Rezension zu Körper - Gruppe - Gesellschaft
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Rezension von Kirsten Oleimeulen
Manfred Thielen: Körper – Gruppe – Gesellschaft
Differenzierung Körpertherapie und Körperpsychotherapie
Die Begriffe Körpertherapie und Körperpsychotherapie werden oft
missverstanden und nicht sauber voneinander getrennt. In der
Medizin wird das Wort »Therapie« entweder in Verbindung mit
Krankheiten oder in Verbindung mit den Mitteln der Behandlung
verwendet. Der Begriff der Körpertherapie bedeutet demnach nicht
Behandlung des Körpers, sondern der zweiten Terminologie folgend,
Behandlung mit dem Körper. Also eine Behandlung ohne fremde Mittel
oder Manipulation von außen, die sich der eigenen Wahrnehmung und
der eigenen Veränderung des Körpers bedient und bei der auch
der/die Therapeut/-in nur mit seinem/ihrem Körper arbeitet.
Herausgeber
Dr. phil. Dipl.-Psych. Manfred Thielen (Psychologischer
Psychotherapeut).
Körperpsychotherapeut in freier Praxis, Leitung von Fort- und
Weiterbildungen im Rahmen des Instituts für Körperpsychotherapie
Berlin. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für
Körperpsychotherapie (DGK/EABP). Anerkennung in tiefenpsychologisch
fundierter Psychotherapie und Verhaltenstherapie. 2001-2005
Mitglied des Vorstandes der Berliner Psychotherapeutenkammer; seit
Sept. 2005 Mitglied der Delegiertenversammlung (DV) der Berliner
Psychotherapeutenkammer und der DV der
Bundespsychotherapeutenkammer.
Aufbau
Das Buch »Körper-Gruppe-Gesellschaft. Neue Wege in der
Körperpsychotherapie« herausgegeben von Manfred Thielen setzt sich
aus 7 Kapiteln zusammen.
I. Körperorientierte Gruppenpsychotherapie
Die intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie in der DDR (Hans
Joachim Maaz). Hans Joachim Maaz berichtet von seiner Arbeitsweise
und Erfahrung mit dieser Form der Gruppenpsychotherapie in der
ehemaligen DDR. Dabei hat die Integration
körperpsychotherapeutischer Intervention in die Arbeitsphase der
Intendiert dynamischen Gruppenpsychotherapie wesentliche
Möglichkeiten eröffnet, auch sogenannte »Frühstörungen«
gruppendynamisch gut behandeln zu können.
Die Entwicklung der körperorientierten Gruppentherapie im Osten und
im Westen (Karin Schreiber-Willinow). In diesem Kapitel wird die
Entwicklung der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) im Westen
und der Kommunikativen Bewegungstherapie im Osten zusammengefasst.
Methodisch unterscheidet sich das Vorgehen in
körperpsychotherapeutischen Gruppen in der Art der Angebote, so
dass Einzel- und Gruppenangebote möglich sind. Berufspolitisch
unterscheiden sich die körperpsychotherapeutischen Schulen nach
akademischer bzw. handwerklicher Fundierung der Aus- oder
Weiterbildung. Die KBT versteht sich als körperorientierte
Psychotherapie, bei der Wahrnehmung und Bewegen als Grundlage des
Denkens, Fühlens und Handelns diagnostisch und therapeutisch
genutzt werden. Die Kommunikative Bewegungstherapie versteht sich
als Brücke zwischen Psychotherapie und Körpertherapie.
Der Körper im Feld der Gruppe (Manfred Thielen). Folgende
Wirkfaktoren kommen in der Körpergruppenpsychotherapie
hauptsächlich zur Geltung:
Körper bzw. körperpsychotherapeutisches Vorgehen
Katharsis
Kohäsion
Interpersonelles Lernen und Erfahrungen
Direkter Kontakt im Hier und Jetzt
Reinszenierung von Schlüsselszenen und korrigierende
Erfahrungen
Körper – Gruppe – Trauma (Anna Willach-Holzapfel). Für Menschen mit
Beziehungstraumata ist es eine heilsame Erfahrung, in einer
Gemeinschaft Zugehörigkeit, Sicherheit, Unterstützung und Akzeptanz
zu erleben. In der Gruppe bietet sich immer wieder die Möglichkeit,
die Unterschiedlichkeit der Gruppenteilnehmer zu fühlen und zu
erleben. Davon zu hören und darin gespiegelt zu werden hilft dabei,
sich selbst und die anderen besser verstehen zu lernen.
