruppe ist ein Beziehungsnetz.
Die Gruppe ist ein System.
Die Gruppe ist ein Interaktionsfeld.
Die Gruppe ist eine Leinwand.
Die Gruppe ist ein Übertragungsnetz.
Die Gruppe ist ein Resonanzboden.
Die Gruppe ist ein Facettenspiegel.
Die Gruppe ist eine Bühne.
Die Gruppe ist ein Vexierbild.
Die Gruppe ist ein Problemlösungsgenerator.
Die Gruppe ist ein Labor.
Die Gruppe ist eine Lehrwerkstatt.
Die Gruppe ist ein Rückhalt.
Die Gruppe ist ein Nest.
Die Gruppe ist ein Kokon.
Die Gruppe ist ein Schlaraffenland.
Die Gruppe ist ein Assistent für den Gruppenleiter.
Die Gruppe ist ein Stimulus.
Die Gruppe ist ein Authentizitätsraum.
Die Gruppe ist eine Menge.
Die Gruppe ist ein sozialer Modellraum.
Die Gruppe ist eine Lebensschule.
Die Gruppe ist eine Drachenhöhle.
Die Gruppe ist ein Fluss.
Die Gruppe ist eine Zeitmaschine.
Die Gruppe ist ein Ashram.
Die Gruppe ist eine Spielwiese.
Die Gruppe ist eine Peer-Group.
Die Gruppe ist ein Arbeitsplatz für den Leiter.
Die Gruppe ist eine Klinik.
Die Gruppe ist eine Sparbüchse.
Die Gruppe ist ein Affenfelsen.
Die Gruppe ist eine Herde.

Wirkfaktoren der Gruppe aus Sicht der Bioenergetischen Analyse (Vita Heinrich-Clauer). Die Vorteile der körperpsychotherapeutischen (bioenergetischen) Gruppe sind der verkörperter Selbstbezug, die somatische Resonanz und Synergie, Autonomie, Kooperation, Flow. Glücksgefühle und Spaß. Darüber hinaus zeichnet die Gruppe das Prinzip der Solidarität aus und verkörpert vielfältige körperlich-emotionale Unterstützung für den Einzelnen. Die Gruppe ermöglicht Geschwisterwahlen und damit auch Schutz vor der Therapeutin (Elternfigur).

Bioenergetisch-analytische Körperpsychotherapie in der Gruppe (Konrad Oelmann). Die Kombination der bioenergetischen Übungsgruppe mit analytischer Selbsterfahrung hat sich als therapeutisch günstig erwiesen. Die Problematik sich körperlich zu spüren und präsent zu sein, wird aktiv angegangen. Zusätzlich wird die Thematik sich verbal und mentalisierend auszudrücken aktiv unterstützt.

Funktionelle Entspannung in Gruppen (Angela von Arnim). Die Funktionelle Entspannung (FE) ist eine körperbezogene Psychotherapiemethode, die über die Anregung der Propriozeption, Entdecken des Eigenrhythmus und Verbalisierung des Wahrgenommenen funktioniert. Im therapeutischen Prozess dienen drei Grundregeln als Leitlinien:

Alles (Wahrnehmen und Bewegen) beginnt im Aus(-atmen).
Alles Wahrnehmen und Bewegen wiederholen, aber nicht oft (nur zwei- bis dreimal).
Nach dem Wahrnehmen und Bewegen nicht mehr tun, außer nachspüren.
Seine Würfel, Deine Couch und ich (Ulrich Sollmann). Die Intention dieses Kapitels ist die Absage an die Vorstellung, psychotherapeutische Interventionen müssten stets durch bewusste, zielorientierte Indikation getragen sein und einen gewünschten Effekt bewirken.

