Rezension zu Burnout
GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung 2013, Vol. 30(2), ISSN 1860-3572
Rezension von Thomas Lempp
Ein Seminar für Medizinstudierende an der Universität Frankfurt:
Die Studierenden sollen in Kleingruppen Differenzialdiagnosen für
eine 16-jährige Jugendliche sammeln, die sich mit
Schlafstörungen, Erschöpfungszuständen und neu aufgetretenen
schulischen Konzentrationsproblemen ambulant vorstellt. Die
Studenten überraschen wie so oft mit guten Ideen:
Schilddrüsenfunktionsstörung, Drogenabusus, Depression, PTBS,
Borreliose. Schließlich einigt sich eine Gruppe von hoch
interessierten Teilnehmern, dass es sich wohl am ehesten um ein
»Burnout- Syndrom« handeln müsse, da die Symptome unmittelbar nach
dem Wechsel der Patientin in ein elitäres Privatgymnasium
aufgetreten sind.
»Burnout«: Immer häufiger taucht dieser bisher nicht einheitlich
definierte und daher schwierig zu handhabende Begriff in den
letzten Jahren im klinischen Arbeitsalltag auf. Patienten, Medien,
Studierende benutzen ihn oft völlig selbstverständlich und Ärzte
(so auch der Rezensent) sind durch den inflationären Gebrauch des
Begriffs meist irritiert und überfordert. Faktenwissen tut also
Not. Das kompakte, angenehm nüchtern und praxisnah geschriebene
Büchlein »Burnout – Basiswissen und Fallbeispiele« trägt allerlei
Wissenswertes zu diesem Phänomen zusammen. Der Autor, ein
emeritierter Psychiatrieprofessor hat sicherlich schon einige
Krankheitsentitäten in seiner beruflichen Laufbahn kommen und
gehen sehen (z.B. Neurasthenie, Chronic Fatigue Syndrom) und seine
langjährige klinische Erfahrung wird auf allen 80 Seiten deutlich.
Trotzdem bleibt nach der Lektüre so einiges unklar. Einführend
wird zwar das Krankheitskonzept und die eindimensionale
ätiologische Sichtweise, die im »Burnout«-Begriff enthalten ist
(krankmachende Erschöpfung durch die Bedingungen der modernen
Arbeitswelt) eingängig kritisiert, aber in den nachfolgenden
Kapiteln »Wie erkennt man Burnout?« und »Burnout oder Depression?«
werden diagnostische und differentialdiagnostische Überlegungen
angestellt, als sei der Autor eigentlich doch von einer
eigenständigen Krankheit »Burnout« überzeugt. Dies verwirrt. Das
Kapitel »Was sind die Ursachen von Burnout?« überzeugt mit
spannenden und klugen Überlegungen, warum sich diese vermeintliche
Diagnose so inflationär in unserer Gesellschaft ausgebreitet hat.
Ein sozialhistorischer Rückblick mit dem Aufzeigen der gestiegenen
Erwartungshaltung der Menschen an die Arbeits- und Lebensqualität,
eine Mitbeachtung der Dimension »moderner Armut« und den
Auswirkungen von reduzierten familiären und weltanschaulichen
Bindungen auf die psychische Gesundheit zeigen die zahlreichen
Facetten des Themas auf. Für die klinische Praxis interessant
erscheinen vor allem die differentialdiagnostischen Überlegungen
von Prof. Payk: »echte« Depressionen, Anpassungsstörungen,
somatoforme Störung und bipolare Störungen (in deren manischen
Phasen eine erhöhte Arbeitsleistung möglich ist und in den
nachfolgend depressiven Episoden ein Gefühl der »völligen
Ausgebranntheit« bestehen kann). Auch auf die Wichtigkeit der
Abklärung körperlicher Diagnosen legt Payk ausdrücklich wert:
Tumorleiden, chronische Infektionen, Bluterkrankungen,
Stoffwechselstörungen. Letztlich bleibt dem Rezensent aber die
anvisierte Zielgruppe für dieses Büchlein unklar. Für Ärzte und
Psychotherapeuten fehlen sicherlich konkrete Handlungsleitlinien
für Fragestellungen des klinischen Alltags. Am ehesten erscheint
das Werk für akademisch gebildete Betroffene und deren Angehörige
geschrieben zu sein. Diese dürften aber über die therapeutischen
Empfehlungen im Kapitel »Was tun gegen Burnout?« eher enttäuscht
sein, da diese doch sehr im Allgemeinen bleiben (Förderung des
sozialen Umfeld, Sport, Kreativität, usw.).