Schwierigkeiten und Nutzen von körperorientierter analytischer
Gruppenpsychotherapie bei komplextraumatisierten/dissoziativen
Patienten am Beispiel das SPIM-20-KT (Ralf Vogt). KPM
(Kontakt-Psychoedukations- und Modifikationsgruppe) für
komplextraumatisierte/dissoziative Patient/-innen hat das Ziel:
Den Klienten/-innen das Erlernen von stressreduzierenden
Organisationsprinzipien im Alltag zu ermöglichen.
Das Erlernen von Methoden zur psychophysischen Stabilisierung mit
praktischen Bewegungsübungen.
Das Erlernen von Konfliktlösungsmodellen für Partnerschaft und
Familie mit aktiven Rollenspielen.
Die Diagnostikkriterien zum frühzeitigen Erfassen von
Komplextraumasymptomen bei sich und Angehörigen zur
Konfliktprävention und Abgrenzung.
Handlungsaktive Methoden zur Überwindung von traumabezogenen
Intrusionen unter Anleitung der Psychotherapeuten/-innen sowie
den Aufbau von neuen psychosozialen Netzwerken zur Verbesserung der
sozialen Integration und zur Unterstützung der stufenweisen
Ablösung aus der Psychotherapie durch Stärkung der
Selbsthilfepotenziale.
Wirkfaktoren körperorientierter Gruppenpsychotherapie (Werner
Eberwein). Werner Eberwein gibt in diesem Kapitel seine 30 Jahre
währende Erfahrung als Leiter einer körperpsychotherapeutischen
Gruppe wieder. Dabei möchte er weniger eine Theorie entwickeln, als
die Vielfalt von Betrachtungsebenen aufzeigen, was eine
Gruppenkörpertherapie sein kann:
Die Gruppe ist ein Beziehungsnetz.
Die Gruppe ist ein System.
Die Gruppe ist ein Interaktionsfeld.
Die Gruppe ist eine Leinwand.
Die Gruppe ist ein Übertragungsnetz.
Die Gruppe ist ein Resonanzboden.
Die Gruppe ist ein Facettenspiegel.
Die Gruppe ist eine Bühne.
Die Gruppe ist ein Vexierbild.
Die Gruppe ist ein Problemlösungsgenerator.
Die Gruppe ist ein Labor.
Die Gruppe ist eine Lehrwerkstatt.
Die Gruppe ist ein Rückhalt.
Die Gruppe ist ein Nest.
Die Gruppe ist ein Kokon.
Die Gruppe ist ein Schlaraffenland.
Die Gruppe ist ein Assistent für den Gruppenleiter.
Die Gruppe ist ein Stimulus.
Die Gruppe ist ein Authentizitätsraum.
Die Gruppe ist eine Menge.
Die Gruppe ist ein sozialer Modellraum.
Die Gruppe ist eine Lebensschule.
Die Gruppe ist eine Drachenhöhle.
Die Gruppe ist ein Fluss.
Die Gruppe ist eine Zeitmaschine.
Die Gruppe ist ein Ashram.
Die Gruppe ist eine Spielwiese.
Die Gruppe ist eine Peer-Group.
Die Gruppe ist ein Arbeitsplatz für den Leiter.
Die Gruppe ist eine Klinik.
Die Gruppe ist eine Sparbüchse.
Die Gruppe ist ein Affenfelsen.
Die Gruppe ist eine Herde.
Wirkfaktoren der Gruppe aus Sicht der Bioenergetischen Analyse
(Vita Heinrich-Clauer). Die Vorteile der
körperpsychotherapeutischen (bioenergetischen) Gruppe sind der
verkörperter Selbstbezug, die somatische Resonanz und Synergie,
Autonomie, Kooperation, Flow. Glücksgefühle und Spaß. Darüber
hinaus zeichnet die Gruppe das Prinzip der Solidarität aus und
verkörpert vielfältige körperlich-emotionale Unterstützung für den
Einzelnen. Die Gruppe ermöglicht Geschwisterwahlen und damit auch
Schutz vor der Therapeutin (Elternfigur).
