Rezension zu Macht - Kontrolle - Evidenz (PDF-E-Book)
Erwachsenenbildung. Vierteljahresschrift für Theorie und Praxis 3/2012
Rezension von Johannes Schillo
Klaus-Jürgen Bruder, Christoph Bialluch, Bernd Leuterer (Hg.)
»Macht – Kontrolle – Evidenz. Psychologische Praxis und Theorie in
den gesellschaftlichen Veränderungen«
Wie verhält sich die Psychologie – in Theorie und Praxis –
angesichts der prekären gesellschaftlichen Situation? Wie kann sie
in angemessener Weise therapeutische, pädagogische oder
sozialarbeiterische Ansätze unterstützen? Dies waren Fragen, die
auf dem Fachkongress »Macht – Kontrolle – Evidenz« der Neuen
Gesellschaft für Psychologie (NGfP) im Jahr 2011 diskutiert wurden.
Der jetzt vorgelegte, multidisziplinäre Band versammelt die daraus
hervorgegangenen Beiträge, die Konsequenzen historischer und
aktueller gesellschaftlicher Bedingungen im Feld psychologischer
Tätigkeit auszuloten versuchen. Ausgangspunkt des Kongresses war
die gegenwärtige politische und ökonomische Krise, die die
sozialen, pädagogischen und helfenden Berufe vor immer neue
Herausforderungen stellt und die sich mit den stärker werdenden
sozialen Spannungen unmittelbar auf die praktische Arbeit
auswirkt.
Psychotherapeuten werden, so schreibt Professor Bruder,
Vorsitzender der NGfP, einleitend, mit einer gewissen
Selbstverständlichkeit als die zuständige Instanz für die
»psychischen Folgen« der »sozialen Krankheitsherde« betrachtet.
Ihre Praxis sowie die psychologische Erhellung anderer Berufsfelder
sollten dabei helfen, dass sich Menschen an gesellschaftliche
Belastungen und Veränderungen anpassen. Als Folge gebe es eine der
Psychologie immanente Verleugnung der »äußeren« Bedingungen, unter
denen Menschen leben, aber auch, wie Bruder betont, die politisch
erwünschte Umkehrung, nämlich die Psychologisierung »der
gesellschaftlichen Verhältnisse von Macht und Herrschaft, die
Personalisierung von politischen Ereignissen, Prozessen und
Entscheidungen«. Gegen dieses Verständnis wendet sich die NGfP; es
müsse vielmehr darum gehen, (in der Sprache der Psychoanalyse
ausgedrückt), »das Unbewusste bewusst zu machen«, also das, was der
Disziplin und ihrer Profession als Selbstverständlichkeit
vorausgesetzt ist, in die Reflexion einzubeziehen.
Vom breiten Feld der praktischen oder Forschungsaufgaben, die sich
aus einem solchen Reflexionsprozess ergeben, legt der Sammelband
Zeugnis ab. Er ist grob gegliedert in die beiden Teile
»Gesellschaftliche Anforderungen oder neoliberale Zumutungen« und
»Widerstreit, Perspektiven«, bietet aber, nachdem einführend einige
grundsätzliche Überlegungen zur Gesundheitspolitik und zum
Gesundheitsmarkt (Psychotherapeutengesetz, betriebliches
Gesundheitsmanagement etc.) angestellt werden, im Grunde ein
durchgängiges Panorama gesellschaftlicher Konfliktfälle mit
psychologischer Dimension. Wichtige Themen sind Arbeitslosigkeit,
Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, Verarmung der Bevölkerung,
Arbeitsverwaltung und Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft.
Dabei ist die Bezugnahme auf die wissenschaftlichen Positionen
stark von Sigmund Freud und den Weiterentwicklungen der
Psychoanalyse geprägt.
Die meisten Themen sind hier natürlich für die fachliche Debatte in
der Erwachsenenbildung anschlussfähig. Uwe Findeisen diskutiert
z.B. Erscheinungsweise und Grundlage der modernen Jugendkultur,
also ein Thema, das auch in der Elternbildung eine Rolle spielt.
Ein Beitrag behandelt die Produktion antitürkischer bzw.
-kurdischer Feindbilder, ein weiterer ist aus der
wissenschaftlichen Begleitung von »Präventions- und
Bildungsangeboten für die Einwanderungsgesellschaft«
hervorgegangen. Vanessa Lux widmet einen Aufsatz dem Auftrieb, den
Konzepte eines biologischen Determinismus in der Wissenschaft
erfahren. Hier sei eine Modernisierung festzustellen, die ältere,
primitive Modelle einer Gendetermination zugunsten einer Steuerung
durch physiologisch-neuronale Faktoren aufgebe. Dadurch werde aber
letztlich, was auch aus der Pädagogik, etwa den entsprechenden
Überlegungen zu einer Neurodidaktik, bekannt ist, eine
Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse betrieben.
Johannes Schillo