Entwicklung der deutschen Gruppenpsychotherapie nach 1945 (Michael Hayne)
Michael Hayne beschreibt die psychotherapeutische Gesamtsituation nach 1945 in Ost- und Westdeutschland. Manche der jüngeren Kollegen/-innen ließen sich in England, den Niederlanden und den USA ausbilden und brachten von dort neue Impulse für die Gruppentherapie mit. Seit 1990 entstand eine enge Verbindung zur DDR-typischen Intendierten-Dynamischen-Gruppentherapie (IDG).

II. Körperpsychotherapie im Kontext von gesellschaftlichem Wandel und Zeitgeist
Körperpsychotherapie und die Integration in der Psychotherapie (Dirk Revenstorf). Die Körperpsychotherapie hat zwar eine relativ große Verbreitung im stationären Bereich, ist aber vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht erkannt. Aufgrund mangelhafter theoretischer Grundlagen muss die Körperpsychotherapie darauf achten, den Anschluss an die evidenzbasierte Psychotherapie ohne inhaltliche Komplexität und wissenschaftliche Position der Prozessorientierung nicht zu verlieren.

Gesellschaft, Körper, Zeitgeist (Bettina Schroeter). Der Zeitgeist der späten 70er und frühen 80er Jahre war getragen von einer nicht mehr nur politischen, sondern mittlerweile auch sozialen und persönlichen Aufbruchsstimmung. Heute, eine ganze Generation später, hat sich der Zeitgeist grundlegend geändert. Die stetige Zahl von Burnout und Suchterkrankungen spiegelt den Leistungsdruck im modernen Arbeits-, aber auch Schüler- und Studentenleben und das gesellschaftliche Unvermögen, Räume und Regulative bereitzustellen, die Gegenwart verkörpern.

Sich selbst verantworten (Halko Weiss). Halko Weiss vertritt die Einstellung, mit standardisierten Veränderungsmaßnahmen von äußerer Autorität getragene richtige und gesunde Zielvorstellungen zu verfolgen, anstatt Menschen zu typisieren und auf die Korrekturen von sogenannten Störungen und Fehlentwicklungen zu reduzieren.

30 Jahre Tanztherapie in Deutschland (Marianne Eberhard-Kaechele). Eberhard-Kaechele zieht die Konsequenzen aus einer Tanztherapeutenbefragung, dass mehr Energie in die Therapiebildung investiert werden muss. Zusätzlich empfiehlt sie eine Erweiterung der Körperpsychotherapeutenausbildung um Konzepte der Erkenntnistheorie und der wissenschaftlichen Erkenntnisprozesse.

Täterintrojekte (Tilmann Moser). Tilmann Moser berichtet über das schwere Erbe der Nachkriegsenkel/-innen, die mit den Täterintrojekten aus den Kriegsgenerationen umherlaufen, ohne ein selbst miterlebtes oder erzählbares Ereignis erinnern zu können. Das Charakteristische der Täterintrojekte ist das Verborgene, das Heimliche, ihr Agieren aus dem Hintergrund, die Schwererkennbarkeit, das Eigenleben im Dunklen. Daher entziehen sich diese Täterintrojekte dem analytischen Prozess und sind schwer zu erreichen. Die psychotherapeutische Arbeit kann mit einem einfachen Rollenspiel der Externalisierung sehr wirksam beginnen.

III. Neue Entwicklungen in der Körperpsychotherapie
Eltern-Baby-Körperpsychotherapie im Spannungsfeld von Trauma und Bindung (Thomas Harms). Aufbauend auf dem polyvagalen Modell des Autonomen Nervensystems von Porges, wird hier ein deutlich kognitiv nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen elterlichem Stress, Kontaktabbruch und Dissoziation sowie Stress-, Trauma- und Schreiattacken auf Seiten des Säuglings aufgezeigt. Zusätzlich gibt es zwei Übungen/Methoden zur Intervention.