Bioenergetisch-analytische Körperpsychotherapie in der Gruppe
(Konrad Oelmann). Die Kombination der bioenergetischen Übungsgruppe
mit analytischer Selbsterfahrung hat sich als therapeutisch günstig
erwiesen. Die Problematik sich körperlich zu spüren und präsent zu
sein, wird aktiv angegangen. Zusätzlich wird die Thematik sich
verbal und mentalisierend auszudrücken aktiv unterstützt.
Funktionelle Entspannung in Gruppen (Angela von Arnim). Die
Funktionelle Entspannung (FE) ist eine körperbezogene
Psychotherapiemethode, die über die Anregung der Propriozeption,
Entdecken des Eigenrhythmus und Verbalisierung des Wahrgenommenen
funktioniert. Im therapeutischen Prozess dienen drei Grundregeln
als Leitlinien:
Alles (Wahrnehmen und Bewegen) beginnt im Aus(-atmen).
Alles Wahrnehmen und Bewegen wiederholen, aber nicht oft (nur zwei-
bis dreimal).
Nach dem Wahrnehmen und Bewegen nicht mehr tun, außer
nachspüren.
Seine Würfel, Deine Couch und ich (Ulrich Sollmann). Die Intention
dieses Kapitels ist die Absage an die Vorstellung,
psychotherapeutische Interventionen müssten stets durch bewusste,
zielorientierte Indikation getragen sein und einen gewünschten
Effekt bewirken.
Entwicklung der deutschen Gruppenpsychotherapie nach 1945 (Michael
Hayne)
Michael Hayne beschreibt die psychotherapeutische Gesamtsituation
nach 1945 in Ost- und Westdeutschland. Manche der jüngeren
Kollegen/-innen ließen sich in England, den Niederlanden und den
USA ausbilden und brachten von dort neue Impulse für die
Gruppentherapie mit. Seit 1990 entstand eine enge Verbindung zur
DDR-typischen Intendierten-Dynamischen-Gruppentherapie (IDG).
II. Körperpsychotherapie im Kontext von gesellschaftlichem Wandel
und Zeitgeist
Körperpsychotherapie und die Integration in der Psychotherapie
(Dirk Revenstorf). Die Körperpsychotherapie hat zwar eine relativ
große Verbreitung im stationären Bereich, ist aber vom
Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) und dem Gemeinsamen
Bundesausschuss (GBA) nicht erkannt. Aufgrund mangelhafter
theoretischer Grundlagen muss die Körperpsychotherapie darauf
achten, den Anschluss an die evidenzbasierte Psychotherapie ohne
inhaltliche Komplexität und wissenschaftliche Position der
Prozessorientierung nicht zu verlieren.
Gesellschaft, Körper, Zeitgeist (Bettina Schroeter). Der Zeitgeist
der späten 70er und frühen 80er Jahre war getragen von einer nicht
mehr nur politischen, sondern mittlerweile auch sozialen und
persönlichen Aufbruchsstimmung. Heute, eine ganze Generation
später, hat sich der Zeitgeist grundlegend geändert. Die stetige
Zahl von Burnout und Suchterkrankungen spiegelt den Leistungsdruck
im modernen Arbeits-, aber auch Schüler- und Studentenleben und das
gesellschaftliche Unvermögen, Räume und Regulative bereitzustellen,
die Gegenwart verkörpern.
Sich selbst verantworten (Halko Weiss). Halko Weiss vertritt die
Einstellung, mit standardisierten Veränderungsmaßnahmen von äußerer
Autorität getragene richtige und gesunde Zielvorstellungen zu
verfolgen, anstatt Menschen zu typisieren und auf die Korrekturen
von sogenannten Störungen und Fehlentwicklungen zu reduzieren.
30 Jahre Tanztherapie in Deutschland (Marianne Eberhard-Kaechele).
Eberhard-Kaechele zieht die Konsequenzen aus einer
Tanztherapeutenbefragung, dass mehr Energie in die Therapiebildung
investiert werden muss. Zusätzlich empfiehlt sie eine Erweiterung
der Körperpsychotherapeutenausbildung um Konzepte der
Erkenntnistheorie und der wissenschaftlichen
Erkenntnisprozesse.
Täterintrojekte (Tilmann Moser). Tilmann Moser berichtet über das
schwere Erbe der Nachkriegsenkel/-innen, die mit den
Täterintrojekten aus den Kriegsgenerationen umherlaufen, ohne ein
selbst miterlebtes oder erzählbares Ereignis erinnern zu können.
