Rezension zu Mimik in der Psychotherapie

Psychoanalyse und Körper 2/2012

Rezension von Peter Geißler

Rasting, M. (2008): Mimik in der Psychotherapie. Die Bedeutung der mimischen Interaktion im Erstgespräch für den Therapieerfolg.

Mittlerweile scheint psychotherapieschulenübergreifend unumstritten, dass der nonverbalen Kommunikation im therapeutischen Geschehen, sowohl theoretisch als auch im praktischen Handeln, eine überragende Rolle zukommt. Jedoch stehen der Betonung des nonverbalen Geschehens relativ wenige empirisch gesicherte Erkenntnisse gegenüber. Die Gründe liegen einerseits in der Komplexität der nonverbalen Kommunikation und andererseits in der grundsätzlichen Schwierigkeit, Lebendiges, d.h. Prozesshaftes, sich unentwegt im Fluss befindliches Geschehen auch nur einigermaßen zuverlässig mithilfe kategorisierender empirischer Analyseverfahren darstellen zu können. Im Zentrum der Erforschung diesbezüglich wichtiger Aspekte stehen wohl seit einiger Zeit die Affekte und innerhalb der Psychotherapieforschung affektive Komponenten, wie sie sich in der Gesichtsmimik wiederspiegeln. An wichtigen Namen sind diesbezüglich z.B. Ekman und Friesen mit ihrem »facial action coding system« (FACS) bzw. der Weiterentwicklung EmFACS zu nennen sowie im deutschen Sprachraum die Forschergruppe um Rainer Krause. Untersucht werden dabei die folgenden Basisemotionen, die in kulturübergreifenden Studien von Ekman und Friesen als jene identifiziert wurden, die trotz kultureller Unterschiede im mimischen Ausdrucksverhalten als charakteristisch für bestimmte Emotionen erkannt wurden – der hedonische Affekt Freude (einschließlich sozialem Lächeln), die submissiven Affekte Trauer und Angst und die aggressiven Affekte Ärger, Verachtung und Ekel.

Zu bemerken wäre, dass sich hinsichtlich der Entwicklungspsychologie der Primäraffekte drei unterschiedliche Richtungen in der Literatur unterscheiden lassen. Die erste Richtung – darunter Krause – sieht in Affekten überwiegend biologische Prozesse, die bereits ohne extrauterine Erfahrung verstanden werden. Affekte rufen, wenn sie bei einem Gegenüber sicht- oder hörbar werden, ganz ungewollt spezifische Wirkungen hervor, entweder im Sinne einer Affektansteckung (Trauer löst Trauer aus), oder im Sinne komplementärer Reaktionen (Wut löst Angst aus). Affekte sind dieser Ansicht nach multimodal organisierte Systeme, deren einzelne Bausteine mit denjenigen der Sozialpartner in einem organisierten Zusammenspiel funktionieren. Mindestens fünf Module im Sinne fixer »Vorverdrahtungen« sind unterscheidbar: 1. Ein expressives Modul, das die Körperperipherie mit Gesichtsausdrücken und Vokalisierungen in der Stimme steuert. Es hat vorwiegend Signalfunktion im Dienste der Beziehungssteuerung und kennt einen Satz an phylogenetisch vermittelten qualitativ unterschiedlichen Prototypen – die Primäraffekte. 2. Ein physiologisches Modul, das die Aktivierung oder Deaktivierung des autonomen und endokrinen Systems steuert und innere Handlungsbereitschaft herstellt. 3. Ein Modul, das Verhaltensanbahnungen in der Skelettmuskulatur und in der Körperhaltung steuert. Es handelt sich um eine körperlich sichtbare Form der Intentionalitätsherstellung, die eine Schlussfolgerung erlaubt, aber keine eigene Symbolfunktion wie der expressive Signalanteil auf die mögliche Handlung hat. 4. Ein eigenes Modul zur Wahrnehmung der körperlichen Module. Die damit verbundenen Vorgänge werden Interozeption genannt. 5. Ein Modul zur bewussten Wahrnehmung des Affekts als inneres Bild und als spezifische situative Bedeutung der Welt und Objekte. Es existieren kulturübergreifende affektspezifische prototypische Formen der Weltsicht, die man als Propositionen oder Episoden beschreiben kann.