Zum Studium des Unbewussten über den Körper (Haiko Weiss). Infantile Amnesie, Konfabulation zur Legitimation erlebbaren Fühlens, Denken und Handelns sowie falsche Erinnerungen führen dazu, dass nur ein geringer Teil der gestaltenden Erfahrungen eines Menschenlebens kognitiv-bewusst in die Therapie mit eingebracht werden kann. Die Differenzierung zwischen Beobachter und beachtetem Zustand oder Gedanken, ist der Kern-Wirkfaktor, den sich die Verhaltenstherapie in den letzten Jahrzehnten zunutze macht, um den Kreislauf der typischen Reflektionswelt eines Menschen zu durchbrechen.

Psychovegetative Regulation, Kooperation, Triade und das Grounding-Konzept der Bioenergetischen Analyse (Jörg Clauer). Klienten/-innen mit somatoformen Störungen oder psychosomatischen Erkrankungen wie auch Traumatisierungen haben oft weder Vertrauen in eine gemeinsame Regulation innerhalb der Beziehung noch in ihre Selbstregulation. Zentrale Aspekte der therapeutischen Interventionen sind daher psychovegetative Regulation und soziale Sicherheit.

Der Körperbildskulpturtest (Angela von Arnim). Der Körperbildskulpturtest ist ein dreidimensionales projektives Verfahren zur Erfassung des bewussten und unbewussten Körperbildes, das als dreidimensionales, ideographisches, intraindividuelles Verlaufsinstrument eingesetzt wird. Er wird als Verfahren zur Messung des Körper-Selbst, der ganzheitlichen Erfahrung des Körpers und indirekt als Maß für Ich-Identität und Ich-Konsistenz eingesetzt.

Körperpsychotherapeutische Interventionsstrategien in der Psychotherapieforschung (Peter Joraschky und Karin Pöhlmann). Klienten/-innen mit unterschiedlichen Ausprägungsgraden der Selbstwertstörungen weisen alle zentralen Grundstörungen in den verschiedenen Dimensionen des Körperbildes auf. Daraus lässt sich die Konsequenz ableiten, dass es im Rahmen der Selbstgefühlsvulnerabilität dringend erforderlich ist, Körperpsychotherapie mit dem Ziel einer verbesserten Körperakzeptanz langfristig durchzuführen.

Neue Entwicklungen in der Wissenschaft und ihre Bedeutung für die körperpsychotherapeutische Praxis (Manfred Thielen). Generalisierte Interaktionserfahrungen werden vom Säugling in der präverbalen Phase als RIGs (Representations of Interactions that have been Generalized) psychisch repräsentiert und abgespeichert. Solche RIGs umfassen alle Sinne des Säuglings. Wenn eine dauerhafte Verbindung zwischen motorischer Aktion und einem bestimmten Affekt hergestellt wird, entstehen sogenannte Mikropratiken. Die chronische Fehlabstimmung zwischen Mutter und Baby werden vom Kind durch die entsprechende Ausbildung von Mikropraktiken verkörpert und in seinen RIGs psychisch repräsentiert. Vor diesem Hintergrund sieht der Autor ein Erklärungsmodell für die Entwicklung psychischer Störungen.

IV. Körperpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
Körperpsychotherapeutische Interventionen in der Arbeit mit komplex traumatisierten Kindern und Jugendlichen (Anne Schmitter-Boeckelmann). Bindungstraumatisierte Kinder haben eine nachhaltig veränderte Gehirnorganisation. Dies führt dazu, dass die Kinder sich häufig im Zustand der Über- oder Untererregung befinden, massive emotionale Probleme zeigen, sozial sehr auffällig sind und damit wieder auf Ablehnung stoßen. Intellektuell sind sie häufig sehr eingeschränkt oder aber können auf ihre Fähigkeiten nicht voll zugreifen. Bessel van der Kolk schlägt für schwer traumatisierte Kinder für das DSM-V die Diagnose einer »Entwicklungstraumastörung« vor.

