Rezension zu Psycho-News IV
Psychoanalyse im Widerspruch 48/2012
Rezension von Mathias Hirsch
Buchholz, Michael B.: Psycho-News IV. Aktuelle Briefe zur
empirischen Bereicherung der Psychoanalyse
Es ist ein besonderes Buch zu besprechen, bzw. den bereits vierten
Band einer Reihe, in der Buchholz unermüdlich Gedanken zur
Psychoanalyse, Psychotherapie, insbesondere zur
Psychotherapieforschung, aber auch zu angrenzenden Bereichen wie
Philosophie, Religion, Soziologie, Musik und Literatur anhand der
jeweiligen aktuellen Veröffentlichungen mitteilt. Jeden Monat hat
er im Auftrag der DGPT seit Jahren die relevante Literatur zu
bestimmten Gebieten aufbereitet und als »Psycho-Newsletter – ein
kleiner Literaturrundflug« den Mitgliedern der großen
Psychoanalytischen Dachgesellschaft zugänglich gemacht. Ich selbst
habe sie fast ausnahmslos immer mit Spannung gelesen, spätestens
in den nächsten Urlaub mitgenommen. Ursprünglich wollte der
Auftraggeber ȟber einige Entwicklungen der Forschungslandschaft
unterrichtet werden« (S. 11), und Buchholz war froh über die
Gelegenheit zu erkunden, was die Psychotherapieforschung »zur
Klärung psychoanalytischer Konversation« beitragen kann, auch zur
»Klärung des therapeutischen Tuns« (ebd.). Immer wieder gerät der
Autor an die Grenzen der Vergleichbarkeit verschiedener
Psychotherapiekonzepte, insbesondere ist er äußerst kritisch der
Selbstverständlichkeit gegenüber, mit der manche Forscher die
therapeutische Methode von dem ausführenden individuellen
Therapeuten abkoppeln, als wäre – wie in der Medizin – die
»Technik« ein Gegebenes ohne jede Beeinflussung durch die
Persönlichkeit, den Charakter, das Denken, die Lebenserfahrung
etc. des Therapeuten. Und einmal spottet Buchholz mit Merton Gill:
»Ein theoretisches Behandlungsprogramm anzuwenden wäre ja [...]
Schmalz im dritten Ohr.« (S. 127f.) Deshalb ist Buchholz auch
skeptisch manualisierten Therapieverfahren gegenüber, dabei findet
er manche guten Bücher, die sich »Manual« nennen, einfach nur gute
Lehrbücher (S. 13). Das Heilende, jedenfalls in der Psychoanalyse,
ist das Gespräch innerhalb der Beziehung von mindestens zwei
Personen (oder mehreren in der Gruppenpsychotherapie oder
Familientherapie). Aber was eigentlich macht das Gespräch wirksam?
Es findet in einer kultivierten Begegnung statt, es verändert
beide Beteiligten. Auch das therapeutische Gespräch ist Kultur;
Klinik und Kultur sind gar nicht wirklich zu trennen: »Heilendes
Gespräch und Kultur, Konversation und Kognition, liegen nicht so
weit auseinander, wie es das Vorurteil besagt. Psychoanalyse heilt
kultiviert. Von diesen Zusammenhängen handelt das vorliegende
Buch« (S. 13). Das Buch enthält 15 »PNL« aus der Zeit von Juni
2006 bis August 2007, aber so schnell ändern sich Wissenschaft und
Forschung auch wieder nicht, als daß die Briefe schon überholt
wären. Es ist hier nicht möglich, alle zu würdigen. Ich werde
die Mitteilungen zur Psychotherapieforschung etwas mehr behandeln
und die anderen Gebiete eher streifen. Was wird in der
Therapieforschung untersucht? Meist gar nicht das
psychotherapeutische Verfahren selbst, wie Buchholz bemerkt,
sondern die Patienten, die befragt werden und über die angenommene
oder erlebte Wirkung ihrer Therapie berichten sollen. Und deren
subjektive Ansicht über psychische Krankheit und Therapieeffekt
ist manchmal diametral gegensätzlich zu der der Therapeuten. Also
müssten eigentlich auch regelmäßig die Therapeuten nach ihren
Vorstellungen und ihrem Erleben gefragt werden. Buchholz freut sich
(S. 30) über das so wissenschaftlich nachweisbare Wesen der
Psychoanalyse als Zwei- (oder mehr) Personen-Psychologie. (Das ist
ein Gedanke Balints, der sich auf Ferenczi beruft oder jedenfalls
berufen müsste, M.H.) »Damit ging man [...] deutlich über einen
Technologie-orientierten Ansatz hinaus und fasste Psychotherapie
sozusagen nicht als Medizinanaloge Intervention, sondern als
Beziehungsarbeit mit – wechselseitigen – Schwierigkeiten auf.« (S.
30) Und daß es sich nicht um Weltanschauung, sondern um
überprüfte Tatsachen handelt, macht Buchholz klar: »Gerade die
empirische Kritik am medizinisch-pharmakologischen Denken in der
Psychotherapieforschung ist stark, man kann Psychotherapie wohl
wirklich nicht länger als Quasi-Medikation auffassen« (S. 31).
