Rezension zu Erich Fromm als Therapeut
Psychotherapeut, Heft 3 Juni 2011
Rezension von S.O. Hoffmann
Auszüge aus der Besprechung:
»Erich Fromm (1900–1980) gehört zu den originellsten, gescheitesten
und vielseitigsten Autoren, die die Geschichte der Psychoanalyse
hervorgebracht hat. Der Referent hält seit Langem Fromms Beiträge
für unterschätzt. Viel Schlichteres fand in der Psychoanalyse eine
stärkere Verbreitung und seine bekanntesten Werke ›Haben und Sein‹,
›Die Kunst des Liebens‹ oder die ›Anatomie der menschlichen
Destruktivität‹ schienen ein Laienpublikum mehr anzusprechen als
die Fachleute.«
»Zur psychoanalytischen Behandlungstechnik Fromms gibt es von ihm
selbst nur wenige verstreute Publikationen. So ist es ausgesprochen
verdienstvoll, dass es dem Herausgeber Rainer Funk, der Fromm in
seinen letzten Lebensjahren nahestand, gelang, 21 Autoren zu
versammeln, die Fromm noch persönlich als Lehrer erlebt und
teilweise bei ihm eine eigene Psychoanalyse gemacht hatten oder
ihre Behandlungsfälle hatten supervidieren lassen. Diese Auswahl
beinhaltet die Chancen und Fallstricke des Buches. Erich Fromm muss
eine sehr eindrucksvolle Persönlichkeit gewesen sein, die alle, die
näher mit ihm in Kontakt kamen, rasch in ihren Bann schlug. So gibt
es kaum einen Beitrag in diesem Band, dessen Autor nicht zugleich
versicherte, dass die Begegnung mit Erich Fromm sein Leben über
alle Fachkunde hinaus bereichert oder gar entscheidend beeinflusst
hätte.«
»Fromm hielt auch sehr viel davon, sich das soziale Leben des
Patienten genau anzusehen und diesbezüglich ohne Hemmung
nachzufragen, wie überhaupt sich ein klares Bild zu verschaffen.
Sein Akzent lag in der Arbeit auf dem aktuellen Leben, und er
betrachtete dieses mit einem tiefen Respekt für dessen
Einmaligkeit. Möglicherweise lag hier sein Zögern begründet, selbst
Anweisungen zur Behandlungstechnik niederzulegen: Fromm glaubte an
die Einmaligkeit der Paarung eines bestimmten Menschen mit einem
bestimmten Therapeuten, und er fürchtete offensichtlich durch
modellhafte Vorgaben, hier schlichte Nachahmung und nicht die
notwendige Kreativität und Selbstverantwortlichkeit beim
Therapeuten zu fördern.«
»Eine in vielen Beiträgen aufscheinende behandlungstechnische
Besonderheit Fromms war seine ›Direktheit‹. Fromm konnte mit dem
Patienten (und auch den Supervisanden) streng, direkt und
konfrontierend sein. Er brachte in den Therapien den vollen Einsatz
an affektiver Einlassung, und er forderte ihn auch vom Patienten.
Es gibt für ihn nicht die Kunst des idealen Zeitpunkts einer
Intervention, sondern wenn eine Deutung als richtig erkannt ist,
dann wird sie direkt gegeben.«
»Als informierter Leser wird man Erich Fromm nicht in allem
zustimmen, und er hätte das wohl auch am wenigsten gewollt. Dass
sich hier aber ein ungewöhnlich talentierter Querdenker der
Psychoanalyse bei seiner oft unorthodoxen Bewältigung der
therapeutischen Arbeit direkt zusehen lässt, liest sich ohne jede
Frage mit ausgesprochenem Gewinn. Der Dank dafür wäre vor allem an
den Herausgeber zu richten, der dieses bei vielen ehemaligen
Kollegen Fromms gespeicherte Wissen sammelte.«
S.O. Hoffmann, Hamburg