Rezension zu »Das ist einfach unsere Geschichte«
PW-Portal – Portal für Politikwissenschaft
Rezension von Natalie Wohlleben
Marie-Luise Kindler / Luise Krebs / Iris Wachsmuth / Silke Birgitta
Gahleitner
»Das ist einfach unsere Geschichte« Lebenswege der »zweiten
Generation« nach dem Nationalsozialismus
Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit wird
meist dann thematisiert, wenn Wissenschaft, Politik oder
gesellschaftliche Gruppen einen Beitrag dazu leisten. In der
öffentlichen Diskussion spielt dabei die Ebene, auf der die meisten
Menschen zuerst damit konfrontiert werden, meist keine Rolle: das
familiäre Umfeld. Dabei dürfte es keine Frage sein, dass der
Einzelne sich gerade über persönliche Erfahrungen und Eindrücke
eine Meinung formt. Wie es naheliegend ist, richtete sich die
Frage, wie der Nationalsozialismus auch das Leben der Nachgeborenen
noch prägt, bisher allenfalls an die Kinder der
Holocaust‑Überlebenden und damit der sogenannten zweiten Generation
– oder aber, vor allem in den allgemeinen Medien, an die Kinder der
bekanntesten Täter. In einem Lehr‑Forschungsprojekt der Alice
Salomon Hochschule Berlin in Zusammenarbeit mit der Universität
Haifa wurden nun Angehörige einer anderen zweiten Generation
befragt: die Kinder (und teilweise Enkel) der Mitläuferinnen und
Mitläufer des NS‑Regimes. Vertreten durch zehn biografische
Befragungen wird damit die Mehrheitsgesellschaft in den Mittelpunkt
gerückt. Die Kindheit und Jugend der meisten Befragten zeigt sich
als eingepfercht zwischen (Be‑)Schweigen der NS‑Erfahrungen bzw.
deren allgemein gehaltene Rechtfertigung durch die Eltern auf der
einen und einer strengen, oftmals gewalttätigen Erziehung, die in
Einzelfällen an Folter grenzte, auf der anderen Seite. In dieser
Form der Erziehung sei ein Fortschreiben von Methoden zu sehen, die
bis in die Weimarer Zeit zurückreichten. Die Herausgeberinnen
stellen außerdem fest, dass durch das Schweigen der Eltern zu
konkreten Erfahrungen und eigenen Taten die eigentliche
Aufarbeitung der Vergangenheit an die Kinder delegiert wurde. Deren
»Bewältigungspfade« (173) reichen von einer reflexiven
Auseinandersetzung, auch über eigene Therapieprozesse, bis zu einer
nahtlosen Tradierung der elterlichen Haltung, die in eigener Gewalt
und rechtsextremen Einstellungen münden kann. Spätestens mit dieser
Feststellung lässt sich die Bedeutung einer politischen Bildung
ermessen, die die Vergangenheit aus dem familiären Schweigen
herauslöst und einer Aufarbeitung zugänglich macht. Aus dieser
Studie ist zu schließen, dass dies nicht nur für diese zweite
Generation, die mittlerweile das Rentenalter erreicht hat,
zutrifft, sondern auch für deren Kinder und Enkel.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de
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