Rezension zu Soziale Psychotherapie als Klinische Sozialarbeit

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Rezension von Prof. Dr. Margret Dörr

Dario Deloie: Soziale Psychotherapie als Klinische Sozialarbeit

Thema und Entstehungshintergrund
Die kontroverse Diskussion um den Gegenstand und die Methoden einer Klinischen Sozialarbeit ist in der akademischen Auseinandersetzung keineswegs beigelegt. Zwar haben sich in der Zwischenzeit erste Konturen herausgebildet und sich Masterstudiengänge etabliert, dennoch ist die Frage, was denn unter diesem Terminus »Klinisch« im Kontext der Sozialen Arbeit inhaltlich verstanden werden soll, nach wie vor nicht überzeugend beantwortet. So gibt es diverse Modelle »Klinischer Sozialarbeit«, die in unterschiedlicher Fokussierung in ihren wissenschaftstheoretischen, praxeologischen und berufsbezogenen Gehalten Plausibilität beanspruchen. Diesen Plausibilitätsanstrengungen fügt Deloie mit seiner Veröffentlichung, die in Koblenz als Masterarbeit eingereicht wurde, eine weitere Teil-Version hinzu, in dem er dezidiert versucht, Soziale Psychotherapie als Klinische Sozialarbeit zu konzipieren.

Autor
Dario Deloie, M.A., ist Fachsozialarbeiter für Klinische Sozialarbeit (ZKS) und absolvierte eine Weiterbildung in Integrativer Therapie/Gestaltpsychotherapie am Fritz Perls Institut in Hückeswagen. Nachdem er in einer sozialpsychiatrischen Einrichtung tätig war, arbeitet er nun als Suchttherapeut in der medizinischen Rehabilitation. Er leitet eine Entwöhnungsstation für alkohol- und medikamentenabhängig erkrankte Menschen.

Aufbau und Inhalt
Die vorliegende Monographie ist in drei unterschiedlich gewichtete Abschnitte unterteilt.

Teil I: »Historischer Kontext Sozialer Psychotherapie« (23–69)
Teil II: »Klinische Sozialarbeit als Basis Sozialer Psychotherapie« (73–90)
Teil III: »Soziale Psychotherapie als Wissenschaft« (93–225)

Teil I.: Nach einer Einleitung, die eine »Annäherung an den Begriff der Sozialen Psychotherapie« formuliert, zeichnet der Autor ausgewählte Traditionslinien einer psychotherapeutischen Sozialarbeit in den USA nach. Dabei nimmt er als erstes Bezug auf die Arbeiten von Mary Richmond, deren »Social Diagnosis und Social Therapy« durch ihre soziologische Ausrichtung, besonders der »Chicagoer Schule« und der »Settlement Bewegung«, beeinflusst war. Entsprechend sah sie die sozialen Problemlagen der Menschen hauptsächlich im Zusammenhang sozioökonomischer und milieuspezifischer Faktoren. Gleichwohl sieht Deloie Mary Richmond als wesentliche Wegbereiterin einer psychotherapeutischen Sozialarbeit. Als weitere Linie thematisiert er die »Diagnostik School«, die namentlich insbesondere mit Gordan Hamilton verbunden ist und die maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass die psychoanalytischen Ideen – (noch nicht durch die Medicalisierung der Psychoanalyse verkürzt, M. D.) – von den amerikanischen Sozialarbeiterinnen aufgegriffen wurden. Nachdem der Autor die »Psychosocial Therapy« von Florence Hollis skizziert hat, die er ausdrücklich als Fortentwicklung der Diagnostic School bezeichnet, referiert er über die »zweite große ›Schule‹ des Casework« (32) in den USA: die »Functional School«, deren rasante Entwicklung auch der Wirtschaftskrise Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre und der damit verbundenen ökonomisch begründeten Qualitätssicherungsforderungen geschuldet war. Hierbei hebt er insbesondere die »(H)ohe Kompatibilität der Grundannahmen der Humanistischen Psychologie und der Sozialen Arbeit« (34) hervor, eine Nähe, die er auch für die unkritische Übernahme diverser therapeutischer Methoden in der Sozialen Arbeit in Deutschland verantwortlich zeichnet. Anschließend benennt der Autor den »Problem-Solving-Approach«, der insbesondere auf Helen Harris Perlmanns Überlegungen (1982) basiert und als ein Versuch der Synthetisierung der Diagnostic School und der Functional School begriffen wird. Als weitere theoretische Hauptströmung des Casework thematisiert der Autor den verhaltenstherapeutischen Ansatz des Casework (Socio-Behaviorial-Approach), wodurch das Verhalten und dessen Modifizierung – unter der ›Person-in-Enviroment‹ – in den Aufmerksamkeitshorizont einer Praxis Sozialer Arbeit geriet. Aufbauend auf diesem ersten Abschnitt vergleicht Deloie diese amerikanischen Casework-Ansätze aus einer therapeutischen Perspektive und stellt seine Auffassung der Traditionslinien (psycho)therapeutischer Sozialarbeit in einer übersichtlichen Synopse dar.

