Rezension zu Die Selbstverbesserung des Menschen

Psychologie heute 12/2012

Rezension von Eva Jaeggi

Gehirndoping und Körpertuning

Die kontinuierliche Verbesserung des eigenen Selbst ist zum neuen moralischen Imperativ geworden. Welche Chancen und Risiken liegen in dieser Entwicklung?

Die Herausgeber dieses Buches haben sich einem Thema gewidmet, das wir schon seit etlichen Jahren in Zeitschriften und Talkshows diskutiert finden: der Tatsache, dass wissenschaftliche Erkenntnisse der Medizin heute nicht mehr nur der Heilung oder Vorbeugung von Krankheiten dienen, sondern der Selbstverbesserung des Menschen.

Das Verdienst dieses Sammelbandes besteht vor allem darin, dass das Thema von Wissenschaftlern erläutert wird und nicht in irgendwelchen Alltagsmeinungen steckenbleibt. Dabei geht es um eine große Palette von Problemfeldern: um die psychopharmakologisch gesteuerte Verbesserung der Leistungsfähigkeit beim Sport und bei geistigen Leistungen, um die Präimplantationsdiagnostik (PID) und das sogenannte »Designerbaby«, um Eingriffe ins Gehirn und um Schönheitschirurgie sowie um Tätowierungen und Piercings.

Es ist also ein breites Themenspektrum, das unter den Begriffen »Selbstverbesserung«, »wunscherfüllende Medizin« oder »Enhancement« von insgesamt 19 Autoren abgehandelt wird, und natürlich sind nicht alle Beiträge von gleich guter Qualität. Manchen etwa merkt man an, dass sie ursprünglich als Diplomarbeit verfasst wurden. Trotz dieser Einwände aber gilt: Das Thema wird in diesem Buch von vielen Seiten beleuchtet. Das gilt für Grundsatzartikel ebenso wie für diejenigen, die mit Statistiken operieren.

In einigen Beiträgen geht es um die begriffliche Unterscheidung zwischen kurativer und wunscherfüllender Medizin, was viel schwieriger ist, als man im ersten Moment denkt. Denn: Kann man auch als nichtkranker Mensch immer noch eine Steigerung der Gesundheit anstreben, ohne dass dies einem Menschenbild der narzisstischen »allseitigen Machbarkeit« geschuldet ist? Ist der Wunsch nach einer besseren Prüfungsleistung durch Amphetamine schon Hinweis auf die Idee des gefährlichen Immer-weiter-immer-höher-Denkens? Ist das Bedürfnis nach der Korrektur eines übereinstimmend als unschön empfundenen Gesichts ebenfalls nur »wunscherfüllend« und hat nichts mit (psychischer) Gesundheit zu tun? Unter welchen Kriterien lässt sich Doping im Sport beurteilen?

All dies sind Fragen, die sowohl das Selbstverständnis der Medizin als auch unterschiedliche Menschenbilder berühren. Die historische Wandlung des Medizinverständnisses wird abgehandelt, ebenso ethische Fragen und sich wandelnde Philosophien vom Wesen des Menschen.

Es wird an all diesen Betrachtungen deutlich, dass es nicht einfach ist, bioethische Urteile zu fällen und normativ zu diskutieren. Sehr eindringlich ist in diesem Zusammenhang der Artikel von Rolf Haubl, der Argumente und Gegenargumente zur Einnahme von psychopharmakologischen Medikamenten zwecks Steigerung von kognitiven und körperlichen Leistungen sowie emotionaler Befindlichkeit aufreiht. Am Ende bekundet er seine persönlichen Normen, ohne dafür Allgemeingültigkeit zu beanspruchen.

Dies zeichnet übrigens alle Artikel aus: Sie gehen – im Gegensatz zu vielen journalistischen Arbeiten – ohne allzu moralische Obertöne an die Thematik heran. Sehr interessant waren für mich die Überlegungen von Ada Borkenhagen und Elmar Brähler über Schönheitschirurgie sowie die psychologischen Reflexionen über Eingriffe ins Gehirn. Diese verknüpft die Autorin Uta Bittner mit dem Problem des Selbstwertgefühls und Entfremdungserfahrungen. Sie skizziert damit ein Forschungsprogramm, das psychologische und neurologische Fragestellungen in sehr kreativer Weise verbinden könnte.
EVA JAEGGI

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