Rezension zu Geschwisterdynamik (PDF-E-Book)
ÖAGG FEEDBACK 3&4/2012 Zeitschrift für Gruppentherapie und Beratung
Rezension von Ulrike Swoboda
Geschwisterdynamik
Hans Sohni
Geschwister verbringen in ihrem Leben mehr Zeit miteinander als mit
Mutter oder Vater. Die enorme Bedeutung dieser
Geschwisterbeziehung(en) und die Gewichtung für die psychische
Entwicklung und die Bedeutung für das Selbst, das beschreibt Hans
Sohni ausführlich in seinem Buch »Geschwisterdynamik«.
Sensibilisieren möchte er die LeserInnen, damit diese Ebene und
deren Bedeutung verstärkt in den Blickpunkt kommt. Das gelingt dem
erfahrenen Familientherapeut durch anschauliche Beschreibungen,
verständliche Sprache und mit einfühlsamen Fallbeispielen.
Das 133 Seiten umfassende Taschenbuch ist in zwei große
Themenbereiche gegliedert: Im ersten Teil widmet sich der Autor
zunächst der Konzeptualisierung der Geschwisterbeziehung. Die
Bedeutsamkeit der horizontalen Geschwisterbeziehung(en) für die
psychische Entwicklung wird in mehreren Kapiteln thematisiert und
unterstrichen.
In Geschwistern als komplimentäre Primärobjekte sieht er den
Gegenentwurf zum »Tanz um die ödipale Triade«. »Entwicklung
vollzieht sich ebenso horizontal zwischen Gleichen (Kindern) wie
vertikal zwischen Ungleichen (Eltern-Kind)« (S 24). Die Idee der
Gleichwertigkeit der horizontalen Geschwisterebene mit der
vertikalen Ebene der Elternbeziehung ist ein Leitgedanke des
Buchs.
Sohni beschreibt die geschwisterliche Urszene – ein zweites Kind
wird geboren – als Entwicklung von der Triade hin zur Vielsamkeit
als bedeutsam für die psychische Entwicklung und Identiät. Als
wichtigen Entwicklungsschub, durch den das ältere Kind in
psychischer Schwerarbeit eine neue Sicht der Welt und auch von sich
selbst erarbeiten muß. Auch mögliche Schwierigkeiten bei »der
sozialen Geburt« und die psychodynamischen Aspekte werden an Hand
von Beispielen ausführlich beleuchtet.
Im zweiten Teil geht es um die Bedeutung der Geschwisterdynamik in
der Psychotherapie. Neben der Nutzung der Geschwisterdynamik als
Ressource appelliert Sohni an ein ganzheitliches Verständnis des
Gewordenseins der KlientInnen notwendigerweise auch in Bezug auf
ihre Geschwisterdynamik. Der Nutzbarmachung und die Bedeutung und
Wichtigkeit von horizontalen Ü̈bertragungs- und
Gegenübertragungsprozessen in der Therapie unter Berücksichtigung
unterschiedlicher Settings und unterschiedlicher Themen (Gewalt,
Parentifizierung, Mißbrauch) widmet er mehrere Kapitel. Es geht in
diesem Buch nicht nur um Geschwisterbeziehung sondern auch um
Familiendynamik, nämlich das Umfeld, das den Raum der
Geschwisterdynamik gestaltet. Sohni gelingt mit seinem Buch eine
interessante Verschränkung von familienthoretischen
Betrachtungsweisen mit psychodynamischen Implikationen.
Sohni zeigt mit seinem Buch die Bedeutung der horizontalen
Perspekive klar auf, wie notwendig diese Ebene für die Therapie
ist und wie diese in der Therapie nutzbar gemacht werden kann. Es
gelingt dem Autor sehr gut, für Geschwisterdynamik – bzw. der
Bedeutung der horizontalen Ebene – zu sensibilisieren und am Ende
des Buches auch einen gesellschaftsrelevanten Ansatz anzubieten:
Gelungene horizontale Beziehungen, sind die Fähigkeit für das
Austragen von Konflikten und Anerkennung von Verschiedenheit als
Basis für Demokratie.
»Geschwisterdynamik« von Hans Sohni kann ich sehr empfehlen. Sohnis
differenzierte Betrachtungen sind auf unterschiedlichsten Ebenen
eine bereichernde Lektüre.
Ulrike Swoboda