Das Charakteristische der Täterintrojekte ist das Verborgene, das
Heimliche, ihr Agieren aus dem Hintergrund, die
Schwererkennbarkeit, das Eigenleben im Dunklen. Daher entziehen
sich diese Täterintrojekte dem analytischen Prozess und sind schwer
zu erreichen. Die psychotherapeutische Arbeit kann mit einem
einfachen Rollenspiel der Externalisierung sehr wirksam
beginnen.
III. Neue Entwicklungen in der Körperpsychotherapie
Eltern-Baby-Körperpsychotherapie im Spannungsfeld von Trauma und
Bindung (Thomas Harms). Aufbauend auf dem polyvagalen Modell des
Autonomen Nervensystems von Porges, wird hier ein deutlich kognitiv
nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen elterlichem Stress,
Kontaktabbruch und Dissoziation sowie Stress-, Trauma- und
Schreiattacken auf Seiten des Säuglings aufgezeigt. Zusätzlich gibt
es zwei Übungen/Methoden zur Intervention.
Zum Studium des Unbewussten über den Körper (Haiko Weiss).
Infantile Amnesie, Konfabulation zur Legitimation erlebbaren
Fühlens, Denken und Handelns sowie falsche Erinnerungen führen
dazu, dass nur ein geringer Teil der gestaltenden Erfahrungen eines
Menschenlebens kognitiv-bewusst in die Therapie mit eingebracht
werden kann. Die Differenzierung zwischen Beobachter und beachtetem
Zustand oder Gedanken, ist der Kern-Wirkfaktor, den sich die
Verhaltenstherapie in den letzten Jahrzehnten zunutze macht, um den
Kreislauf der typischen Reflektionswelt eines Menschen zu
durchbrechen.
Psychovegetative Regulation, Kooperation, Triade und das
Grounding-Konzept der Bioenergetischen Analyse (Jörg Clauer).
Klienten/-innen mit somatoformen Störungen oder psychosomatischen
Erkrankungen wie auch Traumatisierungen haben oft weder Vertrauen
in eine gemeinsame Regulation innerhalb der Beziehung noch in ihre
Selbstregulation. Zentrale Aspekte der therapeutischen
Interventionen sind daher psychovegetative Regulation und soziale
Sicherheit.
Der Körperbildskulpturtest (Angela von Arnim). Der
Körperbildskulpturtest ist ein dreidimensionales projektives
Verfahren zur Erfassung des bewussten und unbewussten Körperbildes,
das als dreidimensionales, ideographisches, intraindividuelles
Verlaufsinstrument eingesetzt wird. Er wird als Verfahren zur
Messung des Körper-Selbst, der ganzheitlichen Erfahrung des Körpers
und indirekt als Maß für Ich-Identität und Ich-Konsistenz
eingesetzt.
Körperpsychotherapeutische Interventionsstrategien in der
Psychotherapieforschung (Peter Joraschky und Karin Pöhlmann).
Klienten/-innen mit unterschiedlichen Ausprägungsgraden der
Selbstwertstörungen weisen alle zentralen Grundstörungen in den
verschiedenen Dimensionen des Körperbildes auf. Daraus lässt sich
die Konsequenz ableiten, dass es im Rahmen der
Selbstgefühlsvulnerabilität dringend erforderlich ist,
Körperpsychotherapie mit dem Ziel einer verbesserten
Körperakzeptanz langfristig durchzuführen.
Neue Entwicklungen in der Wissenschaft und ihre Bedeutung für die
körperpsychotherapeutische Praxis (Manfred Thielen). Generalisierte
Interaktionserfahrungen werden vom Säugling in der präverbalen
Phase als RIGs (Representations of Interactions that have been
Generalized) psychisch repräsentiert und abgespeichert. Solche RIGs
umfassen alle Sinne des Säuglings. Wenn eine dauerhafte Verbindung
zwischen motorischer Aktion und einem bestimmten Affekt hergestellt
wird, entstehen sogenannte Mikropratiken. Die chronische
Fehlabstimmung zwischen Mutter und Baby werden vom Kind durch die
entsprechende Ausbildung von Mikropraktiken verkörpert und in
seinen RIGs psychisch repräsentiert. Vor diesem Hintergrund sieht
der Autor ein Erklärungsmodell für die Entwicklung psychischer
Störungen.
