Rezension zu Kultur und Psyche

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Rezension von Ursula Wirtz

Sudhir Kakar: Kultur und Psyche. Psychoanalyse im Dialog mit nicht-westlichen Kulturen

Kakar ist ein indischer Psychoanalytiker, der seine Lehranalyse auf Deutsch absolviert hat, also in der indischen Kultur verwurzelt und in der europäischen ausgebildet ist. Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen in Ausbildung und Praxis setzt er sich mit der Rolle der Kultur in der Psychoanalyse auseinander.

Es geht ihm bei seiner kulturpsychologischen Betrachtung darum, Muster und Theorien infrage zu stellen, von denen Universalität angenommen wird, die sich aber historisch und kulturell auf den modernen Westen beschränken. Denn »Psychoanalyse kann – wenn sie nicht einfühlsam und vorsichtig praktiziert wird – den Eindruck vermitteln, dass der Europäer der Mittelklasse die Norm ist, von der Menschen nicht-westlicher Kulturen abweichen.« Obwohl die Psychoanalyse ein Kind ihrer Zeit und Gesellschaft ist, versteht sie sich als universelles Maß, an dem auch Angehörige anderer Kulturen gemessen werden. Deshalb wird das Verhalten von Menschen in nicht-westlichen Kulturen oft leichtfertigerweise pathologisiert. Was aber laut Psychoanalyse (d.h. im modernen Europa) als krank oder gesund gilt, muss in anderen Kulturen nicht zwingend ebenso als krank oder gesund gelten.

Kulturelle Unterschiede beschränken sich eben nicht auf Äußerlichkeiten wie Musikgeschmack, Höflichkeitsvorstellungen, Umgang mit Zeit und Pünktlichkeit oder Sprachgewohnheiten, sondern gehen tiefer. »Kulturelle Identität wird unter der Haut getragen.« Sie beeinflusst das Verständnis von Individualität und Gemeinschaft, vom Körper, von der Beziehung zwischen den Geschlechtern, vom Göttlichen und Vielem mehr. Ein Beispiel hierfür ist der Ödipus-Komplex. In Indien steht nicht die Angst der Kastration durch den Vater, sondern das konfliktbeladene Verhältnis zur übermächtigen und verführerischen Mutter im Vordergrund. Diese tief verwurzelten Vorstellungen spiegeln sich auch in indischen Mythen und Götterfiguren wider.

Westliche Psychoanalytiker müssen folglich ihren Eurozentrismus aufgeben und akzeptieren, dass es weltweit unterschiedliche Ansätze in der Psychoanalyse geben kann und muss. Therapeuten sollten kulturelle Offenheit üben und Andersartigkeit mit Neugier und Staunen begegnen, vor allem angesichts der zunehmenden weltweiten Migration.

Für orthodoxe Psychoanalytiker ist das vielleicht schwer verdaulich, aber sicher bereichernd. Der Autor richtet sich in erster Linie an Experten, die sich für Kulturpsychologie interessieren. Für Laien, die sich gern mit psychoanalytischen oder interkulturellen Frage befassen, ist das Buch auch interessant, setzt aber die Vertrautheit mit psychoanalytischem Fachvokabular voraus. Es ist gut lesbar, klar und sympathisch geschrieben, die grundlegenden Unterschiede zwischen europäischem und indischem Denken und Fühlen sind anschaulich geschildert und mit Fallbeispielen illustriert. Insgesamt handelt es sich aber eher um ein Nischenthema, das ein Massenpublikum kaum ansprechen wird.

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