Rezension zu Außenseiter integrieren
HEP-Informationen 4/2012, Berufsverband Heilerziehungspflege in Deutschland
Rezension von Dr. Ulf-Henning Janssen
Außenseiter integrieren
In einer Zeit, in der die Behindertenhilfe einen wichtigen
Paradigmenwechsel erleben darf, weg von der über viele Jahrzehnte
propagierten Integration und hin zur inklusiven Gesellschaft, zur
Inklusion, bedarf es klarer Wegmarken, damit nicht nur die
Fachkräfte ihre Orientierung nicht verlieren. Inklusion ist gut,
keine Frage – aber was ist das eigentlich genau, wie kann ich es
erklären und was kann und muss ich tun, damit Inklusion für alle
lebbar wird?
Wer sich einen Überblick über die Grundfragen der Inklusion
verschaffen will, ohne sich im Dickicht tagespolitischer
Fragestellungen zu verlieren, die ja nur allzu oft eher von
haushaltspolitischen Erwägungen inspiriert sind, ist mit diesem
Werk gut bedient. Immerhin geht es bei diesem Begriff der
Sozialethik darum, Denkprozesse auszulösen, die erreichen wollen,
dass der Außenseiter, der Ausgegrenzte sein Leben in der
Gemeinschaft führen kann. Eine hochkomplexe Fragestellung also,
die nicht nebenbei durch eine von den Vereinten Nationen
beschlossene Konvention und die hierdurch in die nationalen
Politiken getragenen Diskussionen quasi von oben herab gelöst
werden kann.
Renommierte Fachleute unterschiedlicher Disziplinen nähern sich
dem Thema sowohl in theoretischer wie auch in praktischer Sicht.
Aber auch völlig unabhängig von der aktuellen Debatte um den
Begriff der Inklusion stellt sich in der täglichen pädagogischen
Arbeit seit alters her die Frage, wie Außenseiter zu integrieren
seien und Ausgrenzung damit verhindert werden kann. Auch hier
bietet das Werk spannende Beiträge, in denen an Einzelfällen die
zu Grunde liegenden Probleme aber auch die Möglichkeiten, die
Außenseiterrolle abzulegen und damit Teil des Ganzen zu werden,
ausführlich dargelegt werden.
Insbesondere die Rolle der Fachkräfte wird in diesen Beiträgen
beleuchtet. Denn nur wenn es den Fachkräften gelingt, individuell
und verstehend auf den Außenseiter einzugehen und eine Beziehung
mit ihm aufzubauen, kann er einen Beitrag dazu leisten, dem
Betroffenen das Leben und Überleben in seinen sozialen Bezügen zu
erleichtern. Da die Autoren der psychoanalytischen Pädagogik
entstammen, kommt gerade bei den Fallbeispielen die
tiefenanalytische Sicht nicht zu kurz, was den Zugang zu den
Fallschilderungen wesentlich vereinfacht und das Verständnis
manchmal auch paradoxer Verhaltensweisen erheblich erleichtert.
Gerade angesichts der aktuellen Diskussionen um Inklusion, aber
auch Mobbing in Schule und Arbeitswelt wünscht man den Verfassern
dieses Werkes Leser aus möglichst vielen Berufen und
Arbeitsfeldern. Angefangen vom Politiker, der in seinen Reden nicht
müde wird, den Paradigmenwechsel in der Sozial- und
Behindertenpolitik zu fordern, ohne sich Klarheit darüber zu
verschaffen, was hierzu gesamtgesellschaftlich notwendig ist, über
Erzieher und Lehrkräfte an Bildungseinrichtungen aller Art, hin zu
Arbeitgebern, denen ein gutes und gesundes Betriebsklima nicht nur
beim Betriebsausflug eine echte Herzensangelegenheit ist, bis hin
zu Leitungskräften aus Einrichtungen der Behindertenhilfe, die
nicht müde werden, zu betonen, dass es Inklusion in ihrem Hause
längst gebe.
Last but not least, sind aber auch Gewerkschaftler und
Betriebsräte ebenso angesprochen wie generell alle Mitarbeiter im
pädagogischen Feld. Inklusion ist und bleibt eben, man kann es gar
nicht oft genug betonen, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Also
werden auch Angehörige und Selbsthilfeverbände viele nützliche
Anregungen aus diesem Werk ziehen können, wenn es um konkrete
Umsetzungsmaßnahmen hin zu einer inklusiven Gesellschaft geht,
einer Gesellschaft, in der es keine Außenseiter mehr gibt, weil
dort das »außen« keine Bedeutung mehr besitzt.
Dr. Ulf-Henning Janssen
www.berufsverband-hep.de