Rezension zu »Goldmine und Minenfeld«
Psychologie in Österreich 5/2012
Rezension von Martina Schneider
Hirsch, Mathias: »Goldmine und Minenfeld« – Liebe und sexueller
Machtmissbrauch in der analytischen Psychotherapie und anderen
Abhängigkeitsbeziehungen
Das Buch ist strukturell und inhaltlich sehr gut aufgebaut und das
Thema der Liebe sowie des sexuellen Missbrauchs in der analytischen
Psychotherapie wird den Lesern Schritt für Schritt näher
gebracht. Hierfür werden zu Beginn wesentliche Prinzipien der
psychoanalytischen Behandlung, wie die Abstinenzforderung, die
Asymetrie der Beziehung sowie die Phänomene der (sexuellen)
Übertragung und Gegenübertragung zum besseren Verständnis der
Thematik erläutert. Wie bereits dem Titel zu entnehmen ist
konzentriert sich Hirsch, selbst Psychoanalytiker, auf das Spektrum
der Liebe und deren Grenzüberschreitung durch sexuellen Missbrauch
hauptsächlich bei psychoanalytisch-therapeutischen Beziehungen und
erarbeitet die Täter-Opfer-Dynamik vor psychoanalytischem
Hintergrund. Er stellt dabei die verschiedenen Positionen von
Psychoanalytikern eingehend dar und erklärt anschaulich, auch
anhand von konkreten Berichten der Opfer, welche fatalen Folgen das
Eingehen einer sexuellen Beziehung zwischen Patientin und
Analytiker haben kann. Besonders interessant ist die Darstellung
eigener Erlebnisse des Autors aus seiner psychoanalytischen Praxis
zur Verdeutlichung der Inhalte.
Im ersten Teil des Buches befasst sich Mathias Hirsch mit der
Bedeutung der Liebe in der analytischen Psychotherapie und erklärt
in diesem Zusammenhang auch die Grenzen zwischen Phantasie
(Begehren), sowohl von Seiten der Patientin als auch des
Therapeuten, und deren Realisierung durch das Eingehen einer
tatsächlichen (sexuellen) Beziehung. Während die
Übertragungsliebe zu Beginn als positiver Effekt in der
analytischen Psychotherapie, als »Goldmine«, betrachtet wurde,
wandelte sich diese mehr und mehr zu einem »Minenfeld«, da immer
wieder Psychoanalytiker ihrer sexuellen Gegenübertragung erliegen
und eine reale sexuelle Beziehung mit der Patientin eingehen.
Im zweiten Teil wird anschließend das Thema sexuelle
Grenzüberschreitung und sexueller Missbrauch in der Psychoanalyse
diskutiert und die Täter-Opfer-Dynamik eingehend dargestellt.
Besonders interessant sind in diesem Abschnitt auch die umfassende
Analyse der Person des Therapeuten und die Faktoren welche ihn zum
sexuellen Handeln bewegen. Im gesamten Verlauf des Buches berichtet
Hirsch von Beziehungen zwischen männlichem Analytiker und
weiblicher Patientin, da diese in der Literatur vorherrschend sind.
Zum Abschluss dieses Kapitels widmet er sich jedoch auch einer
kurzen Darstellung der umgekehrten Konstellation.
Anschließend diskutiert Hirsch die rechtlichen Rahmenbedingungen
und gibt ein von ihm verfasstes Gutachten zu einem konkreten Fall
wieder. Diesem stellt er Auszüge drei weiterer Gutachten
gegenüber, welche jedoch zu einem anderen Schluss kommen und den
Anschein erwecken, die angeklagte Therapeutin in Schutz nehmen zu
wollen. Dies spiegelt noch einmal sehr eindrucksvoll die
unterschiedlichen Lager in der Psychoanalyse und die Tendenz die
Folgen zu verharmlosen und die Täter zu schützen wieder.
Im letzten Teil des Buches zieht Hirsch Parallelen zum sexuellen
Missbrauch in Familien und reformpädagogischen sowie
konfessionellen Institutionen und verdeutlicht, dass bis heute die
Täter von Institutionen oftmals beschützt und die Tat sowie die
Folgen für die Opfer bagatellisiert und verleugnet werden.
Während auch dieses Kapitel sehr interessant ist und sich
teilweise, wie auch der Rest des Buches, wie ein spannender Roman
liest, kommt es doch etwas zu kurz und nimmt anders als der Titel
vermuten lässt nicht genügend Raum ein.
Insgesamt ist das Buch jedoch sehr gut gelungen und dieses heikle
Thema ausführlich sowohl fachlich behandelt als auch kritisch
beleuchtet worden. Dabei kommt vor allem auch die eindeutige
Haltung des Autors klar zum Vorschein, welcher er immer wieder
andere Positionen gegenüberstellt und vor analytischem Hintergrund
diskutiert.
Für Sie gelesen von
Martina Schneider
Wien