Die zweite Richtung – repräsentiert durch z.B. Greenspan, Shanker und Fogel –, die sich stark an der an Bedeutung gewinnenden dynamischen Systemtheorie orientiert, geht weder bei Affekten noch bei der Sprache von modularen »Vorverdrahtungen« aus, sondern sieht in Affekten an der Grenze zwischen Biologie und Kultur angesiedelte Prozesse, die beim Menschen seit über einer Million Jahren von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Affekte sind aus dieser Perspektive nur im Kontext des Menschen als ultrasoziales Wesen zu verstehen, und das Überleben der Menschheit in ihrer Evolution hing von ihrer Fähigkeit zum emotionalen Lernen ab, welches der pränatal-psychologischen Forschung zufolge bereits im Mutterleib, also lange vor der Geburt beginnt. Die wesentlichen und kulturell bedeutsamen Lernprozesse sind dabei angeschlossen, bevor Kinder sprechen lernen. Sie haben bis dahin längst alle kulturell bedeutsamen Regeln erfasst, und dazu gehört das über die Primäraffekte vermittelte Beziehungswissen.

Die dritte, bislang am wenigsten zur Kenntnis genommene Richtung siedelt die Entstehung von zumindest einigen Primäraffekten in der vorgeburtlichen Lebensperiode an. Auf der Basis der Analyse des fetalen Bewegungsverhaltens mittels moderner technischer Verfahren werden dem Föten selbstinitiierte, spontane Bewegungen als Ausdruck von Interesse, Bedürfnis und Persönlichkeit zugeschrieben. Bewegungen in Reaktion auf äußere Einflüsse enthüllen eine überraschende Sensibilität und Bewusstheit, und interaktive Bewegungen zeugen von der Fähigkeit zur Mitgestaltung sozialer Beziehungen; sie sind um Affekte, Lernen und Gedächtnis herum organisiert. Föten sind dieser Perspektive zufolge fühlende Wesen, die aus Erfahrung lernen, und die vorgeburtliche Lebensperiode wird als die eigentlich prägende Lebensperiode angesehen, die die Art und Weise formt, wie Menschen fühlen, denken und an das Leben herangehen. An Namen sind hier beispielsweise Janus, Chamberlain und Emerson zu nennen. Der Autor des vorliegenden Buches ist wohl am ehesten der ersten Gruppe um Rainer Krause zuzurechnen.

Freude ist ein Telekommunikationsmittel für freundliche Absichten. Der Mund ist seitlich-oben hochgezogen und die Ringmuskeln um die Augen sind aktiviert, sodass kleine Falten an den Augenaußenrändern entstehen (»Krähenfüße«). Beim sozialen Lächeln fehlt die Involvierung der Augenringmuskulatur, das Gesicht wirkt dadurch etwas neutraler. Entsteht dennoch eine Faltenbildung im Augenbereich, dann stammt sie von einer Aktivierung der Wangenmuskulatur und nicht der Augenringmuskeln.

Ärger kündigt aggressive Handlungen innerhalb der Beziehung an. Das Oberlid ist hochgezogen, sodass das Augenweiß sichtbar wird, das Unterlid befindet sich in Spannung und verdeckt einen Teil der Pupille. Oft sind auch die Augenbrauen hochgezogen, sodass zwischen den Augen Falten entstehen. Der Mund ist gespannt, die Lippen sind verschmälert.

Ekel meint »bleib weg von mir«, ist also ein Signal, das gegen das Aufkommen von Nähe gerichtet ist. Die Oberlippe wird außen nach oben gezogen, die Nasolabialfalte vertieft sich. Im Unterschied zum Ärger wird das Oberlid nicht hochgezogen.

Verachtung soll Überlegenheit und den Wunsch nach Distanz ausdrücken und drückt sich mimisch etwas unterschiedlich aus. Oft wird einer der beiden Mundwinkel bei sonst entspannter Mimik gehoben und zugleich nach innen gedreht, teilweise kombiniert mit Lächeln.

Überraschung (von einigen Autoren Interesse oder auch Neugier genannt) ist eine Bereitstellungsreaktion angesichts von Neuem und kündigt Empfangsbereitschaft an. Dieser Affekt ist keiner der drei Affektklassen (hedonisch, submissiv, aggressiv) zuzurechnen, sondern initiiert als informationsverarbeitender Affekt in ähnlicher Weise wie Neugier und Interesse die Frage, wie das Objekt ist, bevor es zu einer Klassifikation kommt. Die Augenbrauen werden angehoben, wodurch Stirnfalten entstehen. Die Augenöffnung ist vergrößert, der Mund ist oft geöffnet.

