Rezension zu Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse

Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse,

Rezension von Michael Lacher

Josef Shaked: »Ein Leben im Zeichen der Psychoanalyse«

Shaked verbindet zwei Erzählungen in einem geschichtlichen Strang – die seiner beruflichen Entwicklung als Psychoanalytiker und Gruppenanalytiker und die seiner bewegenden Biographie: Kindheit in Israel, Studium in New York, Ausbildung als Psychoanalytiker bei Igor Caruso in Wien; in einem weiteren Teil schildert er seine Mitwirkung bei der Entwicklung der Gruppenanalyse mit dem Schwerpunkt der Leitung psychoanalytischer Großgruppen. Es ist ein originelles, Interesse weckendes, auch in persönlichem Stil geschriebenes Buch, in dem philosophisch-ideengeschichtliche Zusammenhänge, gesellschaftliche Vorgänge wie die 1968er Studentenbewegung und die Geschichte der Psychoanalyse Freuds bis in die heutige Zeit miteinander behandelt werden.

In den 10 Kapiteln des ersten Teils gibt Shaked dem Leser Einblicke in seine Migrationsgeschichte und seine Erfahrungen mit Aspekten jüdischer Kultur und Herkunft, setzt sich kritisch mit der schillernden Figur Carusos auseinander und beschreibt seine Entwicklung von der Gruppendynamik über Erfahrungen als Psychiater hin zur analytischen Gruppenpsychotherapie. Dabei werden immer wieder die dunklen Kapitel der Verwicklungen des Gesundheitswesens mit der Naziherrschaft in Österreich angerissen, auch die von ihm erlebten Schwierigkeiten der gesellschaftlichen Auseinandersetzung damit, besonders schmerzlich angesichts der Teilhabe Carusos am Euthanasieprogramm der Nazis in der Wiener Jugendfürsorgeanstalt »Am Spiegelgrund«.

Wie um den mehr als 30-jährigen Entwicklungsprozess der von ihm mitbegründeten Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Gruppenanalyse in Altaussee vorzubereiten, stellt Shaked im zweiten Teil die Entwicklungen der Psychoanalyse dar, von der Triebtheorie bis hin zur englischen Psychoanalyse mit ihren Konflikten und Fraktionen. In ausführlicher Diskussion und Kritik der amerikanischen Ich-Psychologie und deren langdauernder Macht in den USA zeigt er den Aufstieg wie das Verblassen der Kohut/'schen Selbstpsychologie; danach werden die neueren relationalen/interaktionellen Richtungen umrissen. Andere Passagen behandeln die Verwurzelung der deutschen Psychoanalyse im Idealismus; aber die Verstrickungen deutscher Analytiker im Nationalsozialismus und deren Folgen im Verhältnis von DPV und DPG sind leider zu holzschnittartig dargestellt. Shaked kritisiert den ausgelaufenen Trend des »Freud-Bashing», verbunden mit einer Erörterung der wissenschaftstheoretischen Frage, ob und in welcher Weise die Psychoanalyse eine (hermeneutische) Wissenschaft sein kann. Er zeigt sich als Kritiker der Kultur und der Gruppenprozesse in psychoanalytischen Institutionen, mit einer Interpretation der Lehranalyse als Machtinstrument ähnlich wie etwa bei Kernberg und Cremerius. In guter Übersicht findet der Leser dann einen Einblick in die Effektivitätsforschung (gruppen-) psychoanalytischer Therapien, gefolgt von den rezenten Annäherungen der Psychoanalyse an die Nachbardisziplinen, wobei der Akzent auf der Bedeutung neurowissenschaftlicher Befunde im Sinne einer Bestätigung Freud/'scher Theoriebestandteile liegt.

Im dritten Teil stellt Shaked die Entwicklung des Altausseer gruppenanalytischen Ausbildungsmodells dar, dessen Anfänge in den 1970er Jahren mit S. H. Foulkes und Alice Ricciardi von Platen ebenso wie den institutsimmanenten Methodenpluralismus als Kennzeichen heute. Der Leser erhält auch eine fundierte Einführung in die Theorien der Gruppenanalyse von ihren internationalen Vorläufern in Psychologie und Soziologie über die massenpsychologischen Konzepte Freuds bis hin zu verschiedenen gruppenanalytischen Ansätzen, z. 13. von Slavson und Bion. Foulkes wird relativ ausführlich geschildert, womit sich Shaked als von ihm am stärksten beeinflusst zeigt. Der Leser kann seinen emotional getragenen Lernprozessen auf dem Weg in der und zur Gruppenanalyse folgen, was die Lesespannung in diesem »Gemisch« eines historisch fundierten Sachbuchs mit persönlichem Lernbericht (z. B. anhand zahlreicher kurzer Vignetten) erhöht.

Im letzten Teil formuliert Shaked sozusagen sein »Vermächtnis«: die Entwicklung seiner Erfahrungen und Theorien in und mit der Großgruppe als eines eigenen Instruments der Erforschung von Massenprozessen, aber auch in der klinischen und organisationspsychologischen Anwendung. Auffällig ist seine durchgehende Betonung des kulturkritischen und »revolutionären« Potenzials der Freud/'schen Triebtheorie, die er auf die Großgruppe und deren Entwicklungsstadien anwendet, sowie des Potenzials an Aufklärung über die Macht vielfältiger Abwehrformen innerhalb der Gruppendynamik, nicht zuletzt bei kulturellen oder ethnischen Konflikten. Shaked sieht auch in der interkulturellen Großgruppe, mit Bezug auf Vamik Volkan, ein Hilfsmittel zur Klärung von ethnischen Großkonflikten, deren Prozesse er anhand eigener Erfahrungen in und mit interkulturellen Projekten (z. B. in der Ukraine) schildert.

Alles in allem ein gelungenes Buch mit didaktisch gut erarbeiteter historischer Perspektive aus der Feder eines der Hauptakteure (groß)gruppenanalytischer Theoriebildung und Praxis. Die Lektüre macht »Lust« auf gruppenanalytisches Arbeiten.

Michael Lacher (Dortmund)

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