Rezension zu Stimme und Suggestion

à jour! Nr. 50, Mai, ASP-Zürich

Rezension von Theodor Itten

Stimme und Suggestion

Viele von uns kennen die Stimme von Peter Geissler, jedenfalls im geschriebenen Wort. Er ist Psychotherapeut in freier Praxis in Wien und weithin bekannter Veranstalter des Wiener Symposiums »Psychoanalyse und Körper« sowie Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift, inzwischen im 12. Jahrgang. Als Herausgeber ist er emsig und legt uns Praktikerinnen und Praktikern immer wieder Textsammlungen mit interessanten empirischen Befunden sowie stimulierenden theoretischen Spekulationen vor. Sein neuestes Buch gliedert sich in drei Teile.

Im ersten Teil beschäftigen sich vier Autoren mit dem Körper in der relationalen Psychoanalyse. Wer stimmig ist, sich selber hört, sich gehört und so in sich eine intrakommunikative Lebendigkeit fühlt, der kann seiner inneren Stimme vertrauen. Wenn wir nur noch mit ethisch stimmigen Menschen reden dürften, dann gäbe es keine Selbstgespräche mehr. Psychoanalyse ist wie die Seiten einer Geige. Die Sprache wäre dann der Bogen und die Noten die emotionalen Signale des anderweitig nicht Kommunizierbaren. In uns schlummert immer schon im Wesenskern ein nicht aussprechbares Erlebnis, nämlich das des Anfangs-nicht-sprechen-könnens, der innere Leibraum der Stille. Zum Schreien und Wimmern, Lachen und Singen reichen die Stimmen der Babies und Kleinkinder, nur bis sie reden können, dauert es fast zwei Jahre, und beginnt mit dem Aufstehen bis zum Laufen. Peter Geissler macht den ganzen evolutionsbiologischen Fächer auf, damit wir den Überblick bis hin zur sprachlich-melodiösen Mitteilung unverhüllt ins gedankliche Gespräch mitnehmen können. Die Stimme der Analytikerin wirkt als heilsame indirekte Kommunikation im somato-seelischen Heilungsprozess des Analysanden.

Im zweiten Teil geht es um die Stimme als Teil des Körper-Selbst: die »musikalische Dimension« im psychoanalytischen Geschehen. Drei Kapitel beschäftigen sich mit diesem stimmkörperlichen Heilungsprozess. Die Rhythmen der seelischen und leiblichen Sphären in einer Behandlung bewegen sich im Gefäß des Selbst, fast so, als sei dies die Sinnlichkeit der körperorientierten Psychoanalyse. Verbunden damit ist das Begehren der Analysanden, gesehen, gehört und wahrgenommen zu werden. Zwischen den beiden in einer Analyse beteiligten Menschen entsteht eine Offenheit des Sinnlichen. Können wir, als Seelenkundler/-innen, die Heilungsprozesse hören und fühlen? Was bedeutet das für die musikalischen Eigenschaften tonal und atonal ausgesprochener Wahrheiten? Können wir die Stimmigkeit der Authentizität erhorchen? Vermutlich schon, wenn wir den unmittelbaren Wirkungszusammenhängen vertrauen.

Was ist das Fazit für die Praxis? Die behandlungsmethodische Atmosphäre ermöglicht den stimmlichen Austausch im therapeutischen Gewährenlassen dessen, was sich vom Unbewussten zeigen will. Günter Heisterkamp drückt es so aus: »Mit der Wiederbelebung unterdrückter Lebensbewegungen ist oft viel Freude beim Patienten und beim Therapeuten verbunden, die beiden oft glückliche Situationen wechselseitiger existentieller Resonanz beschert.«

»Die Unvermeidbarkeit der Suggestion« wird der dritte Teil betitelt. Hier sind acht Autoren am Werk. Suggestion oder das Äußern einer Vorahnung wird hier in der relational angelegten körperorientierten Analyse als zentrale und grundlegende Kraft angesehen. Hier ist Platz fürs Spielen mit Sprache und Wortwitz. Hier kann das Lachen und Weinen inmitten der Behandlung die Behandlungssubstanz sein; das Singen der Tränen, das Rauschen in den Ohren, das Wogen des Blutes im Meer des Leibes, jenseits der Suggestion von möglichen Metaphern. Jedem und jeder sein oder ihr Gleichnis. Hier lesen wir viele und vielseitige klinische Beispiele, welche den Zögerlichen unter uns einen kleinen Anstoß geben.

Schmerzlich vermisst wird die weibliche Schreibstimme, und immer wieder stoße ich mich am Deutsch der Männersprache. So haftet diesem hilfreichen Projekt des Seelensprechens, des der Seele Behilflichseins, wenn diese Seele in die menschliche Sprache hineinkommen möchte, der Makel der Halbwertigkeit an. Damit unsere Seelenarbeit gelingen kann, braucht es die sprachlich stimmige Entleerung, die jedem von uns daran aktiv Beteiligten die Möglichkeit gibt, voll und ganz, stimmig im Hier und Jetzt zu sein. Ein ansprechendes Buch mit vielen Stimmen und einem Sog von Veränderungssuggestionen.

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