Rezension zu Sozialpsychologie des Kapitalismus - heute

Junge Welt vom 7. März 2013

Rezension von Alexander Reich

50 Cent und die sieben Zwerge
Heute beginnt in Berlin ein Kongreß kritischer Psychologen – ihr Sammelband vom vorjährigen taugt als Handreichung

Was Adorno an Freud geschätzt habe, sei dessen Beharren auf der Unvereinbarkeit menschlicher Lebens- und Glücksansprüche mit den Zwängen der Gesellschaft gewesen, erklärte der Psychologieprofessor Morus Markard im vergangenen März auf dem Kongreß der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP). An die hundert Studenten folgten seinen Ausführungen wie einem Meeresrauschen, einer zog mit dem Edding einen dümmlichen Spruch auf einer Federtasche nach, die er aus seiner Schulzeit hinübergerettet haben mußte.

Bevor der Name des Veranstaltungsorts, Freie Universität Berlin (FU), völlig absurd erscheinen konnte, erinnerte Markard an seinen marxistischen Mentor, der an dieser FU in den 60ern die Kritische Psychologie begründet hatte. Auch für Klaus Holzkamp habe »die ganze Bedeutung Freuds als großem unbestechlichen, bürgerlichen Wissenschaftler« in der Maxime gelegen, daß Triebansprüche und Gesellschaftlichkeit einander ausschließen – unter den gegebenen Bedingungen, versteht sich.

»Ist Sozialismus mit ›real existierenden Menschen‹ möglich?« war Markards Vortrag überschrieben. Mit diesen hier wohl eher nicht, war man geneigt zu unken, aber die Antwort muß den akademischen Nachwuchs interessiert haben. Warum wäre er sonst dagewesen? Daß Markard »kein einziges psychologisches Argument« gegen die Machbarkeit des Sozialismus kannte, hat einige seiner Hörer also möglicherweise doch immun gemacht gegen die empirischen Studien zur kapitalistischen Natur des Menschen, die sie jeden Tag büffeln müssen.

Rechtzeitig zum nächsten NGfP-Kongreß, der heute in der Silberlaube der FU beginnt, ist der Sammelband mit den Referaten vom letzten Jahr erschienen, in dem nicht nur Markards Schreibweise des Bundespräsidenten »GAUck« Beachtung verdient. Diesmal geht es auf dem Kongreß bis Sonntag schwerpunktmäßig um soziale Verwerfungen, die mit der Warenförmigkeit der Bildung einhergehen, und auch da bietet der vorliegende Band einige Ansätze.

Wenn Teenager heute die »zehn Gesetze für den täglichen Busineßkampf« im Schlaf herbeten, die der Rapper 50 Cent in seinem Ratgeber »Geld, Macht, Freiheit« aufstellt, sollten sie Omas Märchenbuch konsultieren, meint etwa der Sozialpsychologe Josef Berghold. In Wilhelm Hauffs »Das kalte Herz« werde eine »durch die Übermacht des Geldvermehrungszwangs bewirkte emotionale Verkümmerung« sehr anschaulich; die sieben Zwerge aus »Schneewittchen« seien »mit ihrem ›Interesse an materiellen Gütern unter Ausschluß der Liebe‹ auf einer vorpubertären Entwicklungsstufe steckengeblieben«, erläutert der Kärntner mit Rückgriffen auf die berühmten Analytiker Wolfgang Schmidbauer und Bruno Bettelheim.

Sebastian Winter, Psychologe und Historiker aus Bielefeld, erörtert Amokläufe an Schulen vor dem Hintergrund einer liberalen Erziehung, in der Indifferenz und Kälte an die Stelle körperlicher Züchtigung getreten sind. Unauffällige, nicht einmal übermäßig verrohte Schüler wie Robert Steinhäuser würden in Akten rücksichtsloser »Selbstverwirklichung« zu Mördern, was mit den ordinären Amokläufen im Börsengeschehen durchaus zu tun habe.

Burkhard Bierhoff schließlich, Privatdozent der Soziologie an der Uni Dortmund, zitiert ein Bonmot des Bonner Zentrums für Lehrerbildung: »Der von PISA als kompetent Geprüfte soll später einmal ebenso Babynahrung produzieren können wie Landminen.« Dem aktuellen Triumphalismus einer an ökonomischer Effizienz ausgerichteten Bildung setzt er ein Diktum von Marx entgegen, das er zu Recht als »bekannt« voraussetzt, auch wenn die wenigsten Marx’ »Ökonomisch-philosophische Manuskripte« auf der Pfanne haben, denen es entnommen ist: »Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen.«

Von Bierhoff ist für Samstag auf dem NfGP-Kongreß eine »Kritik der institutionalisierten frühkindlichen Erziehung und Sozialisation« angekündigt. Direkt im Anschluß referiert Gottfried Ensslin »über schwules Coming-out gestern und heute«. Am Freitag spricht der Wirtschaftsinformatiker Franz Witsch über »Lernen fürs Leben, nicht fürs Kapital«, bevor ein Podium »Perspektiven einer kritischen Fachgesellschaft« diskutiert, und zwar unter dem munteren Titel »Learning from Las Vegas«.

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