Rezension zu Psychoanalyse und Körper Nr. 9
Psychotherapie Forum Vol14 No.2/2006
Rezension von Gerald Poscheschnik
Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie
Peter Geißler hat wieder zugeschlagen! Nach
»Psychoanalyse und Körper«, »Über den Körper zur Sexualität finden«
und »Körperbilder« liegen mit dem oben angezeigten Buch nun auch
die Ergebnisse des 4. Wiener Symposiums »Psychoanalyse und Körper«
vor. Da selbst eine sehr geraffte Darstellung aller enthaltenen
Beiträge den Rahmen einer Rezension sprengen müsste, beschränke ich
mich auf eine kurze und bündige Präsentation einiger ausgewählter
Beiträge, um so den Leserinnen und Lesern wenigstens einen Eindruck
von aktuellen Forschungsbemühungen auf diesem Gebiet vermitteln zu
können.
Der erste Teil des Buchs enthält eine Reihe von Studien über
nonverbale Prozesse in Psychotherapien. Dabei kommen Videoanalysen
zum Einsatz, welche sich in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten zu
einem fast schon unverzichtbaren Hilfsmittel der psychoanalytischen
Therapieforschung entwickelt haben und auch gewinnbringend im
Rahmen von Ausbildungscurricula und Supervisionen benützt werden
können. Ulrich Streeck stellt in seinem Beitrag die wichtige Rolle
der nonverbalen Interaktion im psychotherapeutischen Dialog heraus.
Er geht dabei von der klinischen Erfahrung aus, dass es dem
erfahrenen Psychotherapeuten oft auf den ersten Blick möglich ist,
zu erkennen, was in einer Beziehung los ist, denn nicht nur Worte
fungieren als Träger von Information, sondern auch der Körper. Das
körperliche Verhalten lässt sich dabei am besten als dialogische
Darstellung begreifen: »Der Psychotherapeut ist an Inszenierungen
nicht nur als Rezipient und Beobachter der Darstellungen des
Patienten beteiligt, sondern er ist deren Mitgestalter, ohne dass
sich in jedem Falle sagen ließe, wessen Verhalten Folge des
Verhaltens des Anderen ist« (5.43). Solche szenischen Darstellungen
sind omnipräsent, obgleich sie oft verdeckt und unerkannt
ablaufen.
In dem Kapitel von Eva Bänninger-Huber wird mithilfe der
Untersuchung mimischer Affektinteraktionen nach jenen Mechanismen
im psychoanalytischen Prozess gesucht, die zu produktiven
Veränderungen führen. Im Zuge dessen werden zwei Typen von
Beziehungsmustern identifiziert: Prototypische affektive
Mikrosequenzen (PAMs) sind durch Lächeln beider Interaktionspartner
charakterisiert und dienen der interaktiven Regulation von
Störungen in der Beziehung, wie sie durch das Besprechen
konflikthafter Themen ausgelöst werden können; Traps hingegen sind
spezifische Muster verbalen und nonverbalen Verhaltens, die vom
Klienten ausgesendet werden, um den Therapeuten zu einer bestimmten
Reaktion zu verfuhren. Der Analytiker soll dazu gebracht werden, im
Verlauf der Erzählung aktivierte negative Emotionen im Patienten zu
regulieren. Eine mögliche Form von Traps sind die so genannten
Chicken Traps. Hierbei wird dem Therapeuten eine dritte Person mit
frevelhaftem Verhalten angeboten, um sich dann gemeinsam über diese
empören zu können. Schnappt die Falle zu, reagiert der Analytiker
den Erwartungen des Analysanden gemäß und empört sich mit ihm über
den Dritten. Kann der Therapeut der Trap widerstehen, bleibt also
psychoanalytisch gesprochen verbal abstinent, auf der nonverbalen
Ebene jedoch neutral oder freundlich, treten gehäuft produktive
Sequenzen auf. Der Patient wird auf sich selbst zurückgeworfen und
erhält so die Möglichkeit zur Reflexion.
Wie Cord Benecke in seinem Aufsatz hervorhebt, manifestiert sich
jede psychische Störung immer auch als Beziehungs- und
Affektstörung. So werden mimisch-affektive Signale des anderen von
Menschen mit psychischen Störungen fälschlicherweise eigenen
inneren Mustern entsprechend interpretiert. Und umgekehrt
provozieren Patienten auch mit ihrem mimisch affektiven Verhalten
bei ihren Interaktionspartnern Reaktionen, die die maladaptiven
Muster perpetuieren. Empirische Untersuchungen zeigen, dass der
Erfolg einer Therapie von der Fähigkeit des Therapeuten abhängt,
sich diesem Interaktionsangebot zu entziehen, wohingegen dyadische
Verstrickung, bei der die Mimik des einen repetitiv auf die des
anderen folgt, eher einen Misserfolg zeitigt. Die therapeutischen
Interaktionsstrategien müssen dabei sehr spezifisch auf das
Beziehungsangebot der jeweiligen Patienten abgestimmt werden. Wie
eine Studie mit Panikpatientinnen zeigt, lassen sich trotz der
gleichen deskriptiven Diagnose zwei Gruppen mit unterschiedlichen
Affektausdrucksmustern bestimmen, die auch verschiedene mimische
Reaktionen des Therapeuten erforderten. Einmal – bei den
manipulativen Patientinnen mit viel Freudemimik – korrelierte
nämlich häufiges Lächeln des Therapeuten negativ mit dem
Behandlungserfolg, das andere Mal – bei den emotional kargen
Patientinnen – zeigte sich eine positive Auswirkung des
Therapeutenlächelns aufs Behandlungsergebnis. Bei ersteren wäre das
Lächeln Ausdruck einer Verstrickung, bei den letzteren eine
Notwendigkeit für den Aufbau einer tragfähigen Beziehung. Ein
besonderes Verdienst des Herausgebers ist es, die Diskussion dieser
stärker forschungsorientierten Vorträge dokumentiert zu haben und
J. Ranefeld und G. Heisterkamp in weiteren Beiträgen des zweiten
Teils praxeologische Folgerungen erörtern zu lassen.
Der dritte und vierte Teil enthalten schließlich eine Reihe
interessanter additioneller Beiträge von einer Riege guter Autoren.
P. Geißler z. B. liefert in einigen Übersichtsartikeln gekonnte
Diskussionen neuerer Theorien, die die psychoanalytische Welt zur
Zeit in Atem halten. Darunter das Konzept der Now Moments von
Daniel Stern et al., das einen unorthodoxen Blick auf den
psychotherapeutischen Prozess erlaubt. B. Boothe wendet sich in
ihrem Aufsatz der Artikulation des Traums zu und zeigt, dass sich
Traumerzählungen von gewöhnlichen Narrationen hinsichtlich
fehlender strukturierender Elemente unterscheiden. Dieses narrative
Vakuum wird dann sowohl im Alltags- als auch im
psychotherapeutischen Dialog mit Kontextualisierungen aufgefüllt.
Erwähnenswert scheint mir auch noch der finale Beitrag von R.
Plassmann. Dieser geht auf die stationäre Psychotherapie von
anorektischen Patientinnen ein. Anscheinend kann es durchaus
berechtigt sein, verstärkt auf die Selbstregulationsfähigkeiten
dieser Patientinnen zu bauen. Wie erste Daten – welche m. E. stets
mit Vorsicht zu genießen sind – nämlich nahe legen, könnte eine
therapievertraglich abgesicherte Eigenverantwortung über die
Gewichtszunahme höhere therapeutische Erfolge aufweisen als
stationäre Psychotherapie unter Standardbedingungen.
Mein Fazit lautet, dass es sich beim besprochenen Buch um ein
lehrreiches Konvolut handelt, von dessen Lektüre man eigentlich nur
profitieren kann. Die eingehende Beschäftigung mit dem Sujet kann
Psychoanalytikern wie Psychotherapeuten helfen, den Blick für die
nonverbale Komponente des therapeutischen Prozesses zu schärfen,
die man sonst vielleicht unter dem Eindruck der Flut von Worten
untergehen lässt. Positiv hervorzuheben ist für mich noch, dass das
Buch auch repräsentativ für eine moderne und offene Psychoanalyse
ist, die weder den interdisziplinären Dialog noch die empirische
Forschung scheut.