Rezension zu Migration und Trauma

SGIPA Aktuell (Schweizer Gesellschaft für Individualpsychologie nach Alfred Adler), September 2012

Rezension von Jürg Frick

Migration und Trauma. Pädagogisches Verstehen und Handeln in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen

Der Autor, Sonderpädagoge und in der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen sowie in der Beratung junger Flüchtlinge erfahren, zeigt uns in seinem lesenswerten wie lehrreichen Buch, wie das Leben zwangsemigrierter Jugendlicher durch extreme Belastungen gekennzeichnet ist und gefördert werden kann. In seiner Untersuchung verbindet er bisher voneinander separierte Forschungsbereiche der Psychotraumatologie, der Migrationsforschung sowie der Pädagogik. Auswirkungen von Kriegserfahrungen und gestörte familiäre Interaktionen im Exil untersucht der Autor ausführlich anhand von sechs konkreten, anonymisierten Fallbeispielen in seiner genauen Analyse.

Im theoretischen Teil (Migration und Trauma) führt er die Theorie der sequenziellen Traumatisierung (Keilson 1979/Becker 2006) ein und beleuchtet, was das für die Migrierten – hier besonders die Kinder und Jugendlichen – bedeutet. Dies wird im dritten Teil konsequent näher beleuchtet: etwa die Trennung von primären Bezugspersonen, Interaktions- wie transgenerationale Aspekte, aber auch die schulische Situation mit – meistens – ungünstigen rechtlichen Rahmenbedingungen (ungesicherter Aufenthaltsstatus) und häufig entsprechend problematischen Folgen für die MigrantInnen. Für die Schule wäre es besonders wichtig, die lebensgeschichtlichen Erfahrungen dieser jungen Menschen sehr ernst zu nehmen und zumindest temporär in das Zentrum pädagogischer Tätigkeit zu stellen: da ist besonders feinfühlige Beziehungsarbeit in übersichtlichen Gruppen zu erwähnen.

Hier könnte die Schule als wichtiger, sicherer Ort quasi eine therapeutische Wirkung zeigen. Zimmermann bezeichnet dies treffend als haltenden Rahmen in einer brüchigen Lebenswelt.

Weitere Themen werden aus unterschiedlichen Perspektiven ausgeleuchtet wie etwa die Zwangsemigration als traumatischer Prozess, freiwillige und erzwungene Emigration oder unsichere Gegenwarts- und Zukunftsperspektiven als Bedingungsfeld für die Chronifizierung traumatischen Erlebens, die Entwertung bzw. Idealisierung der kulturellen Bezugssysteme (Herkunftsland, Aufenthaltsland) jugendlicher MigrantInnen, institutionelle Diskriminierung durch die Schule, häufig überforderne ›Aufträge‹ der Eltern an ihre Kinder (akademische Ausbildung). In einer eigenen qualitativen Untersuchung (Forschungsdesign: tiefenhermeneutisch-qualitativer Zugang) beeindrucken die kommentierten sechs Einzelfalldarstellungen.

Zimmermann plädiert konsequent und explizit parteilich für ein am Individuum orientierten Verstehen und Unterstützen. Wenig erstaunlich deshalb, dass der Autor – durchaus zu Recht – die rein individuumszentrierte Diagnostik der posttraumatischen Belastungsstörung kritisiert.

Schade, dass Zimmermann gelegentlich immer noch den veralteten psychoanalytischen Begriff Aggressionstrieb verwendet. Das Buch ist besonders Lehrpersonen, die Migranten-Kinder bzw. Jugendliche in der Schule haben, zu empfehlen.

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