Rezension zu Die Selbstverbesserung des Menschen

Dr. med. Mabuse Nr. 198, Juli/August 2012

Rezension von Marion Hulverstheidt und Miriam Eilers

Ada Borkenhagen, Elmar Brähler (Hrsg.): Die Selbstverbesserung des Menschen

Sich zu wagen, in der Medizin nicht nur von Patienten, sondern von Klienten zu sprechen, und nicht alles, was medizinisch möglich ist, mit einer therapieanzeigenden oder -fordernden Diagnose zu belegen, ist der Verdienst der Herausgeber des Sammelbands »Die Selbstverbesserung des Menschen«.

Neben philosophischen Betrachtungen zum Modebegriff Enhancement (Selbstverbesserung des Menschen) stehen Beiträge, die die Veränderungen des äußeren Selbst betreffen. Körpermodifikation als Selbstverbesserung anzusehen, bedeutet, anzunehmen, dass das Selbst stärker durch den Körper bestimmt und wahrgenommen wird, als etwa durch geistigreligiöse Arbeit oder Bildung. Der eigene Körper als identitätsstiftendes Merkmal für das Selbst wird neben die intellektuelle Leistungsfähigkeit gestellt.

Die Möglichkeiten der Selbstverbesserung sind heutzutage breiter gefächert als früher: Die Medizin proklamiert, dass sie Menschen in ihrer körperlichen und geistigen Verfasstheit in einen erwünschten Zustand versetzen kann.

In der Realität sieht es jedoch meist anders aus. Zwar scheint es, wie Gerd Glaeske zeigt, bei dem zur medikamentösen Behandlung des ADHS angewendeten Ritalin ein Missbrauchspotenzial zu geben. Wichtiger ist dem Autor, dass die Patienten nicht ausreichend über die möglichen Schadwirkungen dieser Substanzgruppe aufgeklärt werden.

Uta Bittner reflektiert anhand des Selbsterfahrungsberichtes des Soziologen Helmut Dubiel über die Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation. Die breit gefächerten Auswirkungen von Krankheit (Morbus Parkinson) und Therapie (tiefe Hirnstimulation) auf das Selbst und das Selbstbild können kaum voneinander getrennt werden. Hier liegen große Forschungsdesiderata für die psychologische Selbstwertforschung bereit.

Dass der erwünschte Zustand trotz medizinischer Intervention oft nicht erreicht wird, zeigt der Beitrag der Mitarbeiter der Leipziger Klinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie. Dieser Text ist ein Glücksfall, führt er doch vor Augen, dass in dieser nach Perfektion strebenden Welt viele einfach nur das Übliche, das Normale anstreben – so etwa Menschen, mit angeborenen Spaltbildungen an Lippen, Kiefer und/oder Gaumen.

Demgegenüber steht eine schönheitschirurgische Modeströmung aus den USA: ,»Simply to look done«. Hier soll sichtbar werden, dass an einem Gesicht eine Veränderung vorgenommen wurde, die der Besitzerin so etwas wie ein zeitloses Alter beschert. Den schwierigen Schwenk auf die ethische Debatte um den Selbstbegriff bei Patienten einer Gesichtstransplantation meistern Borkenhagen und Brähler, indem sie zeigen, dass die Identität – aufgrund von Verletzungen oder Tumoren – bereits vor der Transplantation schon empfindlich gestört war.

Ein Beitrag befasst sich mit der Präimplantationsdiagnostik in Deutschland. Hier wird festgestellt, dass bisher nur die Auswahl, nicht eine den Embryo verändernde Therapie möglich ist, von Enhancement im engeren Sinne also nicht gesprochen werden kann. Wohl aber von einer Medizin, die den Wunsch nach einem genetisch geprüften Kind erfüllt oder zu erfüllen verspricht.

Insgesamt bildet der Sammelband den aktuellen Diskussionsstand zu den Möglichkeiten der Medizin in einer medizinpsychologischen Reflexion gut ab. Nicht nur das allgemeine Menschenbild, auch das Bild des Menschen in der Medizin verändert sich durch die Existenz von Psychostimulantien, Doping, reproduktionsmedizinischen Praktiken oder neuen Körperbildern. Zuletzt bleibt die Frage, wann wohl die erste medizinische Intervention auf den Markt kommt, mit deren Hilfe die selbstvergessene Zufriedenheit im Hier und Jetzt erlangt werden kann.

Marion Hulverstheidt, Ärztin und Medizinhistorikerin, Berlin
Miriam Eilers, Ärztin, Bochum

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