Der Ansatz Aucouturier in der therapeutischen Intervention mit Kindern (Marion Esser). Der französische Ansatz der Psychomotorik von Bernrad Aucouturier geht davon aus, dass der Körper Bezugs- und Orientierungspunkt in der Welt ist. Der Mensch erfährt und begreift die Welt über seinen Körper, nimmt sie über seine Sinne wahr und in sich auf. Er wird über seinen Körper in ihr tätig. Die Vorstellung, die sich ein Mensch vom eigenen Körper macht, deckt sich kaum mit seiner tatsächlichen Anatomie. Das Körperbild ist vielmehr Resultat der gelebten Erfahrung mit anderen. Dieses Körperschema kann von der unbewussten affektiven Geschichte des Kindes destabilisiert werden.

Ausweitung der Körperpsychotherapie auf Kinder und Jugendliche (Paula Diederichs und Claudia Theil). Die Geburt gilt als erstes gespeichertes Übergangskonzept oder als erste erlebte und prägende Krisenbewältigungsstrategie. Das heißt, immer wenn es im Leben zu Übergängen, Wachstum/Wachstumskrisen kommt, steigt dieses unbewusste gespeicherte Konzept aus dem Unbewussten auf und kommt zur Wirkung. Es ist im zellulären Gedächtnis gespeichert. Hier kommt eine nachhaltige Wirkung in der körperpsychotherapeutischen Arbeit zum Tragen: Man muss nicht alles kognitiv verarbeiten, um etwas gelernt zu haben.

V. Unterschiedliche methodische Zugänge in der Körperpsychotherapie
Revision des ödipalen Phänomens aus biodynamischer und erogenetischer Sicht (Mona Lisa Boyesen). Das heutige Verständnis von ödipalem Phänomen geht davon aus, dass das Kind sich in sein gegengeschlechtliches Elternteil verliebt. Die größte Angst des Kindes besteht dabei darin, den anderen Elternteil zu verletzen. Spätere Folgen von Störungen in dieser Entwicklungsphase sind u.a. Angst- und Unruhezustände, Reizbarkeit, Phobien, hefte Stimmungsschwankungen bis hin zur Hysterie. Auch neigen die betroffenen zu unterschwelliger Aggressivität, verbunden mit Scham- und Schuldgefühlen.

Biodynamik als Selbsthilfemethode (Thomas Haudel). Gerda Boyesen fand heraus, dass die Darmbewegungen neben der Nahrungsverdauung auch für den Abbau von stressbedingten Spannungen sorgen. Sie bemerkte, dass es ihren behandelten Patienten/-innen besser ging, wenn sie während den Körperbehandlungen wässrige Darmgeräusche wahrnahm. Patienten/-innen, bei denen sie diese Geräusche nicht hörte, hatten manchmal starke psychische Reaktionen nach der Therapie. Sie beschäftigte sich mit diesem Phänomen und stellte darüber eine fundierte Theorie auf. In der Folge entwickelte sie spezielle Formen von Massagen, die zum Ziel hatten, Spannung in Körper und Psyche zu lösen und zugleich die Darmperistaltik anzuregen. So entdeckte sie eine Methode, um nervöse und emotionale Spannungen bzw. die ihnen entsprechenden biochemischen Substanzen verdauen und somit auflösen zu können. Für den emotionalen Aspekt des peristaltischen Prozesses hat Gerda Boyesen den Begriff Psycho-Peristaltik geschaffen.

Funktionelle Entspannung (FE) am Beispiel einer Traumatherapie (Verena Lauffer). Am Beispiel einer Traumatherapie wird die Vorgehensweise der Funktionellen Entspannung in ihrer Anwendung gezeigt. Im Leib prozedural gespeicherte, implizite Erfahrungen werden aufgenommen. Die Orientierung an der leiblichen Auswirkung und die uneingeschränkte Wertschätzung der Fähigkeit des Patienten steuern den Prozess, die in den Störungen verborgenen Lösungsvorschläge des Leibes zu finden.