IV. Körperpsychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
Körperpsychotherapeutische Interventionen in der Arbeit mit komplex
traumatisierten Kindern und Jugendlichen (Anne
Schmitter-Boeckelmann). Bindungstraumatisierte Kinder haben eine
nachhaltig veränderte Gehirnorganisation. Dies führt dazu, dass die
Kinder sich häufig im Zustand der Über- oder Untererregung
befinden, massive emotionale Probleme zeigen, sozial sehr auffällig
sind und damit wieder auf Ablehnung stoßen. Intellektuell sind sie
häufig sehr eingeschränkt oder aber können auf ihre Fähigkeiten
nicht voll zugreifen. Bessel van der Kolk schlägt für schwer
traumatisierte Kinder für das DSM-V die Diagnose einer
»Entwicklungstraumastörung« vor.
Der Ansatz Aucouturier in der therapeutischen Intervention mit
Kindern (Marion Esser). Der französische Ansatz der Psychomotorik
von Bernrad Aucouturier geht davon aus, dass der Körper Bezugs- und
Orientierungspunkt in der Welt ist. Der Mensch erfährt und begreift
die Welt über seinen Körper, nimmt sie über seine Sinne wahr und in
sich auf. Er wird über seinen Körper in ihr tätig. Die Vorstellung,
die sich ein Mensch vom eigenen Körper macht, deckt sich kaum mit
seiner tatsächlichen Anatomie. Das Körperbild ist vielmehr Resultat
der gelebten Erfahrung mit anderen. Dieses Körperschema kann von
der unbewussten affektiven Geschichte des Kindes destabilisiert
werden.
Ausweitung der Körperpsychotherapie auf Kinder und Jugendliche
(Paula Diederichs und Claudia Theil). Die Geburt gilt als erstes
gespeichertes Übergangskonzept oder als erste erlebte und prägende
Krisenbewältigungsstrategie. Das heißt, immer wenn es im Leben zu
Übergängen, Wachstum/Wachstumskrisen kommt, steigt dieses
unbewusste gespeicherte Konzept aus dem Unbewussten auf und kommt
zur Wirkung. Es ist im zellulären Gedächtnis gespeichert. Hier
kommt eine nachhaltige Wirkung in der körperpsychotherapeutischen
Arbeit zum Tragen: Man muss nicht alles kognitiv verarbeiten, um
etwas gelernt zu haben.
V. Unterschiedliche methodische Zugänge in der
Körperpsychotherapie
Revision des ödipalen Phänomens aus biodynamischer und
erogenetischer Sicht (Mona Lisa Boyesen). Das heutige Verständnis
von ödipalem Phänomen geht davon aus, dass das Kind sich in sein
gegengeschlechtliches Elternteil verliebt. Die größte Angst des
Kindes besteht dabei darin, den anderen Elternteil zu verletzen.
Spätere Folgen von Störungen in dieser Entwicklungsphase sind u.a.
Angst- und Unruhezustände, Reizbarkeit, Phobien, hefte
Stimmungsschwankungen bis hin zur Hysterie. Auch neigen die
betroffenen zu unterschwelliger Aggressivität, verbunden mit Scham-
und Schuldgefühlen.
Biodynamik als Selbsthilfemethode (Thomas Haudel). Gerda Boyesen
fand heraus, dass die Darmbewegungen neben der Nahrungsverdauung
auch für den Abbau von stressbedingten Spannungen sorgen. Sie
bemerkte, dass es ihren behandelten Patienten/-innen besser ging,
wenn sie während den Körperbehandlungen wässrige Darmgeräusche
wahrnahm. Patienten/-innen, bei denen sie diese Geräusche nicht
hörte, hatten manchmal starke psychische Reaktionen nach der
Therapie. Sie beschäftigte sich mit diesem Phänomen und stellte
darüber eine fundierte Theorie auf. In der Folge entwickelte sie
spezielle Formen von Massagen, die zum Ziel hatten, Spannung in
Körper und Psyche zu lösen und zugleich die Darmperistaltik
anzuregen. So entdeckte sie eine Methode, um nervöse und emotionale
Spannungen bzw. die ihnen entsprechenden biochemischen Substanzen
verdauen und somit auflösen zu können. Für den emotionalen Aspekt
des peristaltischen Prozesses hat Gerda Boyesen den Begriff
Psycho-Peristaltik geschaffen.