Die »Historie der (psycho)therapeutischen Sozialarbeit in Deutschland« (48) skizziert der Autor entlang der Gliederungspunkte: »Alice Salomon (Soziale Diagnose und Therapie)«, der Pionierin der deutschen Sozialarbeit; des Verhältnisses der »Sozialen Arbeit und Psychoanalyse« mit einer Benennung von Siddy Wronsky und Arthur Kronfeld, (die trotz des aufkommenden Nationalsozialismus in den 1930er Jahren in ihrem psychoanalytisch orientiertem Denken eine starke Betonung von Milieu, Umwelt und Vorbeugung – statt ›Erbgut‹ – formulierten, M.D.). Für die 1960er Jahre findet der in Amerika zum Sozialarbeiter und Familientherapeuten ausgebildete Ernst Federn Erwähnung, der insbesondere die Arbeiten von August Aichhorn (neben anderen für eine kritische Soziale Arbeit relevanten Autoren, z.B. Siegfried Bernfeld, M.D.) in Deutschland neu bekannt gemacht hat. In weiteren Gliederungspunkten wird die bereits skizzierte »Rezeption der amerikanischen Einzelfallhilfe im Nachkriegsdeutschland« thematisiert, sodann die »›Therapeutisierung‹ der Sozialen Arbeit« seit den 1970er Jahren, die aufgrund ihrer mangelnden theoretischen und praktischen Rückbindung an die Soziale Arbeit heftig kritisiert wurde. Auch in diesem Zusammenhang hebt der Autor die hohe Kompatibilität zwischen Konzepten aus der Humanistischen Psychologie und der Klinischen Sozialarbeit hervor, die für eine Soziale Psychotherapie bedeutsam sei. Als weiteren historischen Strang nennt Deloie die »Suchttherapie und Kinder- und Jugendpsychotherapie« als spezielle sozial-therapeutische Arbeitsfelder, denen er einen Einfluss auf die Entwicklung der derzeitigen »Klinischen Sozialarbeit in Deutschland« zuerkennt. Dabei hebt er neben der Ausrichtung an ein bio-psycho-soziales Modell von Gesundheit und Krankheit auch die Ressourcenorientierung in ihrer Relevanz für die Soziale Psychotherapie hervor. Im nächsten Abschnitt formuliert der Verfasser eine »(t)entativ zusammenfassende Darstellung der deutschen therapeutischen Sozialarbeit« und endet mit einem kurzen Abschnitt zu »(Psycho-)Therapie als historisch gewachsene Methode der Sozialen Arbeit«. Darin referiert er zwar in knapper Weise einige Kritikpunkte an eine damit gepaarten »Individualisierung der Sozialen Arbeit«, verteidigt aber diese Perspektive im Hinblick auf eine notwendige sozialarbeiterische Behandlung so genannter »Hard-to-reach«-Adressaten, ohne diese Benennung näher auszuleuchten.