Angst hat mimisch Ähnlichkeiten mit Überraschung und tritt ein, wenn sich Neues als bedrohlich herausstellt. Die Augen sind ebenfalls weit geöffnet, der Mund ist aber nach außen/unten/hinten gezogen, wodurch besonders in der Unterlippe eine Spannung entsteht.

Trauer zeigt mimisch im Mundbereich Ähnlichkeiten zur Angst, unterscheidet sich jedoch in der Augenpartie. Zwischen den Augen kommt es zu einer typischen Faltenbildung auf Stirn und Nasenwurzel. Die Augenbrauen werden zur Mitte hinaufgezogen, wodurch eine typische Dreiecksbildung der Augenpartie entsteht. Beim Trauermund sind die Mundwinkel nach unten gezogen, oftmals verstärkt durch ein leichtes Heben von Kinn und Unterlippe. In dieser Partie kündigt sich Weinen an.

Alle an den Basisemotionen in charakteristischer Weise beteiligten Gesichtsmuskeln lassen sich mithilfe von EmFACS eindeutig zuordnen. Marcus Rasting, der Autor des vorliegenden Buches, erhielt dort ein zweiwöchiges Training in der EmFACS-Kodierung. Aus Erstgesprächen mit Patienten wurden die ersten zehn und die letzten fünf Minuten jedes Interviews systematisch analysiert und getrennt nach Patient und Therapeut ausgewertet. Als Datenbasis dienten Ausnahmeinterviews und Verlaufsdaten einer vierwöchigen stationären Krisenintervention. Die Erstinterviews wurden so aufgezeichnet, dass sowohl die Mimik des Patienten als auch die des Therapeuten in einem Blick sichtbar wurden (split-screen-Modus) und später einer Analyse mit EmFACS unterzogen werden konnten. Im Anschluss an das Erstinterview beschrieben Therapeut und Patient ihr affektives Erleben während des Interviews. Nach Abschluss der stationären Psychotherapie wurde anhand eines Prä-Post-Vergleichs der Symptombelastung der Erfolg bzw. Misserfolg bestimmt. Es wurde eine Stichprobe erstellt, in welche je fünf erfolgreiche und fünf nicht erfolgreiche Patienten von zwei Therapeuten, insgesamt also 20 Patienten, aufgenommen wurden. 15 Minuten des Interviews dieser Patienten wurden hinsichtlich der Mimik sowohl der Patienten als auch der Therapeuten mit dem EmFACS ausgewertet und in Beziehung gesetzt zum affektiven Erleben in Interview sowie dem Erfolg der Therapie.

Es kann an dieser Stelle nur ein begrenzter Einblick in diese sehr aufschlussreiche Studie gegeben werden. Mimische Affektzeichen kommen, dies zeigte die Studie eindeutig, in ausreichender Häufigkeit vor, d.h. mithilfe mimischer Affektzeichen findet eine Regulation der therapeutischen Beziehung statt, wobei Patienten generell mehr mimische Affektzeichen zeigen als Therapeuten. Sowohl Therapeuten als auch Patienten zeigen mimische Affektzeichen vorwiegend dann, wenn sie sprechen und den Interaktionspartner anblicken. Daraus kann im Hinblick auf den Referenzpunkt des jeweiligen Zeichens geschlossen werden, dass mimische Signale weniger dem emotionalen Ausdruck dienen (Zeichen für innere affektive Zustände), sondern in viel stärkerem Maße mit einer Symbol- (Zeichen für kognitiv repräsentierte Gegenstände oder Sachverhalte) und Appellfunktion (Zeichen für eine Veränderung der Beziehung zum Empfänger) in Verbindung stehen.

Das heißt, mimische Affektzeichen werden regulativ und symbolisch verwendet. Zwischen dem affektiven Erleben und den gezeigten Affektzeichen besteht kein statistisch signifikanter Zusammenhang, mit Ausnahme hedonischer Zeichen des Patienten. Verschiedene Formen des Lächelns korrelieren in der Studie mit berichtetem Erleben von Freude bei Patienten. Diese Zeichen haben außerdem einen Einfluss auf den Interaktionspartner im Sinne eines verstärken gemeinsamen Freudeerlebens und eines verminderten Erlebens aggressiver und submissiver Affekte auf Seite des Therapeuten. Auf dieser Ebene kann man von einer interaktionellen Regulation des affektiven Erlebens sprechen.