Einige komplexere, aber wichtig erscheinende Aspekte bleiben im
Büchlein ausgespart oder finden zu wenig Beachtung: Die Patienten
scheinen im Begriff »Burnout« ein unstigmatisierendes,
plastisch-bildliches Konzept mit einfachem Abstraktionsniveau
vorzufinden (»Ausgebrannt«), bei dem die Krankheitsursache
überwiegend außerhalb des Individuums gesehen wird. Die aktuelle
psychische »Schwäche« wird mit früherem motivierten,
enthusiastischen, aufopferungsvollen Handeln vor sich selbst und
vor anderen legitimiert. »Burnout« stellt also wohl in erster Linie
ein subjektives (!) Krankheitsmodell dar, dass im ärztlichen
Alltag ernst zu nehmen, aber als Diagnose nicht vom Patienten
direkt zu übernehmen und in jedem Fall sehr kritisch
differentialdiagnostisch zu hinterfragen ist. Für Fachleute liegt
das Hauptproblem zunächst wohl darin, dass es keine allgemein
gültige Definition des Begriffes gibt. Darüber hinaus beschreibt
die moderne Psychiatrie in ihren gängigen
Krankheitsklassifikationen (ICD-10, DSM-V) »demütig geworden« nur
noch typische Symptomkonstellationen ohne dabei i.d.R. über die
möglichen Ursachen zu spekulieren. Eine Verwendung des Begriffes
»Burnout« von Fachleuten erscheint hier wie ein Schritt zurück.
Der Patient hingegen scheint hier jedoch andere Bedürfnisse zu
haben, die ebenfalls ernst zunehmen sind. An der Erfolgskarriere
des Begriffes kann von der Ärzteschaft vielleicht Wichtiges über
die Patienten-Perspektive gelernt werden (Brauchen wir neue
entstigmatisierende Krankheitsbezeichnungen?; Brauchen die
Patienten ein besseres Verständnis für die Krankheitsursache und
wie können wir ihnen diese besser vermitteln?).
Präventionsmedizinisch und betriebsärztlich sollten wir uns
intensiver mit der Frage auseinandersetzen, wie Arbeitsbedingungen
(z.B. auch in Krankenhäusern) gestaltet sein sollten, um nicht nur
körperliche sondern auch psychische Gesundheit zu erhalten. Die
Ärzteschaft insgesamt wird den Burnout-Begriff, der sich mit
enormem Erfolg in der Gesellschaft durchgesetzt hat, wohl weder
blind übernehmen, noch vehement verteufeln können.
Zusammenfassend bietet dieses Büchlein eines erfahrenen Arztes
eine lehrreiche Lektüre zum Thema, kann aber die bestehende
Verwirrung in der Fachwelt nicht wirklich reduzieren. Der Rezensent
empfiehlt diesbezüglich das aktuelle Positionspapier der Deutschen
Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde
(DGPPN) zum Thema Burnout vom März 2012 (kostenlos erhältlich
über die DGPPN-Homepage: http://
www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/
download/pdf/stellungnahmen/2012/ stn-2012-03-07-burnout.pdf). Hier
werden klinisch hilfreiche Hinweise für den Umgang mit dem
Burnout-Phänomen vermittelt. Einige offenen Fragen bleiben aber
auch hier bestehen. Das Thema »Burnout« bleibt also weiter
spannend.
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte im
Zusammenhang mit diesem Artikel hat.
Bitte zitieren als:
Lempp T. Theo R. Payk: Burnout – Basiswissen und Fallbeispiele. GMS
Z Med Ausbild. 2013;30(2):Doc16. DOI: 10.3205/zma000859, URN:
urn:nbn:de:0183-zma0008597
Artikel online frei zugänglich unter
http://www.egms.de/en/journals/zma/2013-30/zma000859.shtml
Eingereicht: 19.02.2013 Überarbeitet: 08.04.2013 Angenommen:
08.04.2013 Veröffentlicht: 15.05.2013
Copyright
©2013 Lempp. Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht
unter den Creative Commons Lizenzbedingungen
(http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf
vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht
werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.