Teil zwei der Monographie versucht die neue Fachsozialarbeit »Klinische Sozialarbeit« als Basis Sozialer Psychotherapie zu begründen. Im Fokus stehen unterschiedliche Modelle und Konzepte der Klinischen Sozialarbeit, die sich seit den 1990er Jahren in Deutschland entwickelt haben. Neben Hans Ulrich Senftleben (Klinische Sozialarbeit als Krankhenhaussozialarbeit) findet Robert J. Feinbier mit seiner Erweiterung der Kliniksozialarbeit in Richtung der Dimension »gesundheitsrelevantes abweichendes Verhalten« Erwähnung. Des Weiteren wird »Beratung als zentrales Merkmal der Klinischen Sozialarbeit« hervorgehoben, indem die differenten Fokussierungen einer Klinischen Sozialarbeit (KS): Harald Ansen (»KS und Soziale Beratung«); Heinz Alex Schaub (»KS und Soziale Ungleichheit«) sowie Wolf Crefeld (»KS als Psychosoziale Beratung«) skizziert und in ihrer Relevanz für eine Fachsozialarbeit gewürdigt werden. Im folgenden Abschnitt wird Klinische Sozialarbeit explizit als »behandelnde therapeutische Sozialarbeit« ausgewiesen, womit der Anspruch verbunden ist, eine Leerstelle in Hinblick auf eine »eigene Methodik« innerhalb der Klinischen Sozialarbeit zu füllen: hierzu benennt Deloie den Entwurf »Sozialarbeit als Therapie« von Ulrich Binner und Karlheinz Ortmann, die in ihren Überlegungen die Sozialtherapie als zentrale Interventionsstrategie der Klinischen Sozialarbeit konzeptualisiert haben. Ebenso wird das Modell von Helmut Pauls (»KS als psycho-soziale Behandlung«), in seinen wesentlichen Eckdaten – u.a. die »bio-psycho-soziale Behandlungsperspektive« und das »bifokale Vorgehen« – dargelegt. Zu Recht weist der Autor am Schluss dieses Abschnitts auf die erkennbar unklaren Konturen und diffusen Begriffsverwendungen der verschiedenen Autoren hin, die eine Klinische Sozialarbeit als behandelnde Sozialarbeit bestimmen wollen. In zustimmender Weise erinnert er an die aktuelle Theoriediskussion um Clinical Social Work in den USA, insbesondere an die von Rachelle A. Dorfmann vertretende Position »Psychotherapie Plus«. Diesen zweiten Teil schließt er mit einer gelungenen »Komparativen Darstellung der Konzeptionen Klinischer Sozialarbeit« ab.

Im dritten und längsten Teil bereitet Dario Deloie sein »Plädoyer für eine Soziale Psychotherapie als heilende und inklusionsfördernde Profession« (Kap. 8) vor. Nachdem er eine relationierende Abgrenzung zwischen psychosozialer Beratung und Psychotherapie formuliert hat, stellt die Psychotherapiedefinition nach Hans Strotzka und Hilarion Petzold einen weiteren Argumentationsstrang zur Begründung seiner Sicht auf ›Soziale Psychotherapie‹ dar. Gerade die expliziten Bezugnahmen auf das bio-psycho-soziale Gesundheitsverständnis der WHO lassen ihre Prämissen für eine Soziale Psychotherapie aus Sicht der Klinischen Sozialarbeit plausibel erscheinen, da sie einen kurativen, gesundheitsfördernden, persönlichkeitsentwickelnden Ansatz verfolgen, der zudem gesundheitliche Ungleichheit zu reduzieren versucht. Eine würdigende Auseinandersetzung mit den zentralen Perspektiven der psychotherapeutischen Grundrichtungen (psychodynamische –, verhaltenstherapeutische –, humanistische – und systemtherapeutische Ansätze), ein kurzer Exkurs zu biologische Ansätze sowie die Referierung von Untersuchungen zu den spezifischen und unspezifischen Wirkfaktoren in der Psychotherapie bilden für ihn eine weitere Argumentationsfolie. Vor diesem Hintergrund thematisiert Deloie in den folgenden zwei Unterkapiteln die Kerngedanken Sozialer Psychotherapie: Zum einen die »psychosozialen Dimension« mit ihrem Anspruch, neben der interpersonellen und sozioökonomischen auch die intrapersonellen Aspekte bei den Interventionen (mit sozialen und psychologischen Mitteln) im Blick zu behalten. Eine notwendige Perspektive, da er die Soziale Psychotherapie insbesondere bei Menschen mit multiplen psychosozialen Notlagen angezeigt sieht. Zum anderen ein »bio-psycho-soziales Gesundheits- und Krankheitsverständnis«, wodurch er das biomedizinische Krankheitsmodell konstruktiv erweitert (sic!) sieht. In Anschlag gebracht wird darüber nicht nur eine salutogenetische Perspektive (Aaron Antonovksy) auf den leidenden Menschen, sondern ebenso werden die Erkenntnisse der Resilienzforschung, die Verpflichtung auf eine Ressourcen- und Lebensweltorientierung sowie die Förderung sozialer Netzwerke und soziale Unterstützung postuliert. Im Abschnitt zur »Praxeologie Sozialer Psychotherapie« konstatiert er: »Die Soziale Psychotherapie als ein auf dem psychosozialen Ansatz basierendes Behandlungsverfahren ist in der Methodik in Modifikation auf Rauchfleisch (ein Psychoanalytiker, M.D.) […] als eine trifokale Therapie bei psychosozialen, krankheitsrelevanten Störungen konzipiert.« (191) Nachfolgend skizziert der Autor einige Fallbeispiele, mit denen er versucht, die vormals theoretischen Überlegungen anschaulich zu machen. In seinem Plädoyer für eine Soziale Psychotherapie fasst er sein Modell als Spezialisation Sozialer Arbeit im Gesundheitswesen zusammen und sieht darin einen Beitrag zur Professionalisierung der Sozialarbeit und Sozialpädagogik.

