Rezension zu Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse
HaGalil.com am 3. April 2013
Rezension von Roland Kaufhold
Ein bewegtes Leben
Josef Shakeds Lebenserinnerungen …
»Gegen Mitte der 50er Jahre schützte mich wohl ein gewisses
jugendliches Selbstbewusstsein vor allzu quälenden Zweifeln. Aber
hin und wieder kamen mir doch Bedenken, ob ich am richtigen Ort
gelandet war.«
Josef Shaked über seine Übersiedlung nach Wien
Von Roland Kaufhold
Josef Shaked, 1929 in Ungarn geboren, dann noch rechtzeitig mit
seinen Eltern in das damalige Palästina emigriert, lebt seit knapp
60 Jahren in Österreich. Er blickt auf ein spannendes, höchst
außergewöhnliches Leben zurück. Versammelt hat er seine
Lebenserfahrungen nun in einem Lehrbuch über Gruppenpsychotherapie
– also über das Fach, welches er als Psychoanalytiker und
undogmatischer Freud-Schüler entwickelt hat. Und doch ist sein Buch
bei Weitem mehr als ein Fachbuch: Es ist auch eine autobiografische
Zeitreise, eingebettet in die Geschichte der Psychoanalyse. Ein
außergewöhnliches Leben. Ein Leben als Jude, der sich immer wieder
selbstreflexiv auf seine jüdische Abstammung bezieht. Ein
außergewöhnliches Werk. Ein Stück Zeitgeschichte.
Versammelt sind hierin Bruchstücke, die nur schwer miteinander zu
verbinden sind – für seine Umwelt. Josef Shaked hat sie seelisch
zusammen geführt. Was blieb ihm anderes übrig? Vergleichbar ist
sein mit »Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse« betiteltes
Spätwerk am ehesten mit dem Essayband »Ein Leben mit der
Psychoanalyse« seines langjährigen Freundes Ernst Federn.
Josef Shaked wuchs in Ungarn auf, seine Eltern emigrierten Anfang
der 30er Jahre als überzeugte Zionisten nach Palästina, entgingen
so der Shoah. Die Familie hieß ursprünglich Scharf, sie nahm im
jungen jüdischen Staat als zionistische Familie den Namen Shaked
an. Sie lebten in einem arabischen Viertel der multikulturellen
Stadt Haifa, im Norden Israels gelegen. Sein Vater, ein gelernter
Steuerberater, beteiligte sich als Zionist am Aufbau Israels –
seiner neuen biografischen Heimat. Er arbeitete auf dem Bau, obwohl
er körperlich hierzu nur wenig geeignet schien. Und er sprach nur
noch hebräisch. Mit seiner Muttersprache wollten sein Vater nichts
mehr zu tun haben.
Der junge Josef Shaked war identifiziert mit dem »linken
Zionismus«, den u.a. der linke Psychoanalytiker und Zionist
Siegfried Bernfeld (1) repräsentierte. Er las die Schriften Freuds
wie auch Marx. Josef Shaked kämpfte im Unabhängigkeitskampf Israels
als Soldat, seine Identität blieb mit dem jüdischen Staat
verknüpft, welchen er doch bald verlassen sollte.
Shaked wollte Psychoanalytiker werden, wusste jedoch nicht wie. Und
er war weitgehend mittellos. 1951 ging er Dank eines Stipendiums
zum Medizinstudium nach New York, dem damaligen Zentrum emigrierter
Wiener Psychoanalytiker. Sein Schwerpunkt war die Biochemie:
»Dieses Studium absolvierte ich zwar in viereinhalb Jahren,
freilich ohne besondere Interessen oder gar Engagement.« (S. 14)
Nebenbei arbeitete er als Nachhilfelehrer und Übersetzer, als
Kellner und als Schichtarbeiter. Hierbei machte er zahlreiche
soziale Erfahrungen, die sein Interesse am Verständnis des Menschen
weckten. Viele Jahre später, in Österreich, freundete er sich mit
dem 15 Jahre älteren Ernst Federn an, der sieben Jahren
Konzentrationslager überlebt hatte und sich, wie Shaked selbst,
anfangs als Linker, als »Trotzkist« verstand. Für solche Ideen war
in ihrem neuen, seinerzeit von der McCarthy Ära geprägtem
Heimatland USA kein Platz. Beide sollten die USA wieder verlassen.
Dies unterschied sie von der Mehrzahl ihrer in die USA geflohenen
jüdischen Kollegen und Freunden.
Im autobiographischen Rückblick beschreibt Josef Shaked seine vier
Jahre in den USA so: »Ich fühlte mich dann bald in eher linken
Kreisen heimisch, das Jüdische spielte keine wesentliche Rolle. (…)
Dass sich der Freundeskreis aus Schwarzen, aus Trotzkisten und
anderen Oppositionellen zusammensetzte mag wohl eine Art Protest
gegen das Establishment gewesen sein, der in Israel begann und sich
in Amerika nun verstärkte; vielleicht war es auch eine Rebellion
gegen den Vater, denn schließlich verließ ich ja Israel.« (S. 15)
Die Erfahrungen im multikulturellen, weltoffenen New York prägten
seine Identitätssuche.
Nach Abschluss seines Biochemiestudiums betrieb er noch ein
Semester jüdische Studien, »vielleicht ein Versuch, in dieser Zeit
des persönlichen Zweifels und der grundlegenden Skepsis an allem
mich nochmals mit meinen Ursprüngen auseinanderzusetzen.« (S.
16)
Josef Shaked suchte eine neue seelische Heimat, eine private und
berufliche Identität. Er fasste einen höchst außergewöhnlichen
Beschluss, den im jungen jüdischen Staat wohl kaum jemand
nachzuvollziehen vermochte: Er wollte nach Europa, »zurück zu
Freud«. Deutschland kam nicht in Frage, trug sein israelischer Pass
doch (wie alle israelischen Pässe) den Stempel »Alle Länder der
Welt außer Deutschland.« 1955 beschloss der 26-jährige, zum Studium
in das Freudsche Wien zu gehen, um dort die Psychoanalyse zu
erlernen. Er wollte etwas zurück bringen, von dem doch nichts mehr
existierte: Nahezu alle jüdischen Psychoanalytiker hatten in der
Nazizeit Wien verlassen, die Mehrzahl von ihnen emigrierte in die
USA, einige wurden ermordet, nur drei Psychoanalytiker waren in
Wien geblieben. Der 82-jährige Psychoanalytiker und Emigrant Josef
Shaked sinnt über seine Motive für diese höchst ungewöhnliche Wahl
nach: In Wien, »so dachte ich, würde sich mein Lebenstraum
verwirklichen lassen. Dieser Traum hatte sich in mir schon als
15-jährigem festgesetzt, als ich während meiner Mittelschulzeit in
Israel auf die Schriften Sigmund Freuds stieß und in der Folge
nicht mehr von der Idee lassen konnte, selbst Psychoanalytiker zu
werden. Im Nachhinein erscheint mir diese frühe Weichenstellung als
eine Art Pubertätsreaktion, als ein Protest gegen die traditionelle
Erziehung und wohl auch gegen mein religiöses Elternhaus. In der
Klasse war ich damit ein Außenseiter, keiner meiner Freunde oder
Mitschüler ließ sich zu einem solchen intellektuellen Abenteuer
überreden.« (S. 13)
Shaked studierte Medizin in Wien, musste vor allem jedoch noch
einmal Deutsch lernen, dessen er »kaum mächtig« war, so dass er
sich die Sprache »im Selbststudium erst mühsam aneignen musste.«
(S. 17) Zur Finanzierung seines Studium unterrichtete er privat
Englisch und an mehreren Schulen Hebräisch und jüdische Religion;
»schließlich fand ich mich in der Funktion als Schulinspektor der
Kulturgemeinde, mit der ich ansonsten wenig zu tun hatte, wieder
und hatte mehrere Lehrer unter mir. Alles in allem führten diese
Umstände dazu, dass sich das Studium doch sehr in die Länge zog.«
(S. 17)
Anfang der 60er Jahre machte er bei Igor Caruso eine Psychoanalyse.
Ein lang gehegter Traum erfüllte sich. Und doch beschlichen ihn
Zweifel an der Qualität dieser Ausbildung. Caruso, der aus einem
adeligen, katholischen Elternhaus stammte, war eine charismatische
Persönlichkeit. In den 60er und 70er Jahren profilierte er sich in
Österreich als ein »progressiver« Hochschullehrer und
Psychoanalytiker, der Impulse der Frankfurter Schule und der (in
Österreich winzigen) Studentenbewegung aufzugreifen bzw. eine
eigene therapeutische »Schule« aufzubauen schien. Vor wenigen
Jahren, ab 2008, wurden die Idealisierungen, die Caruso lange von
»linken« Psychotherapeuten und Sozialwissenschaftlern entgegen
gebracht worden sind, durch Entdeckungen über seine Verstrickungen
als medizinischer Gutachter im nationalsozialistische
Euthanasieprogramm schwer erschüttert (vgl. Publikationen von Vogt,
Parth, List, Reiter, Göllner, Benetka und Rudolph) (2). Josef
Shaked zeichnet seine eigene berufliche Sozialisation unter Caruso
ausführlich nach, wie auch seine tiefe Erschütterung über diese
Entdeckungen über die »andere Seite« seines langjährigen, 15 Jahre
älteren Kollegen. Er hebt hervor: »Dabei ist mir mein eigenes
Nicht-wissen-Wollen in dieser Sache umso unbegreiflicher, als ein
anhaltend hohes Interesse an Geschichte und Verbrechen der NS-Zeit
schon wegen meiner jüdischen Herkunft für mich ebenso eine
Selbstverständlichkeit war wie ein grundsätzliches Misstrauen
gegenüber Erwachsenen, die im Dritten Reich lebten.« (S. 67) Und:
»Die ganze Angelegenheit erfüllt mich mit großer Betroffenheit, um
nicht zu sagen mit Fassungslosigkeit.« (S. 68)
Den Schwerpunkt dieses umfassenden Werkes bilden jedoch seine
klinischen und theoretischen Studien. Josef Shaked zeichnet die
Entstehung und Entwicklung der »Internationalen Arbeitsgemeinschaft
für Gruppenanalyse« nach, diskutiert verschiedene theoretische
Schulen, insbesondere die Ich-Psychologie, und rekapituliert die
vielfältigen, zeithistorisch eingebetteten Angriffe gegen Freuds
Werk.
Sein theoretisches Hauptinteresse bilden jedoch seine Erfahrungen
mit analytischen Großgruppen, deren theoretischen Modelle er
maßgeblich geprägt hat. Einige Kapitel seien genannt: »Setting und
typische Merkmale von Großgruppen«, »Zur Verflechtung von
Politischem und Psychischem«, »Zum Problem der Gruppenleitung«
sowie »Interkulturelle Großgruppen«.
Josef Shaked, der mit der 68er -Protestbewegung sympathisiert
hatte, machte immer wieder heftigste Erfahrungen mit Angriffen
gegen seine Person, was vor allem in seiner jüdischen Identität
begründet war. Die Projektionen und Attacken gingen gleichermaßen
von »linken« wie von »rechten« politischen Kräften aus. Immer
wieder wurde er als ein »jüdischer Rächer« phantasiert; in
Großgruppentherapien kam es zu Phantasien von körperlichen
Übergriffen. Andererseits wurde er positiv als ein vergebender
jüdischer Vater projiziert. Immer wieder musste er die schmerzhafte
Erfahrung machen, dass er als Jude selbst nicht akzeptiert wurde.
Er blieb das Phantasma seiner Umwelt. Sein seelischer Ort blieb
randständig, fern ab von der »kompakten Majorität« (Sigmund
Freud).
In Wien freundete er sich mit dem 15 Jahre älteren Ernst Federn an,
der sieben Jahren Konzentrationslager überlebt hatte und sich, wie
Shaked selbst, anfangs als Linker, als »Trotzkist« verstanden
hatte. Die politischen und psychoanalytisch-reformerischen
Interessen führten sie zusammen, wie auch die Gemeinsamkeiten in
ihren Biografien. Shaked und Federn waren wohl die einzigen Wiener
Psychoanalytiker, die auf Dauer wieder nach Wien zurück gekehrt
bzw. nach Wien übersiedelt sind.
Josef Shaked beteiligte sich an zahlreichen Forschungsvorhaben über
Antisemitismus und über Fortwirkungen des Nationalsozialismus, ein
Engagement, das bis heute fortwirkt. Gegen Ende seines Buches
bemerkt er: »Im Wien der Nachkriegszeit bot sich mir reichlich
Gelegenheit, den traditionellen und wieder erwachten katholischen
Antisemitismus, gepaart mit Restbeständen der
nationalsozialistischen Ideologie aus der Nähe zu erleben und zu
studieren, ohne mich persönlich betroffen zu fühlen.« (S. 390)
Wenn auch Wien seit mehr als fünf Jahrzehnten sein Zuhause ist so
bleibt Israel doch seine emotionale Heimat. Der Antisemitismus der
Wiener habe ihn nie persönlich gekränkt, hat er mehrfach betont,
weil er ja als Fremder, aus einer anderen Welt, nach Wien gekommen
sei. Seinen israelischen Pass hat er stets behalten, neben seinem
österreichischen. Die Wiener hätten ja immer dafür gesorgt, dass
man sich dort nicht daheim fühle (3). Seiner Utopien, die ihn als
jungen Mann prägten, ist er verlustig gegangen. Aber diese
skeptische Grundhaltung teilt er mit Freud.
Öffentliche Aufmerksamkeit, dies bleibt noch nachzutragen, haben in
den letzten Jahren die von ihm, seiner Ehefrau Susanne sowie der
Wiener Psychotherapeutin Evelyn Böhmer-Laufer – als Begründerin und
Hauptmotor – seit zehn Jahren regelmäßig durchgeführten Peace Camps
mit österreichischen, israelischen, palästinensischen und
ungarischen Jugendlichen gefunden (4).
Nachdrücklich haben sich in mir die Szenen eines Dokumentarfilmes
über ihr Projekt der Peace Camps festgesetzt, in denen der betagte,
kleine Mann zwischen diesen auf dem Fußboden sitzenden Jugendlichen
steht und wohl über sich selbst spricht. Es sind friedenspolitische
Bemühungen eines Unentwegten, eines skeptischen Menschenfreundes,
die sein gesamtes Leben widerspiegeln.
Josef Shaked: Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse, Psychosozial
Verlag 2011, 456 S., 39,90 Euro.
(1) Siehe auch: Roland Kaufhold (2012): Jugendbewegt. Der Zionist,
Reformpädagoge und Psychoanalytiker Siegfried Bernfeld, Jüdische
Allgemeine, 30.08.2012,
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/13876/highlight/kaufhold
(2) Bettina Reiter (2008): Es waren doch nur Gutachten, Die
Presse.com, 5.9.2008:
http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/411984/Es-waren-doch-nur-Gutachten
(3) Verena Mayer (2006): Die Gesetze der Seele. In den Fußstapfen
des großen Meisters: Der Psychoanalytiker Josef Shaked, das
Freud-Jahr und die Abgründe der Stadt Wien. Der Tagesspiegel,
24.4.2006.
http://www.tagesspiegel.de/zeitung/die-gesetze-der-seele/704388.html
(4) www.peacecamp.blogger.de;
http://www.hagalil.com/archiv/2005/04/peacecamp.htm;
http://www.youtube.com/watch?v=zIzFY-n61Nk;
http://www.hagalil.com/archiv/2004/11/peacecamp.htm;
http://www.youtube.com/watch?v=QaymgNOqRfY
http://buecher.hagalil.com