Rezension zu Psychose

Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie Nr. 1/2013

Rezension von Nina Bakman

Joachim Küchenhoff: Psychose

Das ist ein dichtes und zugleich übersichtliches Buch, das Joachim Küchenhoff geschrieben hat. Der Autor ist Psychiater, Psychoanalytiker (SGPsa/IPA), Professor an der Universität Basel und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Baselland. In der Einleitung lässt er bereits seinen eigenen Blick auf die Psychose zum Ausdruck kommen: »Das vorliegende Buch handelt von Krankheiten, die subjektiv tief greifend den Lebensalltag infrage stellen, die das Verhältnis des Erkrankten zu sich selbst, aber auch zur Umwelt belasten, die soziale Auswirkungen haben und die schließlich nicht leicht behandelbar sind« (S. 10). Von Anfang an stellt er die Frage nach dem Sinn dieser Krankheiten. Sie bildet das Leitmotiv, es geht ihm um das Verstehen.

Zum Verstehen entfernt er sich von der heute üblichen Beschreibung und objektivierenden Diagnose. Er privilegiert eine intersubjektive Sicht, welche die Beziehung zwischen Patient und Therapeuten berücksichtigt. Befragt wird, »was der Kranke dem anderen zu sagen hat und seine innerliche Beziehungswelt« (S. 11). Dieser Zugang verlangt, sich auf den Kranken einzulassen und bereit zu sein, an seiner Welt teilzunehmen. Hier greift Küchenhoff auf Gaetano Benedetti, einen alten Meister der Psychotherapie der Psychosen, zurück und stellt sich der gegenwärtigen dominierenden biologisch orientierten Richtung der Psychiatrie quer entgegen.

Die Methode, die am meisten zum Verständnis des psychotisch Kranken beiträgt, ist die Psychoanalyse. So geht Küchenhoff zugleich historisch und psychodynamisch ihren Psychosetheorien nach. Es gelingt ihm, klar und differenziert Autoren wie Freud, Tausk, Melanie Klein, Bion und Lacan in Kürze darzustellen und deren Verständnis dem Leser zu erleichtern. Ihre Relevanz illustriert er mit Fallbeispielen aus seiner klinischen Erfahrung.

Dabei weicht er schwierigen Fragen nicht aus, z.B. nach dem Verhältnis von Biologie und Psychologie. Er schließt die eine nicht auf die Kosten der anderen aus und arbeitet die Bedeutung des Körperlichen in der Psychose heraus. Auch die Destruktivität versucht er zu verstehen, z.B. als Vorstellung des pathologischen Narzissmus, »dass es Lust macht, alles zu töten« (S. 72). Manchmal ist es der Rezensentin allerdings schwergefallen, dem Autor zu folgen, wenn er sogar die abgründigsten Formen der Destruktivität noch als Kommunikationsversuch interpretiert. Hat denn das Verstehen gar keine Grenzen, und gibt es nicht Zerstörungskräfte des »Negativen« (Green), die sich der Erklärung restlos entziehen?

Auf der Grundlage einer psychodynamischen Psychopathologie entwickelt Küchenhoff ein Faktorenmodell des psychotischen Erlebens. Als Kategorien dieses Modells werden das subjektive Erleben, z.B. die Anerkennung der Grunderfahrungen des Lebens, die objektivierbaren psychischen Fähigkeiten, die für eine normale Entwicklung notwendig sind, wie die Integration der Ich­Funktionen, und die Qualität der frühen und aktuellen Beziehungen genannt. So entsteht ein kohärenter Rahmen, in dem die Besonderheiten der psychotischen Erkrankung erfasst werden können.

Sein Modell setzt sich aus Bausteinen zusammen, die er aus verschiedenen Theorien und der klinischen Empirie holt. Ein gewisser Eklektizismus ist nicht zu übersehen; dieser geht jedoch mit einer Bescheidenheit des pragmatischen Anspruchs einher. Die Psychose ist eine derart komplexe und für das Umfeld erschreckende Krankheit (vor allem wegen des Verlusts des Bezugs zur Realität und der »entwicklungsverneinenden« Tendenz), dass man ihr, so Küchenhoff, nur aus mehreren Perspektiven begegnen kann.

Seine Schlussfolgerungen für die psychotherapeutische Arbeit mit psychotischen Patienten zeigen anschaulich, wie eine konsequent um Verstehen bemühte Grundhaltung, die psychodynamisch fundiert ist, den Patienten behutsam und in kleinen Schritten weiterhelfen kann.

Nina Bakman, Zürich

www.sanp.ch

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