Rezension zu Sozialpsychologie des Kapitalismus - heute (PDF-E-Book)
Analyse & Kritik. Zeitschrift für linke Debatte und Praxis. (Ak Nr. 583)
Rezension von Jens Renner
Sozialpsychologie als Herrschaftskritik
Diskussion Zur Aktualität Peter Brückners (1922–1982)
Von Jens Renner
Nur einmal habe ich ihn erlebt, 1977 auf einer Veranstaltung in
Münster. Eine linke Hochschulgruppe grüßte ihn mit einem
Transparent: »Wir danken Peter Brückner für den aufrechten Gang«.
Der Angesprochene bedankte sich seinerseits, wies aber darauf hin,
dass er zum Einknicken gar keine Gelegenheit bekommen hatte: Nach
dem Attentat auf Generalbundesanwalt Buback, dem »Buback-Nachruf«
und der folgenden Repressionswelle gegen den Göttinger AStA und
seine Unterstützerinnen hatte Brückner, Psychologieprofessor in
Hannover, zusammen mit 47 KollegInnen, den Buback-Nachruf erneut
veröffentlicht. Elf von ihnen arbeiteten, wie Brückner, in
Niedersachsen, und alle elf distanzierten sich wenig später von
ihrer Solidaritätsaktion – der niedersächsische Kultusminister
Eduard Pestel (CDU) hatte sie nach einer medialen Hetzkampagne zum
schriftlichen Widerruf aufgefordert. Bruckner war gar nicht erst
angeschrieben worden, denn ihn wollte man loswerden.
Man – das war nicht nur die CDU in Hannover. sondern auch die im
Bund regierende SPD, allen voran der gern als »Querdenker« gelobte
Peter Glotz, damals Westberliner Wissenschaftssenator. Er
veröffentlichte in, der Springer-Zeitung Die Welt einen Offenen
Brief mit der Überschrift »Distanzieren Sie sich oder gehen Sie!«,
gerichtet an die Professorinnen, die sich mit Brückner
solidarisiert hatten. Während im hysterischen Jahr 1977 linke
Intellektuelle reihenweise ihre Loyalität zum Staat bekundeten,
blieb Bruckner sich treu. Das führte zur Suspendierung und zu
Hausverboten auch an anderen Unis; um ihren Beamtenstatus
fürchtende Kolleginnen rückten von ihm ab. Die folgenden Prozesse
hat Brückner zwar gewonnen, sie und die Hetze gegen Ihn kosteten
aber auch viel Kraft. Brückner starb am 11. April 1982 im Alter von
nur 59 Jahren an Herzversagen.
Der kürzlich erschienene Sammelband »Sozialpsychologie des
Kapitalismus – heute. Zur Aktualität Peter Bruckners« enthält
Beiträge von AutorInnen, die im März 2012 an dem gleichnamigen
Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie in Berlin
teilgenommen haben. Deutlich wird, dass Brückners Denken nie Im
Widerspruch zu seinem politischen Handeln stand. »Seine Methode des
Eingreifens in wissenschaftliche Diskurse, seine politische
Haltung« waren darauf gerichtet, »das Heute (zu) verstehen, um es
zu verändern«, schreibt Klaus-Jürgen Bruder in seinem einführenden
Beitrag.
Die Sozialpsychologie des Kapitalismus (so der wiederverwendete
Titel einer Schrift Brückners von 1972) lässt sich heute an
diversen Beispielen studieren. In dem Sammelband schreibt Gernot
Böhme über »ästhetischen Kapitalismus«, Claudia Barth über
»Esoterik – Ecstasy des Bürgers« und Timo K. Werkhofer über
»Individuum, Macht und Ethos«; Christoph Jünke referiert Brückners
»Versuch, uns und anderen die Neue Linke zu erklären«. In zwei
Beiträgen geht es um Fußball: Dagmar Schediwy untersucht das
Phänomen des »neuen deutschen Fußballpatriotismus« und Gerd
Dembowski (siehe ak 581) das Selbstbild der Ultras.
Dass die 25 Autorlnnen sich zu Recht auf Brückner berufen, wird in
Klaus Webers Text »Die Befreiungspsychologie Peter Brückners«
deutlich. Vorangestellt ist ein Zitat von Peter Weiss: »Die
Befreiung kann uns nicht gegeben werden, wir müssen sie selbst
erobern.« Danach handelte Brückner. »Herrschaftskritik war für
Brückner kein intellektuelles Spiel, sondern die einzige
Möglichkeit als Intellektueller zu leben und zu überleben.« Seine
Kritik an der bürgerlichen Familie als »Instanz zur Herstellung
gesellschaftlicher Feindseligkeit« ist aktueller denn je, wie Weber
an den dominierenden, neoliberalen Erziehungskonzepten zeigt. Dem
Credo des heute stilbildenden Familienpsychologen Klaus Scheewind –
»Nur mit dem Sozialisationserfolg von Familie und Schule wird
effiziente Wirtschaft möglich« – stellt er Brückners Position
gegenüber: »Besitzverhältnisse, von Anfang an in
Macht-Ohnmacht-Strukturen verflochten, konstituieren die sinnlich
erfahrene Welt. Wer sie akzeptiert, akzeptiert auch Herrschaft.«
Das ist auch der gemeinsame Nenner der AutorInnen des anregenden
Sammelbandes.
Wer vor der Lektüre des umfangreichen, anspruchsvollen und nicht
ganz billigen Buches zurückschreckt, sollte diese, Rezension
zumindest zum Anlass nehmen, die eigenen Bücherregale durchzusehen.
Ältere ak-Leserlnnen dürften dort noch Peter Brückners »Versuch,
uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären« (1978) finden oder
auch seine Autobiografie der Jahre 1933 bis 1945 »Das Abseits als
sicherer Ort« (1981). Beide Bücher sind heute noch.– oder wieder –
lesenswert.