Rezension zu Traum(a) Migration (PDF-E-Book)

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Rezension von Mondrian von Lüttichau

Mondrian von Lüttichau

Robert E. Feldmann/Günter H. Seidler (Hrsg.): Traum(a) Migration. Aktuelle Konzepte zur Therapie traumatisierter Flüchtlinge und Folteropfer

Diese Sammlung von Hintergrundinformationen, transkulturellen Behandlungskonzepten und klinischen Fallbeispielen ist insgesamt sehr nüchtern gehalten, jedoch verstecken sich in dem Buch viele nachvollziehbare Hinweise zur konkreten zwischenmenschlichen Situation von Flüchtlingen/Asylbewerbern.

Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf der notwendigen ethnopsychiatrischen Sensibilität (die übrigens auch im allgemeinpsychiatrischen Arbeitsfeld nützlich wäre!). In den Berichten wird deutlich, daß zeit- und geldökonomische Ressourcen hierfür selbst in entsprechend spezialisierten Settings ständig an ihre Grenzen kommen. Minimalkonsens ist, daß Unterstützung unterscheiden muß zwischen einzelnen Problemfeldern (Stichworte: politisch-gesellschaftliche Situation in der Heimat; kulturelle Unterschiede; administrative/soziale Probleme in Deutschland; individuelle Aspekte).

In mehreren Referaten wird sehr deutlich, daß die nach Deutschland mitgebrachte traumatische Realität (im psychotraumatologischen Sinne) für viele Flüchtlinge unzweifelhaft anhält, solange sie in Deutschland keine Sicherheit haben, früher oder später wieder zurückgeschickt zu werden. Dies hat mir doch sehr zu denken gegeben.

Eine nützliche Veröffentlichung, nicht nur für Praktiker, sondern auch als Argumentationshilfe, wenn es regional um eine angemessenere Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund gehen soll, sowie im Hochschulrahmen (auch durch die sehr umfassenden Hinweise auf aktuelle Studien und sonstige Fachliteratur).

Für mich besonders interessant waren folgende Aufsätze:
* Migrantinnen und Migranten zwischen Trauma und Traumabewältigung. Implikationen aus Migrationssoziologie und interkultureller Psychotherapie (S. Stock Gissendanner, I.T. Caliess, G. Schmid-Ott, K.Behrens) (Migration bedeutet Diskontinuität der Identität und ist schon von daher analog zum Problem einer Traumabewältigung zu verstehen.)
* Traumatisierte Flüchtlinge. Kultursensible Psychotherapie im politischen Spannungsfeld (B.Abdallah-Steinkopff, J. Soyer) (Eine nuancierte, erfrischend kritische Darstellung unterschiedlicher relevanter Aspekte.)
*Psychotherapie mit schwer traumatisierten tschetschenischen
Flüchtlingen in der »Festung Europa« (B. Preitler) (Ein an konkreten Fallsituationen orientierter Praxisbericht aus Österreich.)
* Flucht, Trauma- und Trauerarbeit. Therapie einer schwer traumatisierten Frau aus Ostafrika im ethnopsychiatrischen Behandlungssetting (B. Küchenhoff, H. Schär Sall) (Was meint ethnopsychiatrischer Ansatz? Darstellung aus einer Schwerpunktstation an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich)
* Ressourcenorientierte traumazentrierte Behandung von Migranten (I. Ökzan, M. Belz) (Kreative Möglichkeiten zur Ressourenfindung)
* Interkulturelle traumazentrierte Psychotherapie unter Anwendung der EMDR-Methode (M. Schouler-Ocak) (EMDR mit Übersetzer!)
* Psychotische Störungen im transkulturellen Behandlungskontext (E. van Keuk, H.-W. Gierlichs, L. Joksimovic) (Fehldiagnosen vor allem bei PatientInnen aus Afrika sind häufig: Was ist Traumasymptom, was ist Psychose, was ist kulturelle Bewältigungsmethode oder Spiritualität?)
*Transkulturelle Aspekte bei der Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (J. Ilhan Kizilhan, K. S. Utz, J.Bengel) (Ungewöhnliche Interventionsansätze, die für PatientInnen aus anderen Kulturen nützlich sein können.)

Die fachlich hochkarätigen ReferentInnen berichten fast ausnahmslos von gegenwärtig praktizierten Konzepten. Allerdings gibt es dabei viele Überschneidungen bei der Darstellung der Rahmenbedingungen. Hierzu hätte ich mir einen übergeordneten Text gewünscht, dafür mehr Nuancen und konkretere Erfahrungen, auch Fallberichte, bei den Berichten aus der Praxis.

Leider ist das Paperback schlecht geklebt; ich hatte nach einmaligem Durcharbeiten bereits die ersten Seiten in den Händen. Das ist kein Argument gegen den Inhalt, aber schade ist/'s doch.
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