Rezension zu »Mein Körper gehört mir … und ich kann mit ihm machen, was ich will!«
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Rezension von Aspasia Zontanou
Mathias Hirsch: »Mein Körper gehört mir ... und ich kann mit ihm
machen, was ich will!«
Thema
Der Titel des Buches, ein »typischer Ausspruch« jugendlicher
Mädchen, so der Autor, die »ihren Körper beschädigen …« (S.23)
eröffnet direkt das Thema. Indem es der Funktion des Körpers
nachgeht, sowohl in der Gesellschaft, z.B. Fitness,
Schönheitsideal, Initiationsriten, etc., als auch im pathologischen
Kontext: Dissoziation, Selbstbeschädigungen (Vorwort, S.11), z.B.
Essstörungen.
Hirsch verweist im Vorwort, auf das von ihm herausgegebenen Werk
»Der eigene Körper als Objekt« (1989), in dem die
»psychoanalytische Körperpsychologie grundlegend bearbeitet« wurde
und das als Metapher in der psychotherapeutischen Sprache oft
benutzt wird.
Herausgeber
Herr Matthias Hirsch, Dr. med., ist Facharzt für Psychiatrie und
psychotherapeutische Medizin sowie Psychoanalytiker (DGPT,
affiliiertes Mitglied DPV), Gruppenanalytiker, Lehrbeauftragter am
Institut für Psychotherapie der Universität Hamburg und
Ehrenmitglied des Psychoanalytischen Seminars Vorarlberg. Er ist
mit seiner psychoanalytischen Praxis in Düsseldorf niedergelassen.
Forschungsschwerpunkte: familiäre Traumatisierung, Psychoanalyse
des Körpers, kulturpsychologische Themen. Veröffentlichungen im
Psychosozial-Verlag: »Der eigene Körper als Objekt« (1998), »Realer
Inzest« (1999), »Der eigene Körper als Symbol?« (2002), »Das Haus«
(2006), »Das Kindesopfer« (2006), »Die Matthäus-Passion Johann
Sebastian Bachs« (2008), »Liebe auf Abwegen« (2008) u.a.
Aufbau und Inhalt
Im aktuellen Werk hat sich der Autor bemüht »neue Ergebnisse der
Säuglingsforschung … der Bindungsforschung … und modernen
Psychoanalyse … zu verbinden.“ (S. 11). Hirschs Buch ist in sechs
Themen aufgegliedert, die jeweils mehrere kleinere Einheiten
beinhalten. Die Kapitel sind nicht numerisch gegliedert.
Hirsch beginnt mit den »Körperdissoziationen«, dem längsten
Themenblock des Buches. In der deutschen Sprache, so der Autor,
wird zwischen »dem Leib, der ich bin und Körper, den ich habe
unterschieden …« (S. 13), er gehört zu unserem Selbst wie
selbstverständlich und tritt uns auch gegenüber als Objekt, als
gehöre er nicht zum Selbst (S. 13). Hirsch zitiert dabei Nietzsche
(»Leib bin ich und Seele - so redet das Kind.« Aus Also sprach
Zarathustra, 1881) oder auch Freud, letzterer nannte in einem
Briefwechsel mit C. G. seinen Körper »Konrad« und kommt bald auf
die drei Funktionen der Spaltung (aufgrund eines Traumas) zu
sprechen: »Der Körper tritt an die Stelle des Opfers destruktiver
Gewalt« und »Der Körper als Container« »Der Körper als
Mutter-Ersatz« und »Die Verwendung des Körpers zur Abgrenzung«.
U.a. werden auch die Funktion des kranken Körpers im Teil
»Psychosomatik« anschaulich beschrieben.
Im zweiten Themenblock genannt: »Körperinszenierungen« geht es
weniger pathologisch oder »nicht so spektakulär abgespalten und
instrumentalisiert« (S.103) zu wie im Kapitel davor. So finden sich
Inszenierungen des Körpers in den einzelnen Abschnitten
»Tätowierung und Piercing«, »Schönheitschirurgie«,
»Intimchirurgie«.
Im dritten Kapitel »Selbstbeschädigungen« erinnert Hirsch an die
Funktionen, die der misshandelte Körper hat: »1. Der Körper als
Objekt der Aggressionen, wie das damals attackierte oder
vernachlässigte Kind, 2. Der Körper oder ein Körperteil wird durch
das aggressive Agieren zu einem begleitenden und dadurch guten
Mutter-Objekt und 3. beim selbstdestruktiven Agieren, besonders
gegen die eigene Haut, wird – artifiziell eine Körper-ich-Grenze
geschaffen.« (S.139)
Im nächsten Kapitel »Essstörungen« hebt Hirsch die Familiendynamik
hervor. Bei der Anorexie geht die Tochter ein »Bündnis« mit dem
Vater »gegen die mächtige Mutter« ein. Während der Pubertät taucht
das »Weiblich-Mütterliche« plötzlich im Körper der Jugendlichen
auf. Die Bedrohung für die Adoleszente ist nun doppelt: »Der Körper
droht sie zur Frau zu machen, was eine vernichtende Fusion mit der
›Mutter‹ bedeutet, und sie läuft Gefahr, den Vater als
Bündnispartner gegen eben diese befürchtete Weiblichkeit zu
verlieren. Die anorektische Gegenmaßnahme vermeidet beides.« (S.
203/204)
Im fünften Kapitel »Hypochondrie und Dysmorphophobie« erklärt der
Autor, der Hypochonder sei »eben nicht in seinem Kern gesund und
möchte daher in seiner Not verstanden werden. Es ist eine
existenzielle Angst, die in der Körperangst lediglich ihren
Ausdruck findet …«.
Im letzten Kapitel »Ein unerwünschter Kinderwunsch,
Schwangerschaftsphantasien und Schwangerschaft« analysiert Hirsch
die unbewussten Muster der adoleszenten Schwangeren: es geht um
Ablösung, sie schaffen sich im Kind ein »Mutter-Objekt«, dass sie
immer bei sich tragen. In seiner Schlussbemerkung fragt Hirsch
warum sich die Menschen das antun und antwortet darauf, dass der
Mensch seinen Körper symbolisch beherrschen müsste, als ob
selbstgefügter schmerzt »der Preis für die Entfernung des Menschen
aus der völligen Determiniertheit durch die Natur wäre.«
(S.325)
Fazit
Egon Schieles »Nude-Self Portrait« auf dem Buchdeckel weist, fast
wie ein Warnschild, den Leser unmissverständlich ins Thema des
Buches von Mathias Hirsch ein: es geht um den Menschen und was er
mit seinem Körper anstellt oder anstellen lässt. Durch die
psychoanalytische Brille dargestellt, in Fallbeispielen
beschrieben, mit vielen Zitaten, Geschichten, Gedichten garniert
und für den Leser gut verdaulich aufbereitet. Es ist ein
spannendes, sehr gut geschriebenes, leicht zu lesendes Buch und
trotzdem kein einfaches Buch. Ich habe manche Kapitel mehrmals
lesen müssen: zuerst um zu genießen, dann das Geschriebene zu
verstehen und schließlich darüber nachzudenken. Hirschs Buch ist
schon deswegen empfehlenswert, weil es jeden psychotherapeutisch
arbeitenden Menschen die kritische Betrachtung der komplizierten
Beziehung des Menschen zu seinem Körper, vor allem dann wenn es
pathologisch wird, in einen psychoanalytischen, philosophischen und
kulturhistorischen Rahmen setzt.
Rezensentin
Dipl.-Psychol. Aspasia Zontanou
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