Buchholz’ kritischer Blick deckt zum Teil skurrile Ungereimtheiten
in der Psychotherapieforschung auf. Eine Frage der Forschung ist:
Macht der Therapeut die Methode, oder wirkt die Methode unabhängig
von der Person? Natürlich bestätigt die Untersuchung
manualisierter Therapieformen, daß die Person des Therapeuten keine
Rolle spielt, ist es doch das Manual, das ihn ausschalten soll und
dem er sich unterordnet. Unsinnig auch »Cross-over«-Untersuchungen,
dabei soll ein Therapeut verschiedene Methoden zum Vergleich
praktizieren. Auch ist die Vorstellung längst widerlegt, daß zwei
Therapeuten, die nach derselben Methode arbeiten, auch wirklich das
Gleiche tun – natürlich hängt es von ihrer Persönlichkeit ab,
wie sie ihre Methode in die Praxis umsetzen (S. 50). Letztlich
scheint es in der Psychotherapieforschung auch um die Konkurrenz
verschiedener Methoden zu gehen, die besser vergleichbar sind, wenn
der »Therapeutenfaktor« ausgeschaltet wird, wie sehr das auch an
der Wirklichkeit vorbeigeht: »Wenn der Therapeut eine Rolle spielt,
muss unklar bleiben, was die Worte ›gleiche Methode‹ bedeuten
könnten! Und nur wenn der Therapeut keine Rolle spielen würde,
kämen die empirischen Gruppendesigns [...] überhaupt sinnvoll zum
Einsatz!« (S. 56). Interessant ist auch der Gedanke, daß Therapien
erst in der zweiten Generation wirken könnten, da die Patienten
mit ihren Kindern besser umgehen dürften, als wenn sie gar keine
gemacht hätten. Aber wer will das denn messen ...? Was ist
Wissenschaft, fragt der Leser sich mit Buchholz zunehmend, was ist
überhaupt überprüfbar, muß eigentlich empirische Wissenschaft
experimentell (vorhersagbar, überprüfbar) sein? Buchholz fragt:
»Was aber ist die Empirie in allen Spielarten der Psychotherapie?
Die Antwort kann meines Erachtens nur lauten: Das relationale
Geschehen, die Beziehung, der Austausch, das gesprochene Wort und
die gegenseitigen Beobachtungen aneinander (und was daraus richtig
oder fälschlich geschlossen wird)« (S. 166). – Ein anderer Brief
handelt vom mind-reading, den vielfältigen psychologischen
Untersuchungen zur Theory of mind, und zwar mit Bezug auf eine
historische Entwicklung von Kant über Freud und Reik bis hin zu
neuen Untersuchungen. Auch hier widerlegt manchmal die Empirie die
Empirie – insbesondere dann, wenn die Untersucher naiv davon
ausgehen, daß die Befragten den erfragten Wörtern und Begriffen
genau dieselbe Bedeutung geben wie die Interviewer, und
insbesondere dann, wenn Nachfragen zum Verständnis nicht erlaubt
sind, um angeblich gleichmäßige Bedingungen zu schaffen.
Ein ebenso spannendes wie erschütterndes Beispiel vom
Zusammenspiel von Soziologie, Politik und individueller Psychologie
ist das Thema Gewalt und Töten; in das Zentrum seiner Betrachtung
stellt Buchholz die Untersuchungen von Welzer, die von der
Metamorphose ganz normaler Menschen zu Massenmördern handelt.
Nicht die Propaganda, sondern die vielfältige Umsetzung der
nationalsozialistischen Ethik in die Realität, so daß sie
allgemeine ethische Normen ersetzten, bewirkte durch Gewöhnung und
Abstumpfung diese Umwandlung.
Weitere Bereiche, die hier nicht ausgeführt werden können, deren
Erwähnung aber die Neugier des Lesers wecken könnte (das
umfangreiche Buch wird man ja auch nicht von Anfang bis Ende
durchlesen, man wird sich immer wieder einmal Bereiche vornehmen,
für die man sich interessiert), sind: »Embodiment und Musik« –
Musiktherapie und Körper werden hier behandelt. Auch werden
Improvisationen und musikalischer Dialog mit entsprechenden
Verhältnissen des therapeutischen Dialogs verglichen – Jan Assmann
wird erwähnt, der meint, »dass die Kultur ein Versuch ist, den
individuellen Tod ›behandelbar‹ zu machen – durch Kultivierung, von
der Musik ein Teil ist. Vielleicht spricht Musik uns deshalb an,
weil sie in ihrem Vergehen immer auch vom Tod handelt, ihn
erklingend aber überwindet« (S. 430).
Man bewundert den Autor, daß er nicht nur so viel lesen – und
offensichtlich englisch genausogut wie deutsch –, sondern das
Gelesene auch so wunderbar lesbar aufbereitet wiedergeben kann.
Lesen scheint seine Leidenschaft zu sein, denn er meint, »dass
Bildung vor allem Lesen ist, dass Lesen tiefe Freude machen kann
nicht nur wegen des Eintauchens in eine poetische Welt, sondern
weil man sich selbst ja als Leser erschafft und damit erst jene
Welt« (S. 16). Und der Leser, der diesen Band durchblättert, wird
immer wieder faszinierende Stellen finden, an denen er sich
festlesen wird.
Mathias Hirsch, Düsseldorf