Funktionelle Entspannung (FE) am Beispiel einer Traumatherapie
(Verena Lauffer). Am Beispiel einer Traumatherapie wird die
Vorgehensweise der Funktionellen Entspannung in ihrer Anwendung
gezeigt. Im Leib prozedural gespeicherte, implizite Erfahrungen
werden aufgenommen. Die Orientierung an der leiblichen Auswirkung
und die uneingeschränkte Wertschätzung der Fähigkeit des Patienten
steuern den Prozess, die in den Störungen verborgenen
Lösungsvorschläge des Leibes zu finden.
VI. Zur Repräsentanz des Weiblichen in der Körperpsychotherapie
Zum Verhältnis von Körperinszenierungen und weiblicher
Körperlichkeit (Helga Krüger-Kirn). Das Kapitel zeigt beeindruckend
vor dem Hintergrund empirischen Materials, die Auswirkungen
frühester biografischer Körpererfahrungen auf die weibliche
Subjektivierung und das geschlechtliche Körpererleben. Es wird
deutlich, dass das homosexuelle Begehren ein spezifisch weibliches
Begehren nach weiblicher/mütterlicher Spiegelung der
körperlich-leiblichen Erfahrungen und Empfindungen
repräsentiert.
Zur Repräsentanz des Weiblichen im Feld der Körperpsychotherapie
(Angela von Arnim, Ebba Boyesen, Helga Krüger-Kirn, Jacqueline
Mayer-Ostrow und Bettina Schroeter). In diesem Panel wird der Frage
nachgegangen, wieso der psychotherapeutisch weiblich dominierte
Beruf besonders im Bereich der Körperpsychotherapie auf der
öffentlichen Bühne (Berufspolitik, Forschung, Lehre, Publikation,
Kongressauftritte etc.) von Männern dominiert wird. Im Anschluss an
diese Diskussion hat sich die Arbeitsgruppe »neue Rose«
gebildet.
VII. Berufs- und wissenschaftspolitische Perspektiven der
Körperpsychotherapie
Wissenschaftliche Anerkennung und Perspektiven der
Körperpsychotherapie (Benajir Wolf). Seit dem Wintersemester
2010/2011 gibt es an der Philipps-Universität in Marburg am
Institut für Sportwissenschaften und Motologie den
Studienschwerpunkt Körperpsychotherapie im Rahmen eines
Masterstudienganges.
Berufspolitische und wissenschaftliche Perspektiven der
Körperpsychotherapie (Manfred Thielen). Manfred Thielen beschreibt
vor dem aktuellen Hintergrund der wissenschaftlichen Anerkennung
und Krankenkassenanerkennung von psychotherapeutischen Verfahren
die Situation der Körperpsychotherapie bis hin zum aktuell 2011
verabschiedeten Basiscurriculum für die
Körperpsychotherapieausbildung.
Zielgruppe
Das Buch »Körper – Gruppe – Gesellschaft« richtet sich an alle
Interessierten der Körperpsychotherapie. Für Laien dürfte es
allerdings schwer verständlich sein.
Fazit
Neben dem Gruppenthema sind weitere Schwerpunkte des Buches
Körperpsychotherapie im Kontext des gesellschaftlichen Wandels und
des Zeitgeistes, neue Entwicklungen, körperorientierte Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapie, unterschiedliche Zugänge sowie
wissenschaftliche Anerkennung und Perspektiven der
Körperpsychotherapie. Inhaltlich sind die Beiträge der einzelnen
Autoren-/innen hochqualitativ auf dem aktuellen Stand der Forschung
aufgesetzt. Dennoch lassen die einzelnen Darstellungen es nicht an
praktischem Bezug, Fallbeispielen, konkreten Handlungsansätzen und
therapeutischen Übungen fehlen. Schnell wird deutlich, dass es sich
bei der Körperpsychotherapie nicht um ein mögliches
Alternativverfahren handelt, sondern um den einzigartigen Zugang zu
körperlich gespeicherten Informationen, die auf andere Art und
Weise nicht für den therapeutischen Bereich nutzbar gemacht werden
können. Das Buch lässt sich sehr gut lesen und überzeugt
didaktisch, methodisch sowie kognitiv schlüssig auch den größten
Skeptiker der Körper(psycho)therapie. Sehr empfehlenswert!
Rezensentin
Dr. Kirsten Oleimeulen
Psychologin – Familienberaterin, akkreditierte Psychologin für
Gesundheitspsychologie und Prävention (BDP), systemische
Familientherapeutin und Supervisorin, Online-Beraterin für
www.kinderwelten.de
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