Rezension zu Okkulte Ästhetik
parapsychologie.ac.at Newsletter Nr. 48
Rezension von Peter Mulacz
Peter Mulacz
Literaturbesprechungen
6.1
Albert von Schrenck-Notzing – die beiden ersten zu
besprechenden Werke tragen diesen Namen in ihrem Titel und haben
demgemäß auch viele thematische Überschneidungen. Baron Schrenck
(1862–1929) war, wie Sünner, der Schriftleiter der damaligen
»Zeitschrift für Parapsychologie« es ausgedrückt hat, »der Mann,
der unser Führer war« – ein damals noch sehr unschuldiges Vokabel,
das aber die absolut dominierende Position Schrencks in der
deutschsprachigen Parapsychologie dieser Epoche deutlich zum
Ausdruck bringt. Schrenck verdient es wie kein anderer, daß man
sich mit seinem Werk und in diesem Kontext natürlich auch mit
seinem Leben auseinandersetzt. Übrigens sind beide Werke im selben
Verlag erschienen; es ist wohl auch kein Zufall, daß die Biographie
gerade jetzt publiziert worden ist, jährt sich doch Schrencks
Geburt heuer zum 150. Male. Schrenck-Notzing ist nicht nur eine
zentrale Persönlichkeit der Parapsychologiegeschichte, er hat mich
auch persönlich immer sehr interessiert – man verzeihe mir also,
wenn die Rezension des biographischen Bandes sehr ausführlich und
damit recht lang ausgefallen ist.
Nun die beiden Bücher im
einzelnen:
(…)
6.3
Timon L. Kuff: Okkulte Ästhetik. Wunschfiguren des Unbewussten
im Werk von Albert von Schrenck-Notzing
Im selben Verlag wie Dierks oben besprochene Biographie
Schrenck-Notzings ist, bereits 2011, auch diese
bildwissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinem Oeuvre
erschienen. Auch der Gegenstand ist weitgehend derselbe, da viele
Aspekte von Schrencks Biographie zur Sprache kommen. Jedoch sind
sowohl Zielsetzung wie Ausgangspunkt deutlich andere. »Die
vorliegende Arbeit untersuchte die Wechselwirkung von ästhetischer
Theorie, Kunst und unmittelbarer psychischer Forschung gerade im
Hinblick auf ihre versteckten, eben okkulten, Zusammenhänge.«
Während Dierks sich des Urteils enthält, findet man bei Kuff schon
im Vorwort und ohne nähere Begründung Sätze wie: »Der Arzt, der
angetreten war, die Rede vom Übersinnlichen tilgen zu wollen,
schaffte eine fiktive Phänomenologie, die für spätere Künstler eine
reizvolle Fundgrube darstellte« und »Der Versuch, den Fiktionen des
Freiherrn von Schrenck-Notzing auf der Fährte zu bleiben, …«, wobei
das zweimalige »Fiktional« zeigt, daß er den Realitätsanspruch
Schrencks schlichtweg negiert. Das möge aber für diejenigen Leser,
die selbst auf anderem Standpunkt stehen mögen, kein Grund sein,
das Buch gleich aus der Hand zu legen. Nicht nur, daß der Autor
aufzeigt, wie viele Ideen Schrencks aus seiner Zeit als junger Arzt
entscheidenden Einfluß auf seine späteren Experimente mit Medien
hatten, es geht ihm auch und vor allem darum, aufzuzeigen, wie sich
die Erwartungen Schrencks als parapsychologischer Experimentator
bildhaft in den Produktionen seiner Medien (insbesondere bei Eva
C.) niedergeschlagen haben – eine Spielart dessen, was man in der
empirischen Wissenschaft »Versuchsleitereffekt« nennt.
Auch Kuff setzt sich mit der Frühzeit Schrencks als Hypnotiseur
und, mehr noch, als Suggestionstherapeut sowie als Sexualforscher
auseinander. Gerade in letzterem Bereich zeigt Kuff die sehr
traditionellen Wertvorstellungen Schrencks auf, denen dieser aber
in seinem Privatleben nicht folgte, wofür u. a. ein Kapitel über
die Gräfin Reventlow – eine quellenmäßig weit besser erschlossene
Darstellung als die holzschnittartige Vergröberung bei Dierks –
Zeugnis ablegt. Als Kind seiner Zeit war auch Schrenck ein
Vertreter der damals üblichen »Doppelmoral«, die auch heute noch
keineswegs überwunden ist. In dem Kapitel über den Prozeß Czynski
zeigt Kuff auf, wie sehr der Gutachter Schrenck in dem Angeklagten
gewisse Züge seines eigenen Charakters widergespiegelt gesehen
haben mag. Alles in allem kommt Schrenck als Persönlichkeit bei
Kuff nicht allzu gut weg; immer wieder wird er mit mehr oder minder
pejorativen Attributen versehen (z. B. »ein geschickter
Manipulator«, »durchaus eigennützig«, »Halsstarrigkeit«,
»Unaufrichtigkeit«, »Verblendung« usw.); wenig ist von einer
»kritischen Distanz«, dafür mehr von purer Kritik zu sehen.
Die Münchner Kosmiker werden – weiterführend als bei Dierks –
erwähnt, und besonderen Raum nimmt natürlich zunächst die
»Traumtänzerin« ein. Außer den im Wortsinn bildhaften Bezügen
werden viele literarische abgehandelt: hier gleich anschließend der
gleichnamige Roman des Kriminologen Erich Wulffen, später der Roman
von Robert Müller, »Tropen« und schließlich noch ein weiterer
Roman: Paul Madsack »Die metaphysische Wachsfigur« – alles
literarische Werke, über die sich mehr oder minder der Schleier des
Vergessen gebreitet hat.
Eva C. ist natürlich die ergiebigste Versuchsperson für die
Argumentation des Verfassers, deren Richtung schon aus manchen
Kapitelüberschriften erhellt: »die Wunschfiguren und Traumbilder im
physikalische Mediumismus«, »die Materialisationsphänomene als
Collagen und Karikaturen«, »die Innere Performance der Eva C. als
Vorläufer der Körperkunst« und »die Materialisationsphänomene: eine
fiktive Schöpfungsgeschichte«. All dies ist durchaus interessant zu
lesen und er öffnet neue Aspekte, hat aber mit den genuin
parapsychologischen Aspekten wenig zu tun, während hingegen die
permanente Polemik gegen Schrenck sich auf der argumentativen Ebene
der 1920- und 30-iger Jahre bewegt (»Dreimännerbuch«, Mosers
»Okkultismus«, Bruhn »Gelehrte in Hypnose«). Im übrigen wählt Kuff
sehr selektiv aus und behandelt nur einen Teil der von Schrenck
untersuchten Medien und analog dazu nur einen Teil von Schrencks
parapsychologischem Lebenswerk, im wesentlichen arbeitet er sich an
den »Materialisationsphänomenen« ab. Physikalische Phänomene des
Mediumismus, die bildhaft/ästhetisch weniger »hergeben«, aber eher
für die Realität der Phänomene sprechen mögen, fallen unter den
Tisch: das ist zwar angesichts des Titels und der generellen
Fragestellung verständlich, beeinflußt aber in wenig fairer Weise
Kuffs Darstellung von Schrencks Werk in negativer Richtung.
Objektiv falsch ist die Etymologie, die Kuff für Reichenbachs »Od«
anbietet: er leitet dieses Wort ganz frank und frei vom
griechischen »Odos« ab, während Reichenbach selbst, der Schöpfer
dieses Wortes, sich auf den germanischen Gott Odin bezieht. Es
scheint, daß Kuff nur die Sekundärliteratur, nicht aber die
Originale studiert hat.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein Bildnachweis runden
den Band ab; leider fehlen sowohl Personen- wie
Stichwortverzeichnis.
Timon L. Kuff
Okkulte Ästhetik. Wunschfiguren des Unbewussten im Werk von Albert
von Schrenck-Notzing
(zgl. Dissertation Universität Lüneburg 2012)