Rezension zu Philosophie und Handwerk der Supervision (PDF-E-Book)

Paritätischer Rundbrief Oktober 2012

Rezension von Uli Schulte Döinghaus

Vom Gelingen und (lehrreichen) Scheitern der Supervision

Ein aktuell erschienener Sammelband fasst handwerkliche und philosophische Ergebnisse einer Prozedur zusammen, ohne die psychosoziale Arbeit nicht mehr denkbar ist.

Psychosoziales Arbeiten und Supervision – das ist ein Begriffspaar, das unterdessen so selbstverständlich in einem Atemzug genannt wird wie »Hertha« und »zweitklassig«, wie »Renten« und »Krise« oder »Griechenland« und »Euro«. Hauptamtliche wie Freiwillige schlüpfen regelmäßig beim »Supervisor« in die Rolle von »Supervisanden«, damit ihnen ihre Arbeit noch besser von der Hand geht und ihre Dienste von den Kunden, ihren Arbeitgebern, den Kollegen und der Gesellschaft insgesamt noch mehr wertgeschätzt werden.

Von Supervision werden Wunderprozesse erwartet, viele Teilnehmer betrachten dieses Instrument tatsächlich als hilfreich und entlastend für ihre Arbeit, andere winken frustriert ab, wenn sie – die Supervision – angeblich mal wieder nichts anderes gebracht hat als »heiße Luft«. Die geht auch, wenngleich auf hohem Theorieniveau, von dem einen oder anderen der Kapitel aus, die in dem Aufsatzband »Philosophie und Handwerk der Supervision« versammelt sind, der von Wolfgang Weigand vor wenigen Tagen herausgegeben wurde. Weigand, emeritierter Professor für Supervision, Personal und Organisationsentwicklung, ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Supervision und berät mittelständische Unternehmen und Einrichtungen im psychosozialen Feld.

Kampf um Marktanteile läuft ethischen Standards zuwider

Weigand beklagt, stellvertretend für seine Branche, neuerdings einen regelrechten Kampf um Marktanteile, der zu Verhaltensweisen führe, »die den professionellen, sogar ethischen Standards zuwiderlaufen.« Beratungserfolge werden von den Auftraggebern gewünscht, was das Anwachsen von Beratungstechnologien zur Folge hat, die ebendies ermöglichen sollen. Das führe bei Supervisorinnen und Supervisoren zu Professionalisierungsdefiziten. Deshalb sei es an der Zeit, ihnen zu bedenken zu geben, dass ihre Profession nicht nur von der Nachfrage und vom Markt, sondern auch vom vertieften Nachdenken über das eigene Handeln, dem wissenschaftlichen Diskurs und der beruflichen Ethik abhängig sei – auch dafür ist der Sammelband »Philosophie und Handwerk der Supervision« gut geeignet. Supervision findet in einem Spannungsfeld statt, in dem auf immer heftigere sozialen und psychischen Druck mit immer knapperen Mitteln immer professioneller, schneller und zweckorientierter reagiert werden solle, wenn es nach den Organisationen geht, die Supervision in Auftrag geben.

Die Thematik ist oft gleichzeitig die Begrenzung der Supervision

So beklagt der Arzt und Organisationsberater Rudolf Hetzel unter der Überschrift »Die Ökonomisierung psychosozialer Arbeit und ihre Folgen«: Nach ein bis zwei Jahrzehnten um sich greifender Ökonomisierung in der psychosozialen Arbeit zeige sich – etwa in Supervisionen – immer klarer, dass dieser Weg für viele berufliche Akteure erhebliche Risiken, Belastungen und Zumutungen mit sich bringt. Einerseits: »Burn-out, Überforderung, Ziellosigkeit, Depression, Krankheit, Beziehungs- und Vertrauensverlust, Destruktivität: Sie werden zu Themen der Supervision und gleichzeitig gerät die Supervision damit selbst an ihre Grenzen. Was Beratung in solchen Grenzsituationen bewirken und wo sie helfen kann, bedarf einer realistischen Betrachtungsweise.«

