Rezension zu Trauma
Publik-Forum 6/2013
Rezension von Norbert Copray
Wenn das Ich zusammenbricht
Wie Psychosen heute gesehen werden und wie man diese Erkrankung
behandeln kann
Trotz zahlreicher Initiativen und Vereine, die für einen
diskriminierungsfreien Umgang mit psychisch belasteten und
psychotisch kranken Menschen eintreten, ist es noch ein weiter Weg
bis zur Entstigmatisierung dieser Menschen. Der Umgang mit ihnen
»sagt viel aus über die Toleranz oder Intoleranz in einer
Gesellschaft gegenüber Abweichungen, Besonderheiten, Exzentrität
und Ungewohntem«, wie der Psychiatrieprofessor Joachim Küchenhoff
zu Recht schreibt.
Neurosen betreffen Teilbereiche einer Persönlichkeit und
beeinträchtigen die Lebensqualität des betreffenden Menschen.
Psychosen dagegen betreffen die gesamte Persönlichkeit, die ganze
Existenz und gehen meist mit einem massiven Realitätsverlust
einher. Sie können plötzlich hereinbrechen, auch wenn im Nachhinein
Signale erkennbar sind.
Küchenhoffs Buch »Psychose« erlaubt eine fundierte,
psychoanalytisch orientierte Annäherung an diese Krankheit. Der
Autor geht davon aus, dass der psychoanalytische Ansatz die
tragfähigste Möglichkeit bietet, dem Fremden, das sich in der
Psychose zeigt, verständnisvoll gegenüberzutreten. Er gibt einen
Überblick über die Entwicklung der psychoanalytischen
Psychose-Theorie, ehe er das Gerüst einer Psychose und die
therapeutische Arbeit dazu vorstellt.
»Psychosen verstehen« helfen will Reinhard Lütjen, Hochschullehrer
und Psychotherapeut. Sein Buch fokussiert auf die
»Subjektorientierung« und zieht dazu verschiedene Theoriemodelle
heran. Teilweise noch theorielastiger als Küchenhoff stellt Lütjen
schließlich »Praxisperspektiven« vor, in denen auf vorbildliche
Weise »Verkürzungsfehler« beschrieben werden, wie sie sich in
sozialpsychiatrischen Einrichtungen leicht einschleichen, sodass
die Individualität der Menschen auf der Strecke bleibt.
Sehr beeindruckend, umfassend, kompetent und einfühlsam ist das
Werk des schwedischen Psychiatrieprofessors und
Krankenhaus-Supervisors Johan Cullberg, der mit einem
»interdisziplinären Ansatz« ein »bio-psycho-soziales Modell der
Psychosen« für deren Therapie entwickelt hat. »Bei akuten
Psychosen«, so Cullberg, »ist die Fähigkeit des Ich, Sinn zu
schaffen sowie Umgebung und Innenwelt zu integrieren,
zusammengebrochen oder auf wirkungslosem Niveau fixiert.« Daher sei
der Heilungsprozess in einer Weise zu ermöglichen, dass ein Mensch
seine Fähigkeit zur Integration zurückgewinnen und ein Verständnis
davon entwickeln kann, was mit ihm in einer Psychose geschehen
ist.
Im Hintergrund einer Psychose können Traumata wirksam sein –
können, müssen aber nicht. Traumatische Erfahrungen erhöhen die
Bereitschaft zur Psychose. Das Erleben einer Psychose kann selbst
zu einem Trauma, zu einem psychotraumatischen Belastungssyndrom
werden. Mathias Hirsch, Psychiater und Psychoanalytiker, beschreibt
in seinem Buch »Trauma« Begriff, Erscheinungsformen, Theoriemodelle
und Behandlungen von Traumata.
Psychose-Erfahrene berichten in dem Band »Bevor die Stimmen
wiederkommen« über ihre Erfahrungen; Fachleute, Selbsthilfegruppen
und vertraute Bezugspersonen geben Informationen und Hinweise zur
Selbsthilfe und Vorbeugung bei psychotischen Krisen.
Wie Johan Cullberg zeigt, wandelt sich die Psychiatrie immer mehr:
Menschen, die von Psychosen betroffen sind, werden immer besser
verstanden, man geht einfühlsamer mit ihnen um. Doch fehlt es immer
noch an günstigeren Rahmenbedingungen und einer
diskriminierungsfreien Mitwelt, wozu Psychose-Erfahrene allerdings
auch selbst beitragen können.
»Menschen mit psychischer Erkrankung wirksam unterstützen« – das
ist das gelungene Anliegen des Buches »Irre verständlich« der
Psychologen und Psychotherapeuten Matthias Hammer und Irmgard
Plößl. Sehr sorgfältig und auch für psychologische und medizinische
Laien gut verständlich vermitteln sie wichtige und hilfreiche
Informationen über Psychosen, aber auch über Depressionen, bipolare
Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen. Angst- und Zwangsstörungen
sowie zum Umgang mit suizidalen Krisen und zur Trauma-Sensibilität.
Ein kluges und für den alltäglichen Umgang mit psychisch belasteten
Menschen sehr geeignetes Buch. Es führt auch zu mehr Verständnis am
Arbeitsplatz.
Norbert Copray