Rezension zu Philosophie und Handwerk der Supervision
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Rezension von Peter Schröder
Wolfgang Weigand: Philosophie und Handwerk der Supervision
Wolfgang Weigand: Philosophie und Handwerk der Supervision
Thema und Hintergrund
Das erste Wort, das in diesem Band fällt, ist das Wort
»unzeitgemäß«, nämlich in der Überschrift zu Weigands einführendem
Beitrag »Unzeitgemäße Gedanken zur Supervision«. Weigand schreibt:
»Die Idee, über das Thema ›Philosophie und Handwerk der
Supervision‹ nachzudenken, entstand in einer Zeit, in der eine
Methodeninflation Einzug in die Theorie und Praxis der Beratung
hielt. Jedes Problem, das der Beratung bedurfte, konnte
aufgestellt, auf seine Konstruktionen hin analysiert und mit
vielerlei Technik zur Lösung gebracht werden.« (S. 9) Einmal
abgesehen von den subtilen Seitenhieben auf systemische
Aufstellungen, konstruktivistische Grundannahmen und
lösungsorientiertem Arbeiten: Wann war diese Zeit? 1920? 1950?
1970? Ich nehme doch an, eher 2010? Aber da provoziert eine
zunehmende Methodenpluralität ein Buch, mit dem sich Supervision
ihrer selbst vergewissert? Oder besser gesagt: ein ganz bestimmtes
Konzept von Supervision, das andere Konzepte kaum in den Blick
nimmt und so in der Tat die Pluralität reduziert. Ich verstehe es
nicht so recht, bin aber selbst doch Supervisor genug, um es so zu
sehen, dass jede Form der Selbstreflexion wertvoll ist und viel
Material zum Lernen produziert. Insofern mag das Buch unzeitgemäß
sein – es ist ein gutes Projekt, dass die Supervision über sich
selbst nachdenkt und dass SupervisorInnen ihr eigenes Fach intensiv
reflektieren und diskutieren. Weigand hat gewiss recht, wenn er das
Gefühl benennt, dass für »das Grundsätzliche, Eigentliche und nicht
sofort Verwertbare« zu wenig Zeit und/oder Interesse zur Verfügung
steht. Insofern habe ich mir die Zeit für die Lektüre des Bandes
gern genommen!
Herausgeber
Wolfgang Weigand ist emeritierter Professor für Supervision,
Personal- und Organisationsentwicklung der FH Bielefeld und ein
Urgestein der deutschen Supervisionsszene: Er war Gründungsmitglied
und langjähriger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für
Supervision. Zugleich ist er Organisationsberater und Trainer für
Gruppendynamik (DAAG).
Aufbau und Inhalt
Der bereits zitierte Beitrag von Weigand »Unzeitgemäße Gedanken zur
Supervision« eröffnet den Band. Angesichts der genannten Methoden-
und Konzeptinflation befürchtet Weigand ein
»Professionalisierungsdefizit«. Dem möchte er auch durch das
vorliegende Buch entgegenwirken: Zur Professionalität gehört nicht
nur der berufliche Erfolg, der sich in der Zahl von Aufträgen
zeigt, sondern auch die Reflexion des eigenen Beratungshandelns,
die Beteiligung am wissenschaftlichen Diskurs und einer beruflichen
Ethik – kurz: Professionalität zeigt sich nicht zuletzt in der
Qualität der Reflexion. Weigand beschreibt in den folgenden
Abschnitten seines Aufsatzes den thematischen Bogen, den der Band
schlägt: Er fragt, was denn Beratung sei und reflektiert Person und
Rolle des Beraters sowie dessen Arbeitsbeziehung zum Ratsuchenden.
Dann führt er eine etwas ungewohnte These ein: Ratsuchende, so
meint er, wünschten sich von der Beratung letztlich nicht weniger
als das, dass sie glücklich machen möge. Auch diese Frage wird in
einem eigenen Artikel im Band behandelt.
