Rezension zu Sozialpädagogik
HEP Informationen. Berufsverband Heilerziehungspflege in Deutschland 3/2012
Rezension von Ulf-Henning Janssen
Sozialpädagogische Werke
Verlag und Herausgeber haben nun rechtzeitig zum 120. Geburtstag
des Verfassers den vierten Band der Werke Siegfried Bernfelds
aufgelegt. Unter dem Titel »Sozialpädagogik« enthält er Arbeiten
Bernfelds zur Heim- und Fürsorgeerziehung. Im Zentrum steht
naturgemäß seine Schrift »Kinderheim Baumgarten – Bericht über
einen ernsthaften Versuch mit neuer Erziehung« aus dem Jahr 1921.
Gerade dieses Werk ist beeindruckend, spiegelt sich hier doch die
einzige praktische Erfahrung wieder, die Siegfried Bernfeld im
Bereich der institutionalisierten Pädagogik gemacht hat.
Bekanntlich hatte sich ja der Autor nach dem Scheitern dieses
Projekts aus jedweder praktischen Arbeit zurückgezogen, und man
beginnt zu erahnen, warum das so war.
In diesem Band werden zudem zahlreiche weitere Dokumente aus der
Arbeit im Kinderheim wiedergegeben, teilweise in faksimilierter
Form, was die Authentizität erhöht. Natürlich dürfen in diesem Band
auch die eher theoriegeleiteten Abhandlungen zur Jugendfürsorge,
der Anstaltserziehung und speziellen Fragen der Psychologie der
Jugend nicht fehlen. Hierbei stehen Bemerkungen zur
»Sittenlosigkeit«, Verwahrlosung und zur Großstadtjugend im Fokus.
Man merkt allerdings auch diesen Texten an, dass sie unter dem
Eindruck der Praxis entstanden sind.
Hier hat das Kinderheim Baumgarten – mehr noch als in anderen
Werken Bernfelds – bei zahlreichen Überlegungen und Beispielen
unmittelbar Pate gestanden. Es sind dies somit möglicherweise die
ausdrucksstärksten aber auch beeindruckendsten Texte aus der Feder
Bernfelds, verbindet er in diesen Werken doch seine theoretischen
Fundamente der Reformpädagogik, der spezifisch jüdischen
Erziehung, des Marxismus sowie der Psychoanalyse mit der von ihm
ge- und erlebten Praxis im Kinderheim Baumgarten. Die Lektüre
lohnt, weisen die Texte doch in eine Zeit hinein, die durch immense
wirtschaftliche und soziale Nöte so unmittelbar nach dem ersten
Weltkrieg geprägt war. Damit ergibt sich für den historisch
interessierten Leser ein authentisches Bild der sozialen
Wirklichkeit jener Zeit. Nicht nebenbei wirft Bernfeld allerdings
auch Fragen auf, die aus heutiger Sicht als nach wie vor ebenso
aktuell wie ungelöst bezeichnet werden müssen.
Es geht beispielsweise um die Frage, ob es möglicherweise Kinder
und Jugendliche gibt, an denen die klassische Heimerziehung
scheitern muss, weshalb andere Formen der Betreuung und Erziehung
gefunden werden müssten. Unwillkürlich drängt sich dem heutigen
Leser die nach wie vor nicht beendete Diskussion um geschlossene
sozialtherapeutische Einrichtungen auf. Nicht weniger modern sind
seine Feststellungen zum Verhältnis des Einrichtungsträgers zu
»seinen« Pädagogen. Wenn der heutige Leser über manch harsche
Formulierung schmunzeln muss, dann, weil ihm klar wird, dass sich
in den letzten 90 Jahren offenbar so rein gar nichts geändert hat.
Gerade diese Abschnitte möchte man so manchem Trägervertreter zum
Lesen und Nachdenken geben, es könnte sich dann durchaus etwas
bewegen und der Pädagoge an der Basis würde auf etwas mehr
Verständnis für seine schwierige Arbeit hoffen können. Ein
rundherum gelungener Band zur Edition von Bernfelds Gesamtwerk
also. Der sozialgeschichtlich interessierte Leser wird hier ebenso
reizvolles Quellenmaterial finden, wie der Pädagoge auf den Spuren
der Heimerziehung vergangener Tage. Und wer weiß, vielleicht findet
das Buch ja auch seinen Weg auf den ein oder anderen Tisch von
Einrichtungsträgern, Bernfelds Wirken wäre dann sogar an dieser
Stelle nicht vergebens gewesen.
Siegfried Bernfeld: Sozialpädagogik. Werke
www.berufsverband-hep.de