VI. Zur Repräsentanz des Weiblichen in der Körperpsychotherapie
Zum Verhältnis von Körperinszenierungen und weiblicher Körperlichkeit (Helga Krüger-Kirn). Das Kapitel zeigt beeindruckend vor dem Hintergrund empirischen Materials, die Auswirkungen frühester biografischer Körpererfahrungen auf die weibliche Subjektivierung und das geschlechtliche Körpererleben. Es wird deutlich, dass das homosexuelle Begehren ein spezifisch weibliches Begehren nach weiblicher/mütterlicher Spiegelung der körperlich-leiblichen Erfahrungen und Empfindungen repräsentiert.

Zur Repräsentanz des Weiblichen im Feld der Körperpsychotherapie (Angela von Arnim, Ebba Boyesen, Helga Krüger-Kirn, Jacqueline Mayer-Ostrow und Bettina Schroeter). In diesem Panel wird der Frage nachgegangen, wieso der psychotherapeutisch weiblich dominierte Beruf besonders im Bereich der Körperpsychotherapie auf der öffentlichen Bühne (Berufspolitik, Forschung, Lehre, Publikation, Kongressauftritte etc.) von Männern dominiert wird. Im Anschluss an diese Diskussion hat sich die Arbeitsgruppe »neue Rose« gebildet.

VII. Berufs- und wissenschaftspolitische Perspektiven der Körperpsychotherapie
Wissenschaftliche Anerkennung und Perspektiven der Körperpsychotherapie (Benajir Wolf). Seit dem Wintersemester 2010/2011 gibt es an der Philipps-Universität in Marburg am Institut für Sportwissenschaften und Motologie den Studienschwerpunkt Körperpsychotherapie im Rahmen eines Masterstudienganges.

Berufspolitische und wissenschaftliche Perspektiven der Körperpsychotherapie (Manfred Thielen). Manfred Thielen beschreibt vor dem aktuellen Hintergrund der wissenschaftlichen Anerkennung und Krankenkassenanerkennung von psychotherapeutischen Verfahren die Situation der Körperpsychotherapie bis hin zum aktuell 2011 verabschiedeten Basiscurriculum für die Körperpsychotherapieausbildung.

Zielgruppe
Das Buch »Körper – Gruppe – Gesellschaft« richtet sich an alle Interessierten der Körperpsychotherapie. Für Laien dürfte es allerdings schwer verständlich sein.

Fazit
Neben dem Gruppenthema sind weitere Schwerpunkte des Buches Körperpsychotherapie im Kontext des gesellschaftlichen Wandels und des Zeitgeistes, neue Entwicklungen, körperorientierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, unterschiedliche Zugänge sowie wissenschaftliche Anerkennung und Perspektiven der Körperpsychotherapie. Inhaltlich sind die Beiträge der einzelnen Autoren-/innen hochqualitativ auf dem aktuellen Stand der Forschung aufgesetzt. Dennoch lassen die einzelnen Darstellungen es nicht an praktischem Bezug, Fallbeispielen, konkreten Handlungsansätzen und therapeutischen Übungen fehlen. Schnell wird deutlich, dass es sich bei der Körperpsychotherapie nicht um ein mögliches Alternativverfahren handelt, sondern um den einzigartigen Zugang zu körperlich gespeicherten Informationen, die auf andere Art und Weise nicht für den therapeutischen Bereich nutzbar gemacht werden können. Das Buch lässt sich sehr gut lesen und überzeugt didaktisch, methodisch sowie kognitiv schlüssig auch den größten Skeptiker der Körper(psycho)therapie. Sehr empfehlenswert!

Rezensentin
Dr. Kirsten Oleimeulen
Psychologin – Familienberaterin, akkreditierte Psychologin für Gesundheitspsychologie und Prävention (BDP), systemische Familientherapeutin und Supervisorin, Online-Beraterin für www.kinderwelten.de
Homepage www.oleimeulen.info

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