Rezension zu Revolution der Seele
Soziale Psychiatrie. Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. Heft 3, Juli 2012. 36. Jg.
Rezension von Jens Clausen
Präzise, eindrücklich, kenntnisreich
George J. Makari Revolution der Seele Die Geburt der Psychoanalyse
Gießen: Psychosozial-Verlag, 2011 648 5., 49,90 EUR
Wenn die Ankündigung einer Neuerscheinung auf dem Buchmarkt so
überschwänglich wie diese beginnt (»Brillant!« – »Fesselnd!«
–»Faszinierend!«), dann bleibt Skepsis nicht aus. Bei einem Werk
über die Geschichte der Psychoanalyse fragt man sich ganz
besonders: Haben wir dazu nicht schon genug gelesen? Können sich
auf diesem Feld noch neue Perspektiven zeigen? Finden wir hier
tatsächlich überraschende Erkenntnisse, vielleicht aufgrund neuer
Quellenforschung? Oder ist das alles »just another brick in the
wall«? Der Psychosozial-Verlag muss von dem amerikanischen Original
sehr überzeugt gewesen sein, als man es ins Programm aufnahm und
von Antje Becker übersetzen ließ. Denn das Buch von Makari tritt in
Konkurrenz zu einer Reihe von Werken, von denen einige im Hause des
Verlags selbst beheimatet sind. Und es ergänzt die Reihe
»Bibliothek der Psychoanalyse«, die von Hans-Jürgen Wirth
herausgegeben wird und die bereits eine Reihe von Autorinnen und
Autoren der Psychoanalyse des frühen 20. Jahrhunderts aus dem Nebel
des Vergessens geholt hat, um sie im Kontext des 21.Jahrhunderts
neu zu betrachten. Bei dem hier besprochenen Titel »Revolution der
Seele« handelt es sich also nicht um die Edition eines
»Klassikers«, sondern um ein aktuelles Werk des amerikanischen
Psychiaters George J. Makari, das im Original »Revolution in Mind:
The Creation of Psychoanalysis« heißt. Es unterscheidet sich in der
Tat von manchen Werken zu dieser Thematik wohltuend, denn es
polemisiert und polarisiert nicht, wie dies zum Beispiel Edward
Shorter in seiner »Geschichte der Psychiatrie« tat, der ja
eigentlich eine Kampfschrift gegen die Psychoanalyse schreiben
wollte; es idealisiert und kaschiert nicht, wie dies manchen
traditionellen Schriften zu Freuds Leben (z.B. Ernest Jones/'
»Leben und Werk von Sigmund Freud« oder Paul Roazens »Freud und
sein Kreis«) zu eigen ist, die den großen Meister ins beste Licht
zu rücken versuchen; und es intimisiert nicht, wie dies Peter Gays
»Freud. Eine Biografie für unsere Zeit« bisweilen tat, wenn er uns
in die letzten Winkel von Freuds Leben führte und dabei auch die
Verdauungsprobleme des Vaters der Psychoanalyse ausleuchten zu
müssen meinte.
George J. Makaris Buch ist aus einer größeren Distanz geschrieben,
es zeichnet präzise und eindrücklich die Entstehung des
Theoriengebäudes der Psychoanalyse nach, geht auf die Beiträge der
relevanten Personen um Freud herum ein und ist offenbar keiner
Schule oder Richtung verpflichtet. So werden die Konfliktlinien
(mit Carl Gustav Jung, Alfred Adler, Otto Rank, Wilhelm Reich u.a.)
kenntnisreich skizziert und die Entstehung bedeutsamer Schriften in
den Kontext der Theorie und Methodendebatten gestellt. Damit kann
der Leser auf spannende Weise nachvollziehen, in welchen
Konstellationen sich die Bausteine des psychoanalytischen Denkens
entwickeln konnten. Freud wird hier weder idealisiert noch
demontiert, seine Größe wird lediglich ein wenig relativiert, weil
deutlich wird, dass viele seiner Ideen und Schriften in enger
Auseinandersetzung bzw. als Gegenentwurf zu anderen Autoren
entstanden sind und im Kontext dieser Debatten eigentlich erst
recht zu verstehen sind. Auch die Zeitgeschichte, die politischen
und sozialen Faktoren, die Bedeutung der beiden Weltkriege und
vieles mehr wird in die Darstellung einbezogen, ähnlich wie dies ja
schon sehr eindrücklich in Eli Zaretskys Werk »Freuds Jahrhundert«
geschah. Welche Energien zahlreiche Psychoanalytikerinnen und
-analytiker zum Beispiel darauf verwendeten, die Chancen der
Therapie nicht nur den großbürgerlichen Schichten, sondern wirklich
»dem Volk« zukommen zu lassen, welche Ideen in den Zwanziger- und
Dreißigerjahren die Psychoanalyse entwickelte, um eine neue
Pädagogik und eine neue Gesundheitspolitik ins Auge zu fassen,
welche Tendenzen sich in den unterschiedlichen Zentren und Regionen
der psychoanalytischen Bewegung vollzogen und wie immer wieder um
ein fundiertes Verständnis der Begriffe und Techniken gerungen
wurde: all das hat George J. Makari auf der Grundlage eines breiten
Materials an Quellen sehr eindrücklich zusammengefasst. Wer Muße
genug hat, sich auf fast 6oo Seiten mit den Jahren zwischen 1875
und 1945 zu befassen, wer Interesse genug hat, die hitzigen
Gefechte um ein angemessenes Verständnis der Seele des Menschen für
wichtig zu erachten, wer sich auf die Welt der Kongresse zur
Verbesserung der Technik der Psychotherapie einlassen kann und
selbst um eine Fundierung seiner psychiatrischen und
psychotherapeutischen Haltung ringt, der wird viel erfahren und
viel lernen können aus diesem Buch.