Und apropos Glück: Nicht alles ist in der Supervision machbar,
deshalb ist es gut, auch die Grenzen der Beratung zu bedenken, wenn
man das Fach Supervision reflektiert. Supervision mag (meistens) in
der Form einer individuellen Beratung stattfinden, sie bleibt
gleichwohl nicht bei einer individuellen Perspektive stehen,
sondern nimmt auch die Organisation und die Gesellschaft kritisch
in den Blick. Eine weitere umfassende Perspektive ergibt sich in
der Frage einer Ethik der Supervision sowie bei der Frage nach
individuellem und kollektivem Sinnerleben. Weigand fasst zusammen:
»Unter dem Fokus der vernachlässigten Perspektiven haben sich die
Autoren dieses Bandes darum bemüht, basale Wirklichkeiten und zu
wenig beachtete Prozesse des Beratungsgeschehens in den Blick zu
nehmen und zu beschreiben, um damit philosophische Grundlagen der
Beratungsarbeit freizulegen und das Handwerk der Supervision aus
diesem Kontext zu entwickeln.« (S.22)
Es folgen drei Teile, deren Teil I überschrieben ist mit: »Das
Eigentliche: Supervision als praktizierte Solidarität« und eröffnet
wird durch den Beitrag von Marina Gambaroff: »Zur Dynamik der
Intersubjektivität im Supervisionsprozess«. (S. 35ff) Darin
schildert die Autorin eine Therapieszene, in der sie als
Therapeutin eingenickt ist und in dieser »Trance« einen den
Patienten irritierenden Satz gesagt hat. Daran anschließend
entwickelt sie ihr Verständnis der intersubjektiven, allerdings
asymmetrischen Gestaltung von Supervisionsprozessen und der
Bedeutung von Gegenübertragungsreaktionen darin. Dabei reflektiert
sie besonders das Gefühl der Scham. Die Autorin ist
Psychoanalytikerin in freier Praxis.
Der zweite Beitrag stammt von Rolf Haubl und ist überschrieben mit:
Supervision und Emotionsregulation. Haubl ist Professor für
Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der
Universität Frankfurt/M. In Organisationskontexten haben Emotionen
einen Bedeutungswandel erfahren: Während sie in früheren
zweckrational verstandenen Organisationsabläufen eher als Sand im
Getriebe verstanden wurden, werden Emotionen mittlerweile als
wichtige Ressource in der Organisation gesehen. Wenn auch
Supervisionsprozesse als optimierbare Abläufe verstanden werden
können (vgl. S. 59), ist auch nach der Bedeutung von Emotionen in
der Supervision zu fragen – und zwar sowohl nach denen des
Supervisanden als auch nach denen des Supervisors.
Mathias Lohmer, Psychoanalytiker, Organisationsberater, Supervisor
und Coach, liefert den dritten Aufsatz im ersten Teil mit der
Überschrift: »Verwickelt, verstrickt und dennoch gut beraten.
Abstinenz, Containment und Verantwortung im Beratungsprozess«.
Lohmer beschreibt die Dynamik, die dazu einlädt, dass der Berater
aufgrund emotionaler Verwicklungen Teil des Systems wird – und
gerade dadurch aufgefordert wird, die eigene Gegenübertragung zu
reflektieren und zu analysieren und sich selbst wieder in eine
»(system-)abstinente« Haltung zu bringen.
Die Autorin Beate West-Leuer beschreibt, dass eine Coach-Kollegin
gelegentlich »Mit Klienten in die Oper« geht – im Untertitel:
»Puccinis Turandot als Übergangsraum in der Psychodynamischen
Beratung.« Sie ist psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin
und Coach sowie Lehrbeauftragte der Uni Düsseldorf. Sie reflektiert
die Chance und Herausforderungen eines solchen besonderen
Beratungsraums – gewiss nicht als Interventionsempfehlung, wohl
aber als eine Möglichkeit.
Mathias Hirsch beschreibt in seinem Beitrag das »Scheitern einer
Supervision« als Scheitern einer Kommunikation. Seine Frage am
Ende: »Hätte ich etwas (anderes) tun können?«, und jedenfalls ein
Teil seiner Antwort lautet: »Die ›Macht der Analyse‹ war also
letztlich nicht groß genug, um gegen die Macht einer narzisstischen
Leiterpersönlichkeit ein genügendes Gegengewicht zu bilden.« (S.
119) Hirsch ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit
psychoanalytischen Praxen in Düsseldorf und Berlin.
Der Teil II des Bandes ist überschrieben: »Aus dem Blick geraten«.