Zielgruppe
Die Monographie spricht praktisch Tätige und Studierende der Sozialen Arbeit an, die sich insbesondere für Themen der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen interessieren.

Diskussion
Dario Deloie bettet seinen Entwurf einer inhaltlichen Bestimmung von Sozialer Psychotherapie in einen Heilbehandlungsdiskurs ein. Entsprechend liest er die Traditionslinien der Sozialen Arbeit mit einer psychotherapeutischen Brille und führt auf dieser Basis differente Ansätze der Sozialen Arbeit unter dem Dach einer Klinischen Sozialarbeit zusammen. Dabei sehe ich es als ein Verdienst von ihm, die diffusen und unklaren Begriffsverwendungen sowie differenten Verortungen in den unterschiedlichen deutschen Ansätzen zur Klinischen Sozialarbeit herausgearbeitet zu haben. Konsequent führt er seine Überlegungen nicht explizit unter dem Terminus ›Klinische Sozialarbeit‹ weiter, sondern spricht dezidiert von einer ›Sozialen Psychotherapie als Wissenschaft‹ (Teil III), auch wenn er weiterhin bemüht ist, neben psychotherapeutisch-bezugswissenschaftliche Zugänge auch die Sicht der Klinischen Sozialarbeit immer wieder ins Feld zu führen, auch um deren Prämisse einer »Person-in-der-Umwelt« Perspektive als tragende Säule seines Nachdenkens abzusichern. Dabei verkennt er meines Erachtens, dass die grundlegende Annahme einer prozessualen Interdependenz von Psychodynamik und Soziodynamik, wie sie Udo Rauchfleich in seinem psychoanalytischen Konzept des trifokalen Behandlungsansatz zu Grunde legt, wenig mit einer eher additiv und linear gedachten Konstruktionen einer Person-Umwelt-Perspektive kompatibel ist. Zudem fehlt mir in seinen Ausführungen die politische Dimension einer Sozialen Therapie, wie sie insbesondere von Rolf Schwendter und Adrain Gaertner erarbeitet wurde: »Mir ist kaum ein Symptom, eine Entfremdungserfahrung bekannt, die nicht gleichzeitig aus dem gesamtgesellschaftlichen Herrschaftszusammenhang, gleichzeitig aus jenem Leiden, welches durch die Beeinflussung von Wünschen, Bedürfnissen und Interessen im Gesamtzusammenhang herrührt.« (Schwendter 1991, 61). Mit dieser Perspektive hätte er sicherlich dem Sozialen in der Sozialen Psychotherapie zu seinem angemessenen Recht verholfen. Des Weiteren machen seine kurzen Fallvignetten deutlich, wo er den Ort der Sozialen Psychotherapie sieht – in einer stationären Einrichtung. Damit nimmt er eine Verortung vor, die mit einer »Lebensweltorientierung« der Sozialen Arbeit im Sinne Thiersch nur wenig gemein hat: Lebensweltorientierung sieht »den Erfahrungsraum, die Bühne des Alltäglichen, strukturiert in den Regelungen von Zeit, von Raum, von Beziehungen; sie sieht vor allem die Gemengelage von Ressourcen und Problemen im sozialen Feld« (Thiersch/Grunwald/Köngeter 2010, S. 178 f. herv. M.D.). Von Alltag und Lebenswelt der erkrankten Menschen kann bei den genannten Institutionen – und dies zeigen die Fallbeispiele – kaum die Rede sein.

Fazit
Um eine Soziale Psychotherapie als Klinische Sozialarbeit denken zu können, hat der Autor neben einer sorgfältigen Zusammenschau der differenten Argumentationsstränge einer Klinischen Sozialarbeit wichtige psychotherapeutische Paradigmen als bedeutsam für eine Soziale Psychotherapie herausgearbeitet.

Rezensentin
Prof. Dr. Margret Dörr
Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt »Theorie Sozialer Arbeit, Gesundheitsförderung« an der Katholischen Hochschule in Mainz.
Arbeitsschwerpunkte: Biographieforschung, Psychoanalytische (Sozial)Pädagogik, Klinische Sozialarbeit, Abweichendes Verhalten und Psychopathologie.
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