In der Studie wurde der Frage nachgegangen, ob bestimmte Muster des affektiven Austausches die Vorhersage eines negativen Therapieausganges erlauben. Bezeichnenderweise erwiesen sich dabei Parameter, die das Interaktionsverhalten sowohl des Therapeuten als auch des Patienten berücksichtigen, im Vergleich zu individuellen Merkmalen überlegen. Ein negativer Therapieausgang konnte mit 75prozentiger Wahrscheinlichkeit durch bestimmte affektive Muster vorausgesagt werden. Diese Muster bestehen in einer Anpassung des Therapeuten an das mimische Interaktionsangebot des Patienten, wodurch eine Interaktion entsteht, die durch ein Überwiegen des gleichen mimischen Affektzeichens bei Patient und Therapeut, einem sog. reziproken dyadischen Leitaffekt, gekennzeichnet ist. Besonders ungünstig erwiesen sich hierbei Patient-Therapeut-Dyaden, in welchen sowohl der Therapeut als auch der Patient überwiegend hedonische Affektzeichen zeigte, d.h. verschiedene Varianten des sozialen Lächelns.

Im Hinblick auf die Wirkmächtigkeit von Emotionen zeigten sich große Unterschiede. Hedonische Affektzeichen erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines mimischen Affektzeichens, insbesondere eines reziproken, beim Interaktionspartner, submissive und aggressive Affektzeichen hingegen vermindern sie.

Als Schlussfolgerung diskutiert der Autor drei unterschiedliche Formen therapeutischer Abstinenz. Im Sinne einer generellen Abstinenzhypothese wäre jede Form interaktioneller Verwicklung zu vermeiden, im Sinne einer spezifischen Abstinenzhypothese die Verwicklung in dominante mimische Muster des Patienten, und im Sinne einer Substitutionshypothese sollte das dominante mimische Angebot des Patienten, das eine maladaptive Bewertung ausdrückt, durch adäquate mimische Affektzeichen aufseiten des Therapeuten ersetzt werden; ob dies eine realistische Möglichkeit angesichts der Tatsache, dass sich der Therapeut seiner mimischen Signale über weite Strecken nicht bewusst ist, darstellt, könnte man diskutieren, ebenso wie die Frage, ob eine verstärkte Wahrnehmung im Hinblick auf körperliche Signale, wie sie in verschiedenen körpertherapeutischen Verfahren teilweise systematisch geübt wird, die diesbezüglichen Chancen tatsächlich verbessert.

Jedenfalls ist dem Autor für diese kompakte und in verständlicher Sprache dargestellte Studie zu danken. Sie ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Psychotherapeuten verschiedenster Schulenzugehörigkeit von einer empirisch-statistischen Studie profitieren und praxisrelevante Anregungen gewinnen können. Für die künftige empirische Erforschung analytischer Körperpsychotherapie ist zu hoffen, dass es eines Tages eine Kodierungsform geben wird, die sehr viel mehr körperliche Affektsignale als nur die Mimik des Patienten und des Therapeuten einschließt. Kritisch wäre anzumerken, dass die Studie nahe legen könnte, gemeinsam geteilte positive Affekte wären grundsätzlich therapeutisch kontraproduktiv. Dies ist auch deswegen unwahrscheinlich, weil das gemeinsame Erleben positiver Spitzenaffekte nach Beebe und Lachmann eines der drei wesentlichen präverbalen interaktiven Organisationsprinzipien darstellt, und zwar sowohl innerhalb der frühen Interaktion zwischen dem Baby und seinen Sozialpartnern als auch innerhalb der therapeutischen Interaktion. Aus intersubjektiv-relationaler Perspektive wäre demnach eine differenzierte Unterscheidung zwischen therapeutisch fruchtbaren hedonischen Mustern (z.B. im Sinne eines gemeinsamen Erlebens von Freude angesichts eines therapeutischen Fortschritts) und unfruchtbaren Mustern, wie sie in dieser Studie dargelegt werden, künftig wichtig und notwendig.

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