Die erste »aus dem Blick geratene« Perspektive beschreibt Marga
Löwer-Hirsch unter der Überschrift »Körperlichkeit und
Supervision«. Die Autorin ist psychologische Psychotherapeutin,
Supervisorin, Coach und Leiterin des Instituts für Analytische
Supervision an der Akademie für Psychoanalyse und Psychosomatik
Düsseldorf. Ihre Leitfrage: »Wie kann Körperlichkeit im
Supervisionskontakt zur Sprache kommen und dabei sowohl die
Sprachlosigkeit über den ›intakten‹ als auch den ›beschädigten‹
Körper gelockert werden?« (S. 124)
Eine grundsätzliche philosophische Reflexion zum Thema »Supervision
als Sprachspiel. Über Sprache und Verstehen der Sprache« trägt
Winfried Münch zu dem Band bei. Münch ist emeritierter Professor
für Psychoanalyse, Gruppendynamik und psychosoziale Beratung. Die
Analyse supervisiorischer Sprachspiele steckt ggw. noch in den
Anfängen und verdiente doch hohe Aufmerksamkeit. Münch nimmt dazu
Impulse aus unterschiedlichen sprachphilosophischen Konzepten
(Wittgenstein, Heidegger, Derrida u.a.) auf und fragt nach ihrer
Bedeutung für die Praxis supervisorischen Sprachhandelns.
Mario Wernados Beitrag ist überschrieben: »Das Ungesagte und
Unscheinbare. Die Bedeutung des Verborgenen in der Supervision«.
Weigand widmet Wernado den vorliegenden Band: Er ist während der
Drucklegung verstorben. Wernado war als Arzt für Psychiatrie und
Psychotherapie langjähriger Chefarzt einer Klinik, danach in
eigener Praxis auch als Supervisor und Organisationsberater tätig.
Auch in diesem Beitrag geht es um das Thema Scham, denn: »Verborgen
wird in aller Regel das, was uns beschämt; es wird unscheinbar
gemacht und, in einer anderen Sprache, bagatellisiert.« (S. 155)
Gleichwohl herrsche in der Supervision der »kategorische Imperativ
›zeig her‹«. Es kommt aber darauf an, eine »angstarme
Kommunikation« zu pflegen.
Michael B. Buchholz hat einen Beitrag zum Thema »Entwicklung
professioneller Therapeuten und die Bewältigung professioneller
Paradoxien« geschrieben, der die speziellen Herausforderungen von
Supervision im Kontext psychotherapeutischer Berufe reflektiert. Er
beginnt mit dem Paradox von öffentlicher Idealisierung des
Therapeutenberufes auf der einen und »vernichtender
Geringschätzung« andererseits (S. 161) und meint dazu: »Supervision
muss auch dazu beitragen, die Entwicklungspotenziale eines
zukünftigen Therapeuten so entfalten zu helfen, dass das Leiden am
Therapeutenberuf ertragen werden kann. Er skizziert dann im
Folgenden ›typische‹ Entwicklungsphasen von Therapeuten, die immer
vor der Herausforderung stehen, das theoretische Wissen zu einen
praktischen Können zu entwickeln, das in hilfreicher Weise ihrer
eigenen Persönlichkeit entspricht. Buchholz ist apl. Professor für
Sozialwissenschaften der Universität Göttingen und Professor an der
International Psychoanalytic University in Berlin.
Teil III ist mit »Entwürfe von Leben und Arbeit« überschrieben und
beginnt mit einem Artikel von Brigitte Hausinger mit dem Titel:
»Vita activa – Der folgenreiche Wandel des Arbeitsbegriffes«.
Hannah Arendt hat drei menschliche Grundtätigkeiten benannt, die
zusammengenommen die »vita activa« ausmachen: Arbeiten, Herstellen
und Handeln. Supervision muss sowohl in der eigenen Konzeption, in
der eigenen Reflexion und im aktuellen supervisorischen Handeln die
Bedingungen im Blick haben, unter denen Menschen arbeiten. Brigitte
Hausinger ist Diplomsupervisorin, Vorstandsmitglied der DGSv,
Redaktionsleitung der Zeitschrift Supervision und wirkt in der
Supervisionsausbildung der Uni Kassel mit.
Zu diesen Bedingungen gehört auch das Thema, das Rudolf Heltzel in
seinem Beitrag »Die Ökonomisierung psychosozialer Arbeit und ihre
Folgen« behandelt. In die Felder der sozialen Arbeit sind Sprache,
Denken und Handlungsmuster der Ökonomie eingezogen. Das hat
weitreichende Folgen, denn es geht selten um vernünftiges
ökonomisches Handeln, sondern um die Anbetung des Fetischs Markt.
(S. 204). Das führt zunächst zu Beschleunigung, Phantasien über
Steuerungsmöglichkeiten sozialer Systeme, Subjektivierung
anstehender Probleme und damit zu multiplen Risiken, Belastungen
und Zumutungen. Heltzel ist Arzt für Psychiatrie, Neurologie und
Psychotherapie.
»Die Supervision und das Glück«, so überschreibt Ferdinand Buer
seinen Artikel. Glück steht als Vision am Beginn der Moderne
insofern, als ein allgemeines Menschenrecht auf individuell
realisiertes Glück zielt. Supervision bekommt es mit der Frage nach
Glück da zu tun, wo sie nach dem rechten Maß an Arbeit und nach
Themen wie »work-life-balance« fragt. Dabei ist der Supervisor
besonders hilfreich, der sich auch um das eigene Glücklichsein
kümmert. Buer war Professor für Erziehungs- und Sozialwissenschaft
in Münster und Göttingen und ist Leiter des Psychodramazentrums
Münster.
Den abschließenden Beitrag liefert Michael Klessmann unter dem
Titel »Wenn Arbeit und Leben ins Stocken geraten … Sinnsuche und
Sinnfindung in der Supervision«. Den Subtext von
Supervisionsprozessen bildet häufig die Grundfrage nach Sinn, d.h.
danach, das eigene Handeln als selbstbewusst hervorgebracht zu
erleben, es in einen konsistenten Zusammenhang einordnen zu können
etc. Oft wird dieses Thema in einer negativen Variante eingebracht:
Supervisanden haben den Sinn ihrer beruflichen Tätigkeit aus den
Augen verloren oder machen an relevanten Stellen ihres beruflichen
Handelns die Erfahrung von Sinnlosigkeit. Klessmann ist
Theologieprofessor an der Kirchlichen Hochschule
Wuppertal/Bethel.
Diskussion
Ich schließe an an meine einführenden Bemerkungen: Bei aller
»Unzeitgemäßheit« ist ein reiches Buch entstanden, dass das Fach
Supervision aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln reflektiert und
anreichert. Wer ein »Handwerksbuch« erwartet, mit dem er seinen
Methodenkoffer füllen kann, wird sich enttäuscht sehen. Gleichwohl
gibt es interessante, lehr- und hilfreiche Berichte aus den
supervisorischen Praxisfeldern und grundsätzliche Gedanken zu
großen, aber gleichwohl zentralen Begriffen wie Arbeit, Glück, Sinn
etc. Irritierend finde ich angesichts der thematischen Vielfalt die
Monokultur analytisch denkender und arbeitender SupervisorInnen: Da
hätte ich mir deutlich mehr Vielfalt gewünscht und habe mich als
systemisch denkender Mensch an manchen Stellen empfindlich
gestoßen, zum Beispiel wenn Hirsch als »Hauptursache« (!) einer
gescheiterten Supervision das »Aufeinandertreffen zweier
Persönlichkeiten« identifiziert und dann noch schreibt: »Die
Hauptverantwortung für den unglücklichen Ausgang trägt aber
zweifelsohne (!) Dr. A. Seine Führungsschwäche ist klar in seiner
narzisstisch-paranoid zu nennenden Persönlichkeit zu sehen …« (S.
117) Geht es um Therapie? Um Diagnosen? Oder um Supervision? Und
selbst wenn es um Therapie ginge: Gäbe es auch hilfreichere, weil
ressourcen- und lösungsorientiertere Sichtweisen?
Ich würde mir mehr wünschen als das, was das vorliegende Buch
bietet, nämlich einen deutlich integrativeren Zugang und damit eine
Diskussion, die weniger auf den Konsens kulturgleicher Beteiligter
setzt und mehr auf hilfreiche Irritationen durch andere,
möglicherweise sogar widersprechende Konzepte. Der von Weigand
herausgegebene Band bildet die Selbstreflexion und
Selbstvergewisserung einer supervisorischen Richtung ab – das mag
manch eine/n warm umschließen, andere lässt es möglicherweise (und
das wäre doch schade!) kalt draußen. Vielleicht klingen die alten
Lager- und Schulenkämpfe der Supervision hier noch – eben
unzeitgemäß! – nach.
Fazit
Das alles ist keine Abwertung der im Buch vertretenen Beiträge: Sie
sind von hoher Fachkompetenz und reicher Theorie- und
Praxiskenntnis geprägt und deshalb für alle Supervisoren und
Supervisorinnen, die sich mal wieder mit grundsätzlichen Frage
befassen möchten, unbedingt zu empfehlen! Es bildet zudem sehr
unterschiedliche Felder supervisorischer Arbeit ab und ist dadurch
eine gut gefüllte Fundgrube für die professionelle Supervision.
Rezensent
Peter Schröder
Pfarrer
(Lehr-)Supervisor
(DGSv)
(Lehr-)Coach (DGfC)
1.Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft für Coaching e.V.
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