Rezension zu Richard Wagner. Der Ring des Nibelungen

Gießener Anzeiger vom Freitag, 4. Januar 2013

Rezension von Stephan Scholz

»Ring des Nibelungen« als Spiegel der Seele
Musikpsychoanalytiker Bernd Oberhoff legt eine eindrucksvolle Interpretation von Richard Wagners Tetralogie vor

GIESSEN. Richard Wagners Operntetralogie »Der Ring des Nibelungen« steht nicht in dem Verdacht, einfach zugänglich zu sein. Eine neue und schlüssige Interpretation bietet jetzt Bernd Oberhoff in seinem vor Kurzem im Gießener Psychosozial-Verlag erschienenen Buch »Richard Wagner. Der Ring des Nibelungen. Eine musikpsychoanalytische Studie« an. Auf 423 Seiten deutet er den »Ring« als Spiegel der psychischen Konflikte des Komponisten.

Das Licht der Bühnenwelt erblickte das Opus Magnus Wagners (1813 bis 1883) mit der Uraufführung des »Rheingolds« 1869, das gleichsam als Vorabend der sich über drei Tage ziehenden Opernhandlung gilt. Sie setzt sich fort in der erstmals 1870 aufgeführten »Walküre«, der seit 1876 zu sehenden Oper »Siegfried« und der ebenfalls 1876 uraufgeführten »Götterdämmerung«, mit der der »Ring« abschließt. Vordergründig zeigt Wagner mit seinem romantischen Zyklus die großen Themen wie Liebe, Verrat und Macht – der Ring verspricht Weltherrschaft. Doch Musikpsychoanalytiker Oberhoff blickt hinter die Kulissen und kommt in seiner stringenten und argumentationsstarken Analyse zu erstaunlichen Ergebnissen, indem er Spuren der Entwicklung der frühkindlichen Psyche in der Tetralogie verfolgt.

Unbewältigte Konflikte
Dreh- und Angelpunkt seiner Überlegungen ist das entwicklungspsychologische Modell des »container/contained«-Prinzips, das auf Überlegungen des britischen Psychoanalytikers Wilfred Ruprecht Bion (1897 bis 1979) basiert. Es geht davon aus, dass der Säugling von rein gefühlten, völlig ungeordneten und damit als bedrohlich erlebten affektiven Fluten umgeben ist. Damit sind vorwiegend eigene Körperempfindungen gemeint, die in der Beziehung zur Mutter jedoch entschärft, geordnet und reflektiert werden. Die Mutter ist quasi der empathische Container, der diese Affektfluten einlagert (contained) und nach der Bearbeitung an den Sprössling zurückgibt. Funktioniert diese Beziehung allerdings nicht, kann es zu schweren entwicklungsbedingten Konflikten kommen, und Oberhoff hat einige von ihnen in Wagners Ring ausgemacht. Minutiös analysiert der Psychologe zunächst die dramatische Handlung, um dabei ein Konfliktfeld der Helden zwischen Ur-Narzissmus, analsadistischer Phase und dem Befolgen des väterlichen Gesetzes auszumachen – allesamt frühkindliche Entwicklungsschritte, die im Rahmen des psychischen Reifungsprozesses gemeistert werden müssen. Argumentativ stark zeigt Oberhoff vor allem auf, dass genau diese Meisterung Wagners zentralen Helden nicht gelingt und damit die in der gesamten Tetralogie inszenierte Entwicklung des frühkindlichen Ich am Ende in der »Götterdämmerung« scheitert. Schon auf rein sprachsemantischer Ebene ist diese Argumentation stichhaltig und famos, doch richtig rund wird die Studie dadurch, dass Oberhoff die für Wagnersche Musik so essenziell kennzeichnenden musikalischen Leitmotive – kleine musikalische Einheiten, die das Bühnengeschehen unter anderem kommentieren und um wichtige Dimensionen ergänzen – und die Rolle des Orchesters ebenfalls sehr detailliert auf Basis des »container/contained«-Prinzips unter die Lupe nimmt.

Bereichernde Studie
Dabei wird deutlich, dass Wagner selbst »uncontained« war und in seinem Opernzyklus eigene unverdaute frühkindliche Konflikte auf die Bühne gebracht hat. Erhärtet wird diese These durch ein Kapitel, das des Komponisten Ehe mit Cosima analysiert und zu dem Schluss kommt, dass Cosima im Sinne frühkindlicher Symbiose als eine Art Ersatzmutter fungierte. Wohlgemerkt, unbewusst hat Wagner das eigene konfliktreiche präödipale Erleben inszeniert, wobei Oberhoff die Leistung hervorhebt, diese frühkindlichen Welten in Text und Musik überhaupt zu verwirklichen.

Das Fazit: Dem Analytiker, der in freier Praxis in Münster arbeitet, ist eine seriös und umfassend fundierte Studie gelungen, die die Wagner-Forschung ganz sicher erheblich bereichern wird. Auch Opernfreunden sei das Werk, das gut verständlich geschrieben ist, wärmstens ans Herz gelegt. Musiktheoretische Kenntnisse, Zugang zu psychoanalytischen Ansätzen und eine erste Bekanntschaft mit dem Werk von Richard Wagner sind allerdings zu empfehlen.

Das Buch kostet 39,90 Euro, erschienenen im Psychosozial-Verlag, Gießen (www.psychosozial-verlag.de).

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