Rezension zu Edith Jacobson
Luzifer-Amor Nr.37, 19.Jahrgang 2006
Rezension von Friedrich-Wilhelm Eickhoff
Viele Autoren haben an diesem Buch mitgewirkt, und entstanden ist
ein faszinierendes Mosaik gewichtiger Forschungsbeiträge, die als
Bausteine für eine künftige Biographie von Edith Jacobson zu
charakterisieren, wie die Herausgeberinnen es in ihrer Einleitung
tun, dem jetzt vorliegenden Porträt der bedeutenden
Psychoanalytikerin keineswegs gerecht wird.
Etwa die Hälfte des Buches ist dem Leben und Werk von Edith
Jacobson in Deutschland gewidmet. Michael Schröter führt
konzis in ihren beruflichen Werdegang ein. Jacobson blieb
zeitlebens unverheiratet. Kinderheilkunde und Psychiatrie waren die
Lieblingsfächer der angehenden Ärztin, ehe ihr Erstaunen über die
positive Wirkung der persönlichen Analyse bei einer Freundin sie
zur Ausbildung am Berliner Psychoanalytischen Institut motivierte.
Sie war dort bei dem gleichaltrigen Otto Fenichel in mehrjähriger
Analyse, die der zahlende Vater die »Riesenschlange« nannte. Nach
dem Abschluß der Ausbildung 1929 besuchte Jacobson das sog.
Kinderseminar, aber auch einen Kreis um den Stekelschüler Walter
Schindler, in dem dieselbe schulübergreifende Psychotherapie
vertreten wurde wie später im Göring-Institut, wozu Schröter
bemerkt, jede Gegenwart enthalte mehr Zukunftspotential als die
eine verwirklichte Variante. In Berlin war die Psychoanalyse Teil
einer revolutionären Subkultur, und die dortige Pionierstimmung
unterschied sich sehr von der später in New York angetroffenen
verschulten, oft vom Staat mitbezahlten Ausbildung. – In einem
besonders bemerkenswerten Kapitel rekonstruiert Ulrike May
den Kontext der Berliner Anfänge von Jacobsons wissenschaftlichem
Werk. Zwar schränkt sie Russel Jacobys These, in Berlin sei eine
kulturkritische Psychoanalyse gepflegt worden, erheblich ein, sieht
aber einen engen Zusammenhang zwischen dem politischen Interesse
linker Analytiker an der äußeren Realität und dem latent
politischen Gehalt in klinischen Arbeiten, in denen u. a. eine
ausschließlich aufs Intrapsychische ausgerichtete Technik auf
Kosten äußerer Realfaktoren, zu denen auch das Unbewußte der Eltern
zählt, abgelehnt wurde. Selbst eine beachtliche Kinderanalytikerin,
teilte Jacobson mit Melanie Klein das Interesse an der
Präödipalität, unterschied sich von ihr aber grundlegend in bezug
auf die Ätiologie. Höhepunkt der Berliner Arbeiten wurde die im
Untersuchungsgefängnis entstandene Arbeit »Wege der weiblichen
Über-Ich-Bildung«, in der Jacobson eine Utopie der modernen Frau
entwarf.
Beklemmend zu lesen ist Elke Mühlleitners vorzügliches
Kapitel über Jacobsons Widerstandsjahre 1933 – 1938. Die Gefahr,
die Hitler für Juden und Linke bedeutete, habe Jacobson zur
politisch denkenden Frau gemacht, die aber zunächst in Deutschland
blieb, während die meisten ihrer Freunde das Land sofort verließen.
Als Sympathisantin der Widerstandsgruppe Neu Beginnen, deren
politisches Konzept Claus Leggewie darstellt, und wegen
ihrer Solidarität mit verfolgten Patienten, die an die Gestapo zu
verraten sie sich weigerte, wurde sie des Hochverrats angeklagt und
im September 1936 zu 2 1/4 Jahren Zuchthaus verurteilt. Während der
Haft erkrankte sie lebensgefährlich und wurde, um die Sterberate
unter den Gefangenen zu reduzieren, in ein externes Krankenhaus
entlassen, von wo die Flucht nach Prag gelang. – Felix
Böhm hatte Ende 1935, nach Jacobsons Festnahme, als damaliger
DPG-Vorsitzender in einem Brief, der als jammervolles historisches
Dokument von besonderem Wert ist, den IPV-Präsidenten Ernest Jones
um Zurückhaltung gebeten und in befremdlicher Verblendung die
bedrängte Lage der jüdischen Kollegen in der DPG zu einem Eldorado
für sie umgemünzt. – In eindrucksvoller Weise konfrontiert
Klaus Müller Jacobsons von eigener traumatischer Erfahrung
mitbestimmte Untersuchung über weibliche politische Häftlinge mit
ihren von großer innerer Spannung zeugenden Notizen aus der
Haftzeit. Sehr anrührend sind einige Ego-Dokumente, die Ulrike
May entdeckt hat und vorstellt: Jacobsons persönliche Notizen
aus dem Gefängnis, einige Gedichte und autobiographische Texte
sowie der halb therapeutische Briefwechsel mit einer in Deutschland
gebliebenen ehemaligen Patientin, die zur Zeit der Verhaftung noch
in Analyse war und die Jacobson nach dem Krieg vor einer
übermäßigen Identifikation mit der Schuld der Deutschen warnte.
Die Darstellung des amerikanischen Exils von Oktober 1938 bis zu
ihrem Tod 1978 beginnt mit einem Beitrag, in dem Aleksandra
Wagner dem Wechsel von einem Kontinent zum anderen, der
Migration der Ideen, nachgeht und impressionistisch Jacobsons
bewegtes Leben unter vielen hochgeachteten, oft befreundeten
Emigranten im kosmopolitischen New York beschreibt. Das dankbare
Bekenntnis in dem Text »The American Oaktree«, mit einem zweiten
sinnerfüllten Leben beschenkt worden zu sein, kommentiert am Ende
des Buches diese Erfahrung des Exils. – Nellie L. Thompson
behandelt Jacobsons Wirken in der New York Psychoanalytic Society,
wo sie 1941 die Mitgliedschaft erwarb und deren Institut sie als
Dozentin, Lehr- und Kontrollanalytikerin ein bedeutendes
intellektuelles Vermächtnis hinterlassen hat. – Viele Menschen
hatten an der intensiven Freude teil, die Jacobson an ihrer Arbeit
und ihrem Leben fand. Martin Bergmanns Gedanken an seine
Analyse bei Jacobson enden mit einer Liebeserklärung an ihrem
Sterbebett, während die ihr privat nahestehende Lore R.
Rubin, Tochter von Annie und Wilhelm Reich, sehr menschliche,
auch tragische Seiten benennt: ihr Angewiesensein auf andere
infolge ihres Diabetes, die Liebesbeziehung zu einem verheirateten
Mann in Boston, ihr enges Zusammenleben mit ihrer Mutter, die
Anhänglichkeit an einen Hund und den ideologischen Charakter ihrer
Ehegegnerschaft. Theodore Jacobs beschreibt aus der Sicht
des Kandidaten und des Patienten ihre Persönlichkeit, die den
Pioniergeist nie verloren habe. Höchst aufschlußreich sind
David Milrods Äußerungen im Interview mit A. Wagner:
Jacobson habe ein Verständnis für das Funktionieren des
regredierten Ichs vermittelt, psychotische Patienten auf die Couch
gelegt, eine aktive Haltung und eine abgewogene Kombination mit
Neuroleptika befürwortet und Melanie Klein trotz mancher Einwände
für ein Genie gehalten. – Otto Kernberg, der mit Jacobson
befreundet war, schreibt bündig über die Zukunft ihres Werks. Er
betont den Gewinn, den er aus der Lektüre von Das Selbst und
die Welt der Objekte gezogen habe, und die vielen
Übereinstimmungen mit ihr in bezug auf die Affekttheorie und die
strukturelle Entwicklung internalisierter Objektbeziehungen,
schließlich ihre Bescheidenheit und Spontaneität, ihre Prägung
durch den europäischen Sozialismus und die Moral einer Generation,
die aus der deutschen Jugendbewegung hervorging.
Ulrike May gesteht am Ende, daß die wehmütige Erinnerung in einem
der autobiographischen Texte an durchtanzte Nächte auf Münchener
Faschingsbällen für ihre Bereitschaft, sich mit Edith Jacobson zu
beschäftigen, ausschlaggebend gewesen sei. Die Leser müssen ihr und
Elke Mühlleitner für ihre Vertiefung in Jacobsons Leben und Werk
dankbar sein. Das 15seitige Namensverzeichnis belegt die unerhörte
Vielfalt der Bezüge, Quellen sind mit Sorgfalt angeführt und
biographische und bibliographische Daten von großer
Zuverlässigkeit.