Rezension zu Die Selbstverbesserung des Menschen

Analytische Psychologie. Zeitschrift für Psychotherapie und Psychoanalyse

Rezension von Robert C. Ware

Ada Borkenhagen, Elmar Brähler (Hrsg.): »Die Selbstverbesserung des Menschen: Wunschmedizin und Enhancement aus medizinpsychologischer Perspektive«

Zwölf Aufsätze namhafter Fachwissenschaftler stellen neue Formen von Körperselbsttechniken (»body modifications«) und der psychophysischen Steigerung von körperlichen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten durch Medikamente und Neurotechnologien dar. Grundlegenden Überlegungen über Enhancement (Optimierung) als »wunscherfüllende« Medizin (M. Kettner) sowie dem »Versuch einer ethischen Einordnung« (J. S. Ach, B. Lüttenberg) folgen Kapitel über:

- Eingriffe ins Gehirn am Beispiel der Tiefenhirnstimulation bei Morbus Parkinson (U. Bittner);
- Psychopharmakologische Enhancements in der »Dienstleistungsmedizin« (R. Haubl);
- Psychostimulanzien, insbesondere in der Behandlung von ADHS (G. Glaeske);
- Neuro-Enhancement von kognitiver Leistung, Motivation oder Stimmung bei ADHS, Parkinson, Depressionen, Demenzerkrankungen u. a. (L. D. Seeber, D. Repantis);
- Dopingrisiken im Leistungssport (A. Singler);
- Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik (A. Borkenhagen, H. Kentenich);
- Reproduktionsmedizinischer Auslands-»Tourismus« (S. Janke);
- Schönheitschirurgie »simply to look done« (A. Borkenhagen, E. Brähler);
- Psychosoziale Aspekte der chirurgischen Korrektur fazialer Dysmorphien (N. C. Pausch u. a.);
- Tätowierungen, Piercings und Körperhaarentfernung (D. Hofmeister u. a.).

Beispielsweise untersucht Gerd Glaeske die exorbitante Zunahme des Gebrauchs von Psychostimulanzien wie insbesondere Methylphenidat (RitaIin). Nach Antidepressiva, Neuroleptika und Tranquillantien stellen »Psychostimulanzien« die viertgrößte Gruppe von verschriebenen Psychopharmaka dar, deren Wirkung, Nebenwirkungen, Indikation und Dosierung zum Teil höchst fragwürdig erscheinen. Sorgfältige Verlaufskontrollen finden selten statt, gravierende Nebenwirkungen (u. a. Tics, Halluzinationen, plötzliche Todesfälle) werden überspielt, Missbrauch über das Internet sorgt für hohe Dunkelziffern.

Am deutlichsten wird die potenzielle gesellschaftliche und ethische Missbrauchsproblematik in der Arbeit von Andreas Singler zur Geschichte von Sportdoping in Deutschland aufgezeigt, wo die kollusive, ja subversive Zusammenarbeit von Pharmaindustrie, Sportpolitik und Sportmedizin »Unschädlichkeitsmythen« propagierte, die jegliche Wissenschaftlichkeit pervertierten.

Die Möglichkeiten des Eingreifens in die menschliche Natur mittels neurotechnologischen, chirurgischen und psychopharmakologischen Enhancements zur Heilung krankhafter Zustände, zur Optimierung kognitiver und emotionaler Fähigkeiten oder gar im Sinne gesellschaftlicher Modeerscheinungen sind vielfältig und genießen zum Teil große Beliebtheit. Schlagwörter wie Wellness, Gehirndoping und Anti-Aging sind in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig. So ist die Einnahme leistungssteigernder oder den Alterungsprozess aufhaltender Mittel für viele Menschen bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die kontinuierliche Verbesserung des eigenen Selbst bzw. Körpers droht zu einem neuen moralischen Imperativ postmoderner Gesellschaften zu werden. Die überwiegend deskriptiven Aussagen der vorliegenden Sammlung sind eine hervorragende Einführung in die Problematik der sogenannten »Selbstverbesserung der Menschen«. Das leicht verständliche Buch empfiehlt sich nicht nur dem medizinisch und psychologisch/psychotherapeutisch ausgebildeten Leser, sondern dient der Information und Orientierung eines weiteren Publikums.

Robert C. Ware, Kohlberg

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