Andererseits, so der Supervisor und Coach Prof. Ferdinand Buer: »Die Professionellen, um die sich Supervision kümmert, tragen dazu bei, dass für unsere Gesellschaft zentrale Güter gesichert werden wie: Wohlfahrt, Gesundheit, Bildung, Orientierung, soziale Sicherheit und Wissen.« Insofern sei Supervision unverzichtbar in einem Wohlfahrtsstaat, der seinen Bürgern eine hohe Lebensqualität gewährleisten will.

Die Realität: Supervision findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einem Netz von Interessen und Zielen, deren Konsequenz der Psychologe und Psychoanalytiker Mathias Lohmer so beschreibt: »Man lässt sich beispielsweise von einem Team ›funktionalisieren‹, um die Problematik einer dysfunktionalen Führungsperson bei der vorgesetzten Ebene direkt vorzubringen, statt z.B. das Team darin zu ›coachen‹, wie es mit der Situation umgehen kann.«

Solche Fremd- und Selbstüberschätzungen können dann zu dem führen, was Mathias Hirsch als »Scheitern einer Supervision« aus eigener Erfahrung mit einer sperrigen Supervisionsgruppe, die offenbar dominiert war von einem überdominanten Alphatier, beispielhaft beschreibt: »Hätte ich etwas (anderes) tun können? Beraten, Ratschläge geben, regulieren, anordnen, strukturieren, intervenieren? Ich wollte doch nur sein interessierter Beobachter, Begleiter sein, wohlwollend-neutraler Aufdecker und Interpret der (unbewussten) Dynamik. All das hat aber nicht ausgereicht, den unaufhaltsamen, einer antiken Tragödie gleichenden Ablauf wirksam zu beeinflussen«. Doch weiß der Volksmund: »Aus Schaden wird man klug«, und so erging es auch dem Supervior und seinen Supervisanden: »Andererseits hat die Gruppe und der eine oder andere Einzelne in ihr sicher eine Entwicklung durchlaufen; der Prozess wurde in der Supervision ständig reflektiert, und dadurch wird manch einer der Mitarbeiter auch profitiert haben.«

Der allwissende Schlaumeier hat keine Chancen bei den Supervisanden

Wo die Texte des Sammelbandes an konkreten Fallbeispielen entlang erzählen, sind sie am eindruckvollsten und auch am lehrreichsten – etwa dort, wo es zum Scheitern einer Supervision kam, weil der Supervisor sich als allwissender Schlaumeier gerierte: »Im Verlauf einer Kontraktverhandlung um eine Teamsupervision mit einem Arbeitsteam fragte ich, ob sie denn bereits Supervision gehabt hätten. Ja, sagten sie, die letzte sei vor ein paar Monaten plötzlich beendet worden. Leicht amüsiert und verärgert berichteten sie, der Supervisor habe immer schnell gewusst, bevor sie selbst richtig zu Wort gekommen seien, was sie zu besprechen gehabt hätten und habe das Thema gleich auf der Flip-Chart-Tafel skizziert und ausgiebig erläutert. Nachdem sie ihn bei der Sitzung wegen seines Vorauseilens kritisiert hätten, sei er zum nächsten Termin nicht mehr erschienen und habe seither nichts mehr von sich hören lassen.«

Wolfgang Weigand (Hg.): Philosophie und Handwerk der Supervision. Mit Beiträgen von Michael B. Buchholz, Ferdinand Buer, Marina Gambaroff, Rolf Haubl, Brigitte Hausinger, Rudolf Heltzel, Mathias Hirsch, Michael Klessmann, Mathias Lohmer, Marga Löwer-Hirsch, Winfried Münch, Wolfgang Weigand, Mario Wernado und Beate West-Leuer.

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