Rezension zu Burnout
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Rezension von Heike Geilen
Die neue Volkskrankheit der Moderne
Das Thema »Burnout« bewegt sich inzwischen auf allen
gesellschaftlichen Ebenen. Treffer im dreistelligen
Millionenbereich landet man beim Googeln. Deutlich über Hundert
liegen die Zahlen bei (Selbsthilfe-)Büchern, die dieses Thema
beinhalten. Radio und Fernsehen stehen gleichfalls nicht nach. Nun
also noch eine weitere Abhandlung über die anwachsende, durch
diverse Medien befeuerte öffentliche Diskussion, der sich
anscheinend epidemieartig ausbreitenden neuen Volkskrankheit.
Schmal ist das Büchlein des ehemaligen ärztlichen Leiters der
Fliedner-Klinik Düsseldorf Prof. Theo R. Payk. Kann der Autor, der
bereits eine achtbare Anzahl von Fach- und Sachbüchern (u. a. zum
Thema Depression) vorgelegt hat, dem interessierten Leser und/oder
Betroffenen auf rund 80 DIN-A5 Seiten wirklich etwas Neues
vermitteln? Nein, das kann er nicht. Doch bevor der geneigte Leser
dieser Rezension enttäuscht abwinkt sei vermerkt, dass dies mit
Sicherheit auch nicht Anliegen des 1938 geborenen und mittlerweile
in der Aus- und Weiterbildung sowie Hospizarbeit engagierten
Psychiaters und Psychotherapeuten ist.
Payk vermittelt in kurzer und knapper Form solides Basiswissen.
Wohltuend kommt er dabei ohne Effekthascherei, Anleitung zur
hypochondrischen Selbstbeobachtung oder Schürung von diffusen
Existenzängsten aus. Er ist sogar der Meinung, dass das Thema
Burnout vielfach einer eindimensionalen Sichtweise unterliegt und
viel zu schnell alle möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
auf »berufsbezogenen Stress« zurückgeführt werden. Dabei stellt er
keineswegs die zweifellos vorhandenen Widrigkeiten und Strapazen
der modernen Arbeitswelt als Ursache für Frustration,
Erschöpftheit, Aushöhlung und Versagen in Abrede. Doch für den
Autor greifen die meisten Diagnosen zu kurz. Diese blenden zu
schnell aus, dass Burnout-Zustände ebenso durch anderweitige
Belastungen hervorgerufen werden können, die ursächlich in keinem
direkten Zusammenhang mit krankmachenden Arbeitsbedingungen stehen.
Diese können zum Beispiel der privaten Lebenswelt, anhaltenden
Stresssituationen, eingeschlossen Armut und sozialer Abstieg mit
wirtschaftlichen Nöten entstammen. »Bei genauerem Hinsehen erweisen
sich als Burnout empfundene, hartnäckige und bedrückende Gefühle
von Verbitterung, Leere, Melancholie und Sinnlosigkeit bisweilen
sogar als Auswirkungen regelrechter Lebenskrisen, die sich aus
existenziellen Fragen nach der Bedeutung und dem Wert des eigenen
Daseins entwickeln, ohne dass dies den Betroffenen überhaupt
bewusst wird.«, so Payk.
Nach einer kurzen Einführung analysiert der Autor in fünf
nachfolgenden Kapiteln kritisch und kompetent was Burnout ist und
wie er diagnostiziert und erkannt wird. Er vergleicht das
Störungsbild mit der »echten« Krankheit Depressionen, untersucht
Ursachen und gibt Ratschläge zur Vermeidung. Aufgelockert durch
Fallbeispiele aus seiner eigenen Praxis zeigt Payk wohltuend
unkapriziös auf, dass zumeist »eine zunehmende Diskrepanz zwischen
den idealistischen Anfangserwartungen an die beruflichen Aufgaben
und den tatsächlich gemachten Erfahrungen, dass die ursprüngliche
Hoffnung und Zuversicht nicht mit der Realität in Einklang zu
bringen sind« als hauptsächliche Ursache dieses seelischen
»Erschöpfungszustandes« gilt. Letztendlich muss man sich, so der
Autor, vielleicht gar die Frage stellen, »ob die heutige Arbeits-
und Lebenswelt in den Industrieländern mit all ihren destruktiven
Einflüssen auf die Gesellschaft wie Reizüberflutung,
Desinformation, Fremdbestimmung, Lobbyismus, Entsolidarisierung,
soziale Ungerechtigkeit und fehlende Chancengleichheit den
Normalbürger nicht zu einem entmündigten Zuschauer – allenfalls
periodisch umworbenen Wähler – politischer und wirtschaftlicher
Manipulationen degradiert.«
Und weiter: »So irrt der moderne Mensch als Normalbürger – trotz
massenhafter digitaler Kommunikationsangebote – frustriert umher in
einem existenziellen Ödland, mal als Kunde oder Konsument, Wähler
oder Claqueur hofiert, bald übersehen, schnell wieder vergessen. Er
fragt sich ebenso ratlos wie betroffen nach dem Sinn des Lebens,
nach der Wertschätzung seiner eigenen Person und der Anerkennung
seiner Arbeit im Büro oder Betrieb, und er ist beschämt ob seiner
kleinlichen Neidgefühle, wenn ihm die opulenten Begünstigungen und
Vergütungen der erfolgreichen ›Leistungsträger‹ – der ›(wirklich)
Reichen und (vermeintlich) Schönen‹ – als ihrer gesellschaftlichen
Verdienste angemessen, ja notwendig, eingeredet werden.«
Fazit: Ein kleines, aber feines Kompendium, in dem das Thema weder
zu innerviert, noch unter einer Fachterminologie nur für Insider
verschwindet. Ein Büchlein, das sich wohltuend aus der Masse
hervorhebt. Vielleicht oder gerade wegen seiner Unaufgeregtheit